Zu Goethe und seinem Werk liegen inzwischen eine ganze Reihe verschiedener Publikationen im elektronischen Medium vor. Allen voran die CD-ROM-Version der 133bändigen Weimarer Ausgabe,[1] die 1995 von Chadwyck-Healey herausgebracht wurde. Dieses Unternehmen allerdings, das im Hinblick auf die gewählte historisch-kritische Textgrundlage wie auf deren elektronische Aufbereitung dem Goethe-Forscher ein hervorragendes Arbeitsinstrument bietet,[2] ist mit dem exorbitanten Preis von 10.000 DM für den normalen Nutzer höchstens in Bibliotheken erreichbar. Für den privaten PC Zuhause ist dagegen die rechtzeitig zum Jubiläumsjahr erschienene Hybrid-Edition Der junge Goethe konzipiert, die jedoch Goethes Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Schriften nur bis 1775 sowohl in Buchform als auch elektronisch zur Verfügung stellt.[3] Diese Studienausgabe enthält – anders als die elektronische Version der großen Weimarer Ausgabe, die das zentrale Korpus der Schriften, Briefe und Tagebücher lediglich um die Gespräche Goethes aus einer anderen Quelle ergänzt – über den Primärtext hinaus Kommentare und vor allem Dokumente und Materialien. Weitere Neuerscheinungen des Jubiläumsjahres gelten spezielleren Bereichen: So zum Beispiel die von Sebastian Donat in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut entwickelte kommentierte Hypertext-Edition eines Goetheschen Agendablattes, die das digitalisierte Faksimile der neu aufgefundenen Handschrift und seine ausführliche Kommentierung bietet, die auf verschiedenen Ebenen über Hyperlinks vom Benutzer aufgerufen werden kann.[4] Eine wieder ganz andere elektronische Annäherung an den größten deutschen Dichter ermöglicht etwa die bereits 1995 erschienene CD-ROM Goethe in Weimar, mit deren Hilfe sich unter anderem virtuelle Spaziergänge sowohl durch Goethes Weimarer Wohnhaus als auch durch die ›Stadt der Klassik‹ realisieren lassen.[5]
In dem vielfältigen Spektrum der elektronischen
Goethe-Editionen[6]
liegen die beiden hier eingehender vorzustellenden CD-ROMs nah beieinander:
Beide bieten eine Werk-Auswahl auf der Grundlage gängiger Studienausgaben
in Kombination mit zusätzlichen, teilweise multimedial aufbereiteten
Informationen zu Goethes Leben und Werk. Und beide Ausgaben richten sich
erklärtermaßen an einen breiten Interessentenkreis, »zu dem
Gymnasialschüler, Studierende, Lehrer und Wissenschaftler ebenso
zählen wie passionierte
Goethe-
Liebhaber«.[7]
Dem entsprechen die jeweils notwendige
Systemumgebung[8]
und auch der Preis: Zwar mit deutlichem Unterschied (zu den Preisen siehe
Titel), bewegen sich doch beide im Rahmen des Üblichen und sind für
das angesprochene »breite Publikum« auch erschwinglich. Für den
Studierenden wie für den Forscher knüpft sich vor allem die Hoffnung
daran, mit diesen beiden Editionen zukünftig erreichbare
›Junior-Versionen‹ der unerschwinglichen Chadwyck-Healey-Ausgabe zur
Verfügung zu haben. Bei näherer Betrachtung unterscheiden sich die
beiden Ausgaben allerdings erheblich.
