RAINER BAASNER/GEORG REICHARD (HG.): EPOCHEN DER DEUTSCHEN LITERATUR. AUF-
KLÄRUNG UND EMPFINDSAMKEIT. STUTTGART: RECLAM 1998. [PREIS: 49,90 DM].

RAINER BAASNER/GEORG REICHARD (HG.): EPOCHEN DER DEUTSCHEN LITERATUR. STURM UND DRANG. KLASSIK. STUTTGART: RECLAM 1999. [PREIS: 49,90 DM].

Wäre Goethe eine Rezension der Epochen der deutschen Literatur angetragen worden, dann hätte er sich des Prinzips der ›wiederholten Spiegelungen‹ bedienen und auf zwei Passagen aus seinem Vorspiel auf dem Theater zum Faust verweisen können. Zunächst auf die konzilianten Worte des Theaterdirektors:

Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen,
Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
Wer Vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
(V. 95-98)

Sodann – als mephistophelische Relativierung – auf die Einschätzung der Lustigen Person:

Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt
Und nach und nach wird man verflochten [...]
In bunten Bildern wenig Klarheit,
Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit,
So wird der beste Trank gebraut,
Der alle Welt erquickt und auferbaut.
(V. 161f. u. 170-173)

Aber freilich ist dieser Verweis auf Goethe, bei dem bekanntlich nicht nur alles, sondern auch das Gegenteil steht,[1] allzu wohlfeil. Denn zunächst und vor allem beziehen sich die (zudem unvollständig) zitierten Passagen auf das Verfassen von Theaterstücken um 1800 und nicht von Literaturgeschichten um 2000. Zum anderen offerieren die beiden CD-ROMs überhaupt keine bunten, sondern nur schwarz-weiße Bilder, vom ›vielen Irrtum‹ und so weiter ganz zu schweigen. Aber wer weiß: Vielleicht können Goethes metadramatische Rollenverse – die, am Rande bemerkt, in den Faust-Auszügen auf der zweiten CD-ROM nicht enthalten sind – in unserem Zusammenhang doch einige Plausibilität beanspruchen...

Dies wird sich zeigen, wenn die Epochen der deutschen Literatur im Anschluß unter drei Aspekten betrachtet werden: Äußere Präsentation, Funktionalität sowie interner Aufbau.

Zunächst erscheint es jedoch angebracht, einige Grundinformationen voranzuschicken, um eine ungefähre Vorstellung zu ermöglichen. Die Autoren Rainer Baasner (Professor für Neuere Deutsche Literatur und Gründungsdirektor des Instituts für Multimedia und Datenverarbeitung in den Geisteswissenschaften an der Universität Rostock) und Georg Reichard (Autor von Multimedia- und Hilfesystemen in einer großen Software-Firma) präsentieren in den beiden Lieferungen der »erste[n] Literaturgeschichte auf CD-ROM« 100/120 Themenerläuterungen, 40/30 Autorenporträts und 180/200 Texte sowie jeweils circa 400 Bilder.

Die Themenerläuterungen (abrufbar über die Registerlaschen
»Überblick« und »Institutionen«) reichen – wie sich erst auf den zweiten Blick zeigt, teilweise systematisch gruppiert – von »Epochenbestimmung im 18. Jahrhundert« bis »Religion – Konfessionen – Säkularisierung« (Menü »Überblick«) sowie von
»Epoche: Aufklärung« bis »Münzwesen« (Menü »Institutionen«, beides CD-ROM Aufklärung und Empfindsamkeit, siehe Abbildung 1). Sie bestehen aus kurzen, zumeist zwei- bis dreiseitigen und zum Teil illustrierten Textblöcken, die eine Vielzahl von Hyperlinks zu anderen Themenerläuterungen, Autorenporträts oder konkreten Textbeispielen enthalten.

