Die Installation der CD-ROM ist denkbar einfach: Unter Windows 95 lädt die Autostart-Funktion das Programm automatisch nach dem Einlegen. Unter Windows 3.11 muß man zunächst die CD-ROM im Dateimanager mit dem Programm install.exe installieren. Die Erstellung der Programmgruppe dauert nur wenige Sekunden, durch Doppelklick auf das Büchner-Icon startet das Programm. In dieser Gruppe befindet sich auch das Deinstallationsprogramm, das allerdings auch alle Markierungen und Kommentare löscht.
Die CD hat weder Handbuch noch begleitendes Material, auch eine Hotline ist nicht eingerichtet. Von der Startseite aus erreicht man per Klick ein Hilfebuch, das jedes Element der CD erläutert – bildungsbeflissen untermauert mit Goethezitaten. So lautet mit Faust die Aufforderung an den Leser: »Doch auch indem ich dieses niederschreibe, / Schon warnt mich was, daß ich dabei nicht bleibe. / Mir hilft der Geist! auf einmal seh ich Rat / Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!« Die Fragen, die die Bedienoberfläche nicht beantworten kann, sollen also durch aktives Ausprobieren vom Benutzer selbst gelöst werden. Leider sind die Fenster nicht auf Windows-Standard und deshalb gewöhnungsbedürftig. Am Beispiel der Goethe-CD aus demselben Verlag, die in ihrem Aufbau der Büchner-CD entspricht, werden im Hilfeprogramm Benutzung, Bearbeitungs- und Suchmöglichkeiten erläutert. Es handelt sich dabei jedoch um eine Art ›Trockenübung‹, da die Hilfe nicht parallel zu der ›Problem-/Fragestelle‹ aufgerufen werden kann, sondern nur separat, ausgehend vom Startfenster.
Im Hauptelement »Bibliothek« befinden sich immer zwei Symbole unten im Bild: links unten der Dichterkopf, durch Anklicken gelangt man zurück zur Startseite; rechts unten eine Seitenecke, die einen zur jeweils vorherigen Seite bringt. Befindet man sich in einem Primärtext, wird dieser unten auf der Leiste genannt. Durch Doppelklick auf diese Fläche erscheint ein Verzeichnis mit den anderen Primärtexten, die sich auch von hier aus direkt aufrufen lassen. Ein großer Nachteil der Texterschließung ist die mangelnde Orientierung im jeweiligen Primärtext: es werden nur CD-ROM-interne Seitenzahlen angegeben, nicht beispielsweise Akt- und Szenenziffern. Auch ein Textvergleich mit der verwendeten Buchausgabe wird dadurch erschwert.
Paralleles Arbeiten mit anderen Programmen, wie Textverarbeitung oder Datenbanken, ist nur möglich, wenn man diese vor Aktivierung der CD startet oder über den Shortcut »Alt-Tab« aufruft. Die mitgelieferte Textverarbeitung hat den geringen Umfang des Windows-Zubehörs Write und kann unabhängig von der Bibliothek benutzt werden. Texte lassen sich in ASCII- oder rtf-Format speichern. Es bestehen Markierungs- und Kommentierungsmöglichkeiten. Nach einer – gelb gefärbten – Markierung kann im sich öffnenden Dialogfeld ein Kommentar eingetippt werden, der später einfach durch Anklicken der gelben Stelle aufgerufen wird. Man kann auch von Kommentar zu Kommentar springen. Alle Kommentare aus einem geöffneten Text lassen sich sammeln und gemeinsam in der Textverarbeitung auflisten. Um einen Text in ein Textverarbeitungsprogramm zu kopieren, muß man ihn zunächst markieren und anschließend über das Fenster »Kopieren« in die Zieldatei bringen. Bei längeren Textpassagen sollte man den Cursor bei Textaktivierung auf den rechten Rand ziehen, was eine Art Umblättern bewirkt. Von der mitgelieferten Textverarbeitung lassen sich die Texte in eigene Programme exportieren, allerdings nicht über die Zwischenablage. Die Textdateien können nicht direkt aufgerufen werden, da sie in einem programmspezifischen Code abgelegt sind. Die Suchmaske ist sehr einfach gehalten, ermöglicht aber ein schnelles Suchen und Zählen von Zeichenketten. Beispielsweise taucht das Wort »Natur« im Woyzeck dreizehn Mal auf, was das Programm in weniger als einer Sekunde feststellt. Links- und Rechtstrunkierung sind automatisch eingestellt, es gibt keine Wildcards: Eine Suche nach »Woy?eck« bleibt erfolglos.