Die bereits 1998 veröffentlichte CD Johann Wolfgang Goethe erschien im Rahmen der 1997 mit der sehr erfolgreichen Anthologie Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka eröffneten Digitalen Bibliothek, die als »eine der mit Abstand innovativsten Entwicklungen auf dem zunehmend prosperierenden Markt elektronischer Textausgaben«[9] gilt und in deren Rahmen neben Anthologien und Nachschlagewerken auch bereits verschiedene Autoreneditionen vorgelegt wurden. Die von dem Berliner Germanisten und Verlagslektor Mathias Bertram besorgte Textauswahl der Goethe-CD-ROM, die »sowohl den Bedürfnissen eines breiten Publikums als auch den spezielleren Interessen von Studierenden und Forschenden gerecht zu werden« versucht,[10] enthält sämtliche Hauptwerke Goethes, die durch »bemerkenswerte Nebenwerke« ergänzt werden. Einbezogen sind alle wichtigen poetischen und autobiographischen Werke sowie die Aufzeichnungen und Aphorismen und eine Auswahl der kunstkritischen und der naturwissenschaftlichen Schriften Goethes. Nicht aufgenommen wurden Briefe, Tagebücher und Gespräche (die zum Goethe-Jahr 1999 inzwischen als Band 10 der Digitalen Bibliothek auf einer eigenen CD-ROM vorgelegt wurden).
Die Auswahl der Texte folgt dabei nicht einer vorliegenden gedruckten Ausgabe, sondern geht eigene Wege. Als Textgrundlage werden unterschiedliche Ausgaben herangezogen, die sämtlich als zitierfähig gelten (obwohl ihre Textgestaltung zum Teil nicht unproblematisch ist und in den beiden großen neuen Goethe-Editionen, der Frankfurter und der Münchner Ausgabe, inzwischen bessere Texte vorliegen). Der überwiegende Teil der Texte stammt aus einer der beiden bis in die 90er Jahre gängigsten Auswahl- und Studienausgaben: Die prominentesten Dramen und Romane sowie ein Großteil der autobiographischen Schriften werden nach der aus den 50er Jahren stammenden 14bändigen Hamburger Ausgabe[11] wiedergegeben; Gedichte und Epen, kleinere Dramen, Aufzeichnungen und Aphorismen, die (erfreulicherweise aufgenommenen) Tag- und Jahreshefte sowie die kunstkritischen Schriften folgen dagegen der umfangreicheren (22bändigen) Berliner Ausgabe[12] aus den 60er und 70er Jahren. Ergänzend werden einige naturwissenschaftliche Texte (die in der Berliner Ausgabe vollständig fehlen) nach der Hamburger Ausgabe wiedergegeben, für die Farbenlehre zieht Bertram die von Ernst Beutler zum 200. Geburtstag herausgegebene Gedenkausgabe[13] heran und kann so die in der Hamburger Ausgabe abgedruckte Auswahl aus Goethes naturwissenschaftlichem Hauptwerk um den Text Anzeige und Übersicht ergänzen.[14] Die gemeinsam mit Schiller verfaßten Texte schließlich (vor allem also die Xenien) folgen der von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert herausgegebenen Schiller-Ausgabe des Hanser-Verlags (München 1962).
Während die letztgenannten Entscheidungen einleuchten mögen, bleiben die Gründe für den Wechsel zwischen Hamburger und Berliner Ausgabe (der sich übrigens auch schon in der Auswahl für die Anthologie Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka findet) unkommentiert und für den Benutzer undurchsichtig. Die Auswahl selbst ist im Ganzen plausibel, einzelnes bleibt freilich, aber das ist wohl unvermeidlich, fraglich (warum etwa verzichtet Bertram auf so kurze wie für Goethes Denken aufschlußreiche Texte wie Der Versuch als Vermittler von Objekt und Subjekt oder Wiederholte Spiegelungen?)
Laut Begleitheft (S. 3) werden die einzelnen Texte –
unter stillschweigender Berichtigung offensichtlicher Druckfehler –
»grundsätzlich ungekürzt« wiedergegeben. Eine
stichprobenartige Überprüfung ergab jedoch, daß etwa auf die
persischen und arabischen Texte im letzten Kapitel der »Noten und
Abhand-
lungen« des West-östlichen Divans kommentarlos verzichtet wurde
und daß in der Abteilung »Maximen und Reflexionen« die letzten
vier der von der Berliner Ausgabe in der Rubrik »Nachlese« gebotenen
Texte ebenfalls ohne jeden Hinweis einfach fehlen. Problematisch ist auch der
Verzicht auf die Wiedergabe graphischer Elemente: So wird etwa die
Differenzierung von lyrischen Gesangspassagen und gesprochenem Text nivelliert.
Vor allem aber das durchgehende Fehlen des trennenden Querstrichs führt
besonders im West-östlichen Divan immer wieder zu Irritationen in bezug auf
die
Textgrenzen.[15]
Im übrigen erweist sich auch der Wortlaut des offensichtlich gescannten
Textes als nicht sehr
zuverlässig.[16]
Die den einzelnen Abteilungen der Ausgabe jeweils listenartig vorangestellten »bibliographischen Notizen«, die knappe Angaben zu Entstehungszeit, Erstdruck und gegebenenfalls auch Uraufführung der einzelnen Werke enthalten, bilden die einzigen kommentierenden Zusätze zum Text und sind als solche sehr willkommen.[17] Schade, daß darauf verzichtet wurde, die knappen Informationen zu Entstehung und Erstdruck auch über Linkverbindungen zugänglich zu machen. Und ganz grundsätzlich ist zu bedauern, daß die Ausgabe auf die Aufnahme der Erläuterungen der zugrundeliegenden Studienausgaben verzichtet. Die als Einführung beigefügte Goethe-Monographie Peter Boerners bietet keinen Ersatz für einen möglichen Stellenkommentar, der in einer elektronischen Ausgabe zur bequemen Benutzung am besten in Gestalt von Hyperlinks zugänglich zu machen gewesen wäre.
Die zuerst 1964 erschienene und inzwischen mehrfach überarbeitete kundige und knappe Darstellung Peter Boerners aus der Reihe der rororo-Bildmonographien bietet auf 178 Seiten einen biographischen Abriß inklusive Zeittafel und bibliographischen Angaben. Boerners Text selbst ist allerdings nicht für die Lektüre am Bildschirm geschrieben; um ihn angemessen zu nutzen, das heißt: zu lesen, muß man ihn ausdrucken (wobei es zumindest mir nicht gelungen ist, den Seitenumbruch dazu etwas platzsparender zu verändern; man bleibt auch beim Ausdruck an die vorgegebenen Bildschirmseiten gebunden).
Ergänzt wurde das Bändchen für die CD-ROM-Version um zusätzliche Bilddokumente, die erfreulicherweise sowohl in listenartigen Zusammenstellungen[18] als auch per Link aus Boerners Text heraus erreichbar sind und die CD eindeutig bereichern.[19] Eine etwas willkürlich anmutende ›auditive‹ Zugabe bietet schließlich der von Thomas Schmidt gelesene Hörtext Die Leiden des jungen Werther.
Von entscheidender Bedeutung für die Qualität einer elektronischen Textausgabe sind die verschiedenen Zugriffsmöglichkeiten, die sie auf den Text bietet. Das Erschließungsprogramm der vorliegenden CD-ROM ist eine Eigenentwicklung des Verlags, die sich in vorangegangenen Editionen der Digitalen Bibliothek schon bewährt hat.[20]
Die einfache, an Konventionen der Windows-Software anschließende Oberfläche bietet links das Funktionsregister, rechts den Text. An die zunächst irritierende Positionierung der Werkzeugleiste in der Mitte des Bildschirms gewöhnt man sich rasch; die etwas versteckt unter der Rubrik »Diverses« zu findenden Hilfe-Funktionen bieten eine gerade dem Computer-Novizen nützliche Einführung in die verschiedenen Möglichkeiten des Programms. Auf ein zusätzliches gedrucktes Handbuch konnte so verzichtet werden; das schmale Begleitheft bietet eine knappe Einführung zur ersten Orientierung.
Das Funktionsregister läßt sich ausblenden, um mehr Raum für die Textdarstellung zu gewinnen. Durch die »Microfiche«-Funktion ist es dann möglich, mehrere Seiten Text verkleinert anzeigen zu lassen, so daß man sich auch über die Position einer Stelle im größeren Textzusammenhang informieren kann.
Von großer Bedeutung für die Orientierung im Text ist die Kolumnenzeile, die nach Wunsch Seiten- und Bandzahl der zugrundeliegenden Textausgabe anzeigt und so auch direktes Zitieren ermöglicht. Die Navigation im Textkorpus ist nicht zuletzt durch das übersichtliche, »interaktive« – das heißt über Hyperlinks mit dem Textkorpus verbundene – Inhaltsverzeichnis einfach (siehe Abbildung 1). Innerhalb des Textes kann sich der Benutzer seitenweise vor- und zurückbewegen; schnellere Bewegungen durch größere Textmengen ermöglicht ein Schieberegler auf der Werkzeugleiste. Nicht möglich ist leider freies Scrollen im Text.
Von besonderer Bedeutung ist die Suchfunktion. Die CD-ROMs
der Digitalen Bibliothek ermöglichen eine effiziente und rasche
Volltextrecherche: Der Einsatz Boolescher Operatoren macht auch komplexe
Suchabfragen möglich; Platzhalter sind vorgesehen. Die Ergebnisse
können in Fundlisten für die weitere Verwendung gespeichert werden
(ebenso wie Notizen des Benutzers). Der Nutzer kann den zu durchsuchenden Raum
selbst bestimmen (also etwa wahlweise im Gesamtwerk, in den Gedichten, oder nur
im West-östlichen Divan suchen); bei der Suche nach zwei Zeichenketten
läßt sich der Abstand, den die beiden Zeichenfolgen voneinander haben
dürfen, um noch einen Treffer zu erzielen, variabel einstellen. Andere
wünschenswerte Möglichkeiten der Sucheingrenzung (beispielsweise etwa
die Suche nur in den Überschriften oder nur in den Regieanweisungen oder
nur in gereimten Texten oder nur in den Texten aus den 20er Jahren des 19.
Jahrhunderts und so weiter) bietet das Programm allerdings nicht. Die für
die jüngeren Bände der Bibliothek inzwischen entwickelten
zusätzlichen Suchfilter, die zumindest einen Teil dieser Wünsche
erfüllen, lassen sich nur für die Ausgaben einsetzen, die
entsprechende Textmarkierungen bereits enthalten. Das ist für die Goethe-CD
leider nicht der Fall. Die Normalsuche wird auf den CD-ROMs der Digitalen
Bibliothek schließlich durch eine »Themensuche« ergänzt,
die auch »unscharfe Suchen«
ermöglicht[21]
Wichtig für die Arbeit mit der CD-ROM ist die Funktion des Datenexports, also die Möglichkeit, Textpassagen zur Weiterverwendung auf die Festplatte zu übertragen. Nach wie vor scheint dies »der schwächste Teil des Programms«.[22] Da die Textmarkierung aufgrund der fehlenden Scroll-Funktion über Seitengrenzen hinweg nicht möglich ist, bleibt der Export beliebig langer zusammenhängender Passagen unmöglich. Die neue Programmversion 2.99 bietet mit der zusätzlichen Möglichkeit, mehrere Seiten (bis zu acht) zu kopieren, eine Verbesserung der Lage, wenn auch keine prinzipielle Lösung des Problems. Nützlich ist, daß kopierte Texte automatisch mit einem Quellennachweis versehen werden.
Der weitgehende Verzicht auf multimediale Effekte, durch den die Digitale Bibliothek charakterisiert ist, erweist sich auch für die Goethe-CD-ROM als funktional. Wünschenswert wäre dagegen die stärkere Nutzung von Hyperlinks zur Integration von kommentierenden Texten. Im Mittelpunkt der CD-ROM steht fraglos der Werktext; von den (sparsamen) Zutaten zur Hauptsache – Bilddokumente, rororo-Monographie, Hörtext – sind vor allem die Bilddokumente ausgesprochen reizvoll, auch sie bleiben aber letztlich marginal.
Ganz anders dagegen sieht das Konzept der zweiten hier zu
besprechenden CD-ROM – Goethe. Zeit, Leben, Werk – aus, für die
der Einsatz multimedialer Effekte von zentraler Bedeutung ist. Im Gegensatz zur
CD-ROM der Digitalen Bibliothek bildet das im Titel vielleicht nicht
zufällig an letzter Stelle genannte »Werk« hier nur eines von
vier gleichberechtigten Hauptkapiteln der CD-ROM und erweist sich bei
näherem Hinsehen als ihr mit Abstand schwächster Teil. Die anderen
Kapitel enthalten einen biographi-
schen Essay von Harald Gerlach, eine Art
multimediales Feature über die Goethezeit und ein zweites zur
Wirkungsgeschichte des Goetheschen Werkes.
Anders als im Goethe-Band der Digitalen Bibliothek liegt dem Textkorpus kein eigenes Auswahlprinzip zugrunde: Die CD digitalisiert den Text einer zitierfähigen gedruckten Ausgabe, und zwar der 22bändigen Berliner Ausgabe, die auch großen Teilen der CD-ROM der Digitalen Bibliothek zugrundeliegt (Gründe für die Entscheidung, statt einer der neuen eine ältere Standardausgabe zu wählen, sind hier wie dort wohl in Fragen des Urheberrechts zu suchen). Ein Nachteil der Entscheidung für die Berliner Ausgabe liegt vor allem darin, daß die naturwissenschaftlichen Schriften so komplett ausgeschlossen bleiben: Die in der DDR entstandene Studienausgabe ist auf die poetischen, autobiographischen und kunstkritischen Schriften beschränkt (in diesen Bereichen allerdings bemerkenswert umfassend). Eine Auswahl der Briefe und die Gespräche mit Eckermann, die in der Berliner Ausgabe ebenfalls fehlen, werden auf der CD-ROM (gleichfalls nach Ausgaben des Aufbau-Verlags) ergänzend hinzugefügt. Auf die in der Berliner Ausgabe weitgehend aufgenommenen Vorarbeiten und Paralipomena verzichtet die elektronische Version ohne Not; ausdrücklich zu bedauern ist das Fehlen des Supplementbandes der Ausgabe, der zahlreiche Abbildungen vor allem der von Goethe besprochenen Kunstwerke enthält und eine wichtige Ergänzung zum Kommentar seiner kunstkritischen Schriften darstellt. Die übrigen Erläuterungen der Berliner Ausgabe sind anders als in der Digitalen Bibliothek dagegen aufgenommen; die CD bietet damit zusätzlich zum Text elektronischen Zugriff auch auf den umfangreichen Kommentar der Studienausgabe, der zwar nicht auf dem letzten Stand der Forschung, aber informativ und brauchbar ist.
Stichproben erweisen den Text selbst als zuverlässiger als den der Digitalen Bibliothek: so fehlen die arabischen und persischen Passagen des West-östlichen Divans hier ebensowenig wie die letzten vier Texte der »Aufzeichnungen und Aphorismen« in der Rubrik »Nachlese«; die Trennstriche zwischen den einzelnen Texten wurden beibehalten. Vergleichbare Ausfälle sind mir nicht aufgefallen.[23]
Im Vergleich mit der CD-ROM der Digitalen Bibliothek muß dies sowie auch die einheitliche Textgrundlage und die Aufnahme des Kommentars zunächst als deutlicher Pluspunkt erscheinen. Wendet man sich aber dem für die Brauchbarkeit einer elektronischen Edition entscheidenden Bereich der Nutzungsmöglichkeiten des elektronisch erfaßten Textes zu, wird diese positive Bilanz bedauerlicherweise ins Gegenteil verkehrt.
Anders als die Digitale Bibliothek ist die Bildschirmoberfläche der CD-ROM Zeit, Leben, Werk auch in der Abteilung »Werk« nicht an den Windows-Konventionen orientiert, sondern bietet eine Eigenentwicklung ohne skalierbare Fenster und nur in einer festen Auflösung von 640 x 480 Pixeln.[24]
Die Möglichkeiten der Orientierung und der Bewegung im Text lassen dabei zu wünschen übrig: Über die Startseite der Abteilung »Werk« wird einem lediglich die Möglichkeit geboten, einen der 22 Bände der Berliner Ausgabe zu öffnen. Nähere Informationen über den Inhalt dieser Bände fehlen hier. Zum Glück lassen sich über ein in der Menüleiste anzuklickendes interaktives Inhaltsverzeichnis jedoch auch die einzelnen Werke ansteuern. Hat man einen Text beziehungsweise einen Band geöffnet, kann man sich in diesem seitenweise vor- und zurückbewegen und darüberhinaus den Beginn des Kommentarteils, die der geöffneten Textseite entsprechende Seite der Erläuterungen wie auch Anfang und Ende des Bandes erreichen. Andere Formen der Bewegung sind offensichtlich nicht vorgesehen. Eine Kolumne zur Orientierung, in welchem Text man sich befindet, fehlt (angegeben werden lediglich Band- und Seitenzahl der Berliner Ausgabe) ebenso wie eine der »Mikrofiche«-Funktion der Digitalen Bibliothek vergleichbare Möglichkeit, einen Überblick über mehrere Seiten zu gewinnen. Über eine Lesezeichen-Funktion lassen sich jedoch Textstellen markieren, um sie später rasch wiederzufinden.
Der Text selbst wird vor einem irritierend marmorierten Hintergrund geboten, die Schrift ist zumindest auf einem großen Bildschirm aufgrund der geringen Auflösung nicht sehr gut lesbar (siehe Abbildung 2). Verbesserungsfähig scheinen mir auch die dem Nutzer zur Verfügung gestellten Hilfen: Das der CD-ROM beigelegte »Handbuch« ist lediglich ein dünnes Begleitheft, das viele Fragen offen läßt; die programminterne Hilfefunktion beschränkt sich auf die notwendigsten Angaben zu den verschiedenen Symbolen auf der Menüleiste.
Die für die Nutzung des elektronischen Textes entscheidende Suchfunktion schließlich ist wenig leistungsfähig: So läßt sich auf der Menüleiste zwar die Funktion »Volltextrecherche« auswählen, diese bietet aber – abgesehen von der notwendigen Entscheidung für eines der vier Hauptkapitel oder eines der beiden Nebenkapitel[25] der CD-ROM – keinerlei Möglichkeit einer Eingrenzung des Suchbereichs auf einzelne Werke oder auch nur auf Text oder Kommentar des Gesamtbestandes. Von differenzierten Suchfiltern ganz zu schweigen.[26]
Vor allem aber ist das Ergebnis der Suche aus verschiedenen Gründen kaum brauchbar. So verzeichnet die Trefferliste die Fundstellen ausschließlich mit ihrer internen Kodierung – so daß der Benutzer keinerlei Information darüber bekommt, wo im Gesamtwerk Goethes seine Treffer sich befinden. Zwar kann der Benutzer sich im nächsten Arbeitsschritt im Fenster »Vorschau des ausgewählten Textes« seine Treffer nun jeweils im Kontext anzeigen lassen. Erreichbar ist hier jeweils ein etwa 100 (Bildschirm-)Zeilen umfassender Textausschnitt, in dem sich irgendwo auch die (blau unterlegte) Fundstelle findet, die durch häufig langwieriges Scrollen jedoch erst ausfindig gemacht werden muß (zu sehen sind auf dem Bildschirm jeweils nur vierzehn bis fünfzehn Zeilen).[27] Ist man hier jedoch schließlich fündig geworden, ist der Fundort damit noch nicht identifiziert: aufgrund fehlender Angaben im »Vorschau«-Fenster muß der Benutzer selbst erkennen, um welchen Text es sich handelt. Gelingt ihm das nicht, bleibt ihm nur, über den Button »Gehe zu« in den ermitttelten Text zu wechseln, der sich dann – in Ermangelung eines Kolumnentitels – nur anhand einer gedruckten Version der Berliner Ausgabe oder aber durch geduldiges seitenweises Zurückklicken bis zum Textbeginn zweifelsfrei identifizieren läßt. Von hier aus unmöglich ist dann aber die Rückkehr zur Ergebnisliste der Suche; zur Identifizierung der weiteren Treffer wäre also von vorne zu beginnen (was man – zumal in Erinnerung an die effizienten Suchmöglichkeiten der Digitalen Bibliothek – spätestens nach der dritten Fundstelle entnervt aufgibt).
Die Ausschneidefunktion des Programms bietet lediglich die Möglichkeit, jeweils eine Textseite zur Weiterbearbeitung direkt auf die Festplatte zu speichern.[28] Ein Quellennachweis wird hier nicht automatisch angehängt.
Da auf eine direkte Link-Verknüpfung zwischen zu kommentierender Textstelle und entsprechender Erläuterung verzichtet wurde, bietet auch der konkrete Umgang mit dem Kommentar zumindest keine wesentlichen Vorteile gegenüber der Arbeit mit der gedruckten Ausgabe. Erfreulicheres aber ist von den anderen Teilen der CD zu berichten.
Der von Harald Gerlach extra für die CD-ROM verfaßte biographische Essay Gelassener Schritt am Rande des Abgrunds. Goethe oder wie man mit Krisen leben lernt kommt dabei am wenigsten zur Wirkung und kann mit den beiden anderen, multimedial angelegten Kapiteln nicht konkurrieren. Denn während man den Essay trotz einer Reihe von Hyperlinks lieber in gedruckter Form nachlesen würde (meine Versuche, ihn zusammenhängend auszudrucken, sind allerdings mißlungen), nutzen die beiden anderen Kapitel in vielfältiger und anregender Weise sowohl die Möglichkeiten der Multimedialität als auch die des Hypertexts.
Die Abteilung »Goethe und seine Zeit« bietet auf 83 Bildschirmseiten anregende und ausgesprochen vielseitige Einblicke in die »Allgemein-, Geistes-, Kunst-, Kultur-, Wissenschafts- und Wirtschaftsgeschichte der Jahre 1749-1832«. Ausgehend von Themen und Ereignissen aus den unterschiedlichsten Bereichen[29] ermöglichen die aus Bildern, Zitaten, knappen Erläuterungen und kurzen gesprochenen Texten gestalteten Seiten die Verknüpfung mit weiterführenden Informationen,[30] zahlreichen Dokumenten in Schrift, Ton und Bild[31] sowie einschlägigen Passagen aus Goethes Werk.
In der Abteilung zur »Wirkungsgeschichte« skizzieren ebenfalls über 80 ansprechend aufbereitete Bildschirmseiten wichtige Stationen der Goethe-Rezeption von den ersten Reaktionen auf den Götz bis zu den ›Goethestätten‹ der Gegenwart und bieten jeweils auf Wunsch den Zugang zu einer Fülle von relevanten Dokumenten (die sich auch direkt ausdrucken lassen, häufig allerdings nur im Auszug geboten werden). Für eine selbständige, von den vorgegebenen Zusammenhängen unabhängige Nutzung der verschiedenen Materialien würde man sich allerdings zusätzlich eine (im Idealfall interaktive) chronologisch und/oder alphabetisch geordnete Auflistung sämtlicher integrierten Dokumente wünschen.
Die beiden auf den ersten Blick vergleichbar scheinenden
Goethe-CD-ROMs sind also tatsächlich sehr unterschiedlich – und zwar
in entscheidenden Punkten. Während die erste ein brauchbares und im
Vergleich mit der zweiten CD-ROM ausgesprochen leistungsstarkes, auf
literaturwissenschaftlich-
philologische Bedürfnisse zugeschnittenes
Arbeitsinstrument bietet »für Menschen, die Bücher
lesen«,[32]
dessen Mängel vor allem Umfang und Zuverlässigkeit des zur
Verfügung gestellten Textkorpus betreffen, enthält die zweite CD-ROM
zwar einen gelungenen multimedialen Bilderbogen zu Goethes Zeit und Wirkung mit
einer Fülle von Informationen und Dokumenten, nicht aber das versprochene
ȟberaus effektive und
leistungsfähige«[33]
Werkzeug für die Arbeit mit dem Text.
Als ›Junior-Version‹ der elektronischen Fassung der Weimarer Ausgabe[34] kann also leider allenfalls die Ausgabe der Digitalen Bibliothek gelten.
Anne Bohnenkamp (München)
PD Dr. Anne Bohnenkamp
Institut für Allg. und Vergl. Literaturwissenschaft
Schellingstr. 3/RG
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