ÄUSSERE PRäSENTATION

Im Unterschied zu Literaturgeschichten in Printform,[2] mit denen das ›Hypertext-Informationssystem‹ von Baasner/Reichard in direkte Konkurrenz tritt, kauft man bei letzterem die Katze im Sack. Während bei anderen Literatur-CD-ROMs versucht wird, diesen medienbedingten Nachteil (Blättern kann man in CD-ROMs eben nur im übertragenen Sinne und in jedem Fall erst nach Kauf und Installation) durch gedruckte Beigaben unterschiedlicher Form wettzumachen,[3] geben sich die Epochen der deutschen Literatur in nahezu kompromißloser digitaler Konsequenz. Die Informationen im Booklet zu den CD-ROMs beschränken sich auf Fotos der Verfasser, Pressestimmen sowie technische Angaben. Auf ein Handbuch oder ähnliches wurde gar komplett verzichtet, so daß der Interessent für seine Kaufentscheidung lediglich die Rückseite der Verpackung zu Rate ziehen kann. Auch hier halten sich Verlag und Herausgeber jedoch mit Informationen eher zurück. Zwar wird erwähnt, daß »die erste Literaturgeschichte auf CD-ROM« in ihren beiden bisher erschienenen Lieferungen den oben angegebenen Vorrat an Themenerläuterungen, Autorenporträts, Texten, Bildern sowie »viele, viele hundert Links« bereithält, doch stehen diese Angaben im Schatten plakativer Slogans, zum Beispiel vom »Hypertext-Informationssystem, das für heutige und kommende Generationen von Literatur-Usern auf neue Weise ›Epoche macht‹« (Hervorhebungen alle im Original). Die Packungsaufmachung läßt vermuten: Angesprochen werden sollen ›Benutzer‹ von Literatur oder allgemeiner Texte, an hervorhebungsorientierte Überblickslektüre gewöhnt, vertraut damit, aus einem Informationsangebot selbst nach Interesse auszuwählen – mit einem Wort: Internet- beziehungweise Multimediabenutzer. Die globalisierende Ausweitung der Zielgruppe auf »alle, die sich privat mit Literatur beschäftigen« ist aus Absatzgründen so verständlich, wie die präzisierende Einschränkung auf »Schule (Oberstufe) und Studium (vor allem Grundstudium)« Verfasser und Verlag zur Ehre gereichen – allemal zutreffender erscheint mir das (für mich) neue Wort
»Literatur-User«.

FUNKTIONALITäT

Zählt man sich zu den Letztgenannten (oder möchte man zu ihnen zählen oder will man herausfinden, ob man zu ihnen zählen möchte...), dann kann man sich bei den Epochen der deutschen Literatur sicher sein, einiges für sein Geld zu bekommen. Auch wenn nicht überprüft werden konnte, ob die angegebenen Minimalvoraussetzungen (386DX/33, 4 MB RAM, MS Windows 3.1, 2fach CD-ROM-Laufwerk) tatsächlich ausreichend sind, wurden die CD-ROMs doch auf einem vergleichsweise wenig leistungsfähigen System (4684DX/100, 48 MB RAM, MS-Windows 98, 8fach CD-ROM-Laufwerk) getestet. Trotzdem funktionierte die Software in allen Funktionen nahezu problemfrei. Lediglich das mitgelieferte Deinstallations-Programm hinterließ auf der Festplatte das Zielverzeichnis samt ungefähr 3 MB elektronischem Restmüll (beides ließ sich allerdings problemlos nachträglich löschen). Leichte Installation, benutzerfreundliche (das heißt übersichtliche, schnörkellose und in Font- und Fenstergröße individuell einstellbare) Navigationsoberfläche, bequeme Exportmöglichkeiten für Text und Graphik (über die Zwischenablage), Vergrößerungsoption sowie teilweise Detailinformationen für Bildelemente der erstaunlich hochqualitativen Illustrationen (Rollover) – all dies sind Vorteile der Epochen der