Beim Start der CD wird man zu Schumanns Vierter Symphonie von Georg Büchner mit kessem Augenaufschlag begrüßt. Neben den Schaltflächen »Ende«, »Hilfe«, »Ton«, »An/Aus« und »Textverarbeitung« findet sich der Hauptteil unter der Fläche »Bibliothek«. Die Bibliothek weist neben den Texten die Abteilungen »Biographie«, »Epoche«, »Galerie«, »Bibliographie« und »Lesung« auf. Außer der Rezitation ausgewählter, zentraler Passagen des Lenz durch Hubert Mulzer – der Text wird zum Mitlesen bereitgestellt – und der bereits erwähnten –Schumann-Musik hat die CD keine weiteren Tonelemente. Die ausführliche Bibliographie (ausgedruckt circa neun Seiten) ist zwar nur alphabetisch und nicht nach Sekundär- und Primärliteratur geordnet, umfaßt jedoch wichtige Textausgaben und eine breite Palette der Forschungsliteratur (von 1915 bis 1993), wobei der Schwerpunkt auf Einführungen in das Werk und Monographien liegt. Es fehlt allerdings die 1984 erschienene, den editionswissenschaftlichen Standards entsprechende Ausgabe des Lenz' von Hubert Gersch (Stuttgart 1984). In der »Galerie« finden sich über den Portraits prominenter Kollegen Büchners kurze, kritische Kommentare. Dreißig – alphabetisch geordnete – Schriftsteller von Walter Benjamin bis Arnold Zweig kann man in verschiedenen Geschwindigkeiten über den Bildschirm ziehen lassen, die aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate sind meist wenig aufschlußreich. Insgesamt handelt es sich wohl eher um einen ›Unterhaltungsgag‹ als einen Einblick in Rezeption und Wirkungsgeschichte. Zur Epoche »Vormärz und Biedermeier« findet sich eine präzise Einführung, die neben den wichtigsten literaturgeschichtlichen Tendenzen auch relevante Daten und Namen aufführt. Wünschenswert wären durch Links aufrufbare Verweise zu weiterführender Sekundärliteratur, für Schüler oder ›interessierte Laien‹ bietet die Einführung jedoch einen guten Überblick. Die Biographie gibt einen Abriß von Leben und Werk Georg Büchners, der durch seinen erzählenden Stil gut lesbar ist. Die »Werke, Taten, Freuden und Leiden« (Hilfe-Text) des Autors werden mit circa dreißig Randbildern illustriert, die mit Doppelklick vergrößert werden können. Interessant, aber leider durch die fehlende Skalierungsmöglichkeit schlecht lesbar, ist ein Auszug aus der Handschrift A (Textstufe II,7) des Woyzeck.
Dem Text, der von den Herausgebern als »ungekürzter Originaltext« bezeichnet wird, liegt die Hamburger Ausgabe zugrunde (Georg Büchner. Sämtliche Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe mit Kommentar. Herausgegeben von Werner R. Lehmann. 2 Bände. Hamburg 1971). Folgende Texte sind aufgenommen: Der Hessische Landbote, Dantons Tod, Lenz, Leonce und Lena, Woyceck, Woyceck-Fragmente. Letzterer liegt in einer textkritischen und kommentierten Fassung von Michael Knaupp vor. Nicht aufgenommen sind die Briefe und Gedichte, Frühwerke aus der Gymnasialzeit wie Über den Traum eines Arkadiers oder Rede zur Verteidigung des Kato von Utika, sowie Büchners naturwissenschaftliche und philosophische Schriften. Jeder Text ist von einer per Klick aufrufbaren Einführung begleitet, die auf wenigen Seiten in das Werk einführt und Interpretationsvorschläge anbietet. Der Kurzinhalt faßt auf ein bis zwei Seiten notdürftig das Geschehen zusammen: »In aller Kürze: Wer heiratet oder tötet wen und warum?« (»Hilfe«-Text). Das größte Problem der CD-ROM ist die Wahl der Textgrundlage. Seit etwa einem Jahrzehnt gibt es in der Büchner-Forschung den Streit um die »richtige« Edition. Inzwischen hat sich, vor allem durch die Analyse der Handschriften, den Vergleich verschiedener Drucke und das Auftauchen verloren geglaubter Dokumente gezeigt, daß die Hamburger Ausgabe (herausgegeben von Werner R. Lehmann) nicht als zuverlässig bezeichnet werden kann. Es liegen eine Reihe von Studienausgaben vor, die wesentlich zitierfähiger sind, zum Beispiel Dantons Tod, kritische Studienausgabe des Originals mit Quellen, Aufsätzen und Materialien, herausgegeben von Peter von Becker, Frankfurt 1985. Der darin von Thomas Michael Mayer synoptisch edierte Text läßt eine von zahlreichen historischen und literarischen Quellen beeinflußte Struktur und den Arbeitsprozeß selbst erkennen, eine textuelle Ausgangslage, für die sich eine Hypertext-Edition geradezu anbieten würde! Ähnliches gilt für die Komödie Leonce und Lena, die ebenfalls seit langem in einer von Thomas Michael Mayer besorgten Studienausgabe vorliegt (herausgegeben von Burghard Dedner, Frankfurt 1987) und die Novelle Lenz (Studienausgabe, herausgegeben von Hubert Gersch, Stuttgart 1984). Der Entwurfscharakter dieses Textes könnte in einer elektronischen Edition möglicherweise adäquat wiedergegeben werden. Die Ausgabe der Woyceck-Fragmente von Michael Knaupp weist neben der Textwiedergabe eine Einleitung, Kommentar und eine Art Apparat auf. Die Einleitung führt knapp in die Entstehungsgeschichte des Textes ein und nennt Textquellen und Textstufen. Knaupp siedelt sich mit seiner Edition zwischen zwei Extremen an: zum einen die Wiedergabe der Handschrift durch eine Faksimile-Ausgabe, zum anderen die Erstellung eines von allen Unzulänglichkeiten bereinigten Textes.[2] Mit dem Ziel, den Text lesbar zu machen, nimmt er eine Deutung der Zeichen vor, die möglichst nah am handschriftlichen Befund sein will. Er stellt also keine Mischfassung her, sondern ediert die drei Handschriften in ihren Textstufen hintereinander. Eine beigefügte Darstellung der Parallelszenen in den Textstufen I bis IV bietet dem Leser eine sehr gute Orientierung. Auch das Personenverzeichnis, in dem die Figuren in den verschiedenen Textstufen aufgelistet sind, verschafft einen guten Überblick. Der Kommentar gibt »keine Interpretationen des Stückes, sondern – neben reinen Sacherläuterungen – hauptsächlich Hinweise zu den Materialien Büchners« (Knaupp). Die Angabe der Varianten und Lesarten bezieht sich auf im Text gestrichene Passagen und Worte, sowie ausgewählte (nach welchem Kriterium?) Lesungen früherer Herausgeber. Da nicht zwischen Überschreibungen, Ergänzungen und Streichungen differenziert wird, ist die Aussagekraft eines so konzipierten Apparats doch erheblich eingeschränkt. Der Text enthält jeweils zu Beginn einer Szene die Schaltfläche »V/K«, über die man zu den Varianten oder dem Kommentar gelangen kann. Parallelschaltungen von Varianten und Text sind allerdings nicht möglich. Auch die Zuordnung von Varianten und Kommentaren zur jeweiligen Textstelle ist nicht ganz einfach, da dort nicht die Text-Seitenzahlen, sondern nur die Szenen und Textstufen angegeben sind.
Die CD-ROM ist einfach zu benutzen und aufgrund ihres niedrigen Preises sicherlich für die angestrebte Zielgruppe interessant. Vor allem Schüler lassen sich vielleicht durch den unterhaltsamen Stil der Ausführungen zu »Epoche«, »Autorbiographie« und den »Einführungen« in das Werk ansprechen. Für wissenschaftliche Zwecke läßt sich die CD-ROM jedoch aufgrund der gewählten Textgrundlage nicht verwenden. Die spezifischen Möglichkeiten, die eine elektronische Edition bietet, werden in diesem Fall nicht ausgenutzt. Die Woyzeck-Fragmente legen eine Edition als Hypertext geradezu nahe, doch auch in der vorliegenden Edition bleiben die Chancen des Mediums ungenutzt.
Annette Schütterle (München)
Jahrbuch für Computerphilologie 1 (1999) | [Zurück zum Inhaltverzeichnis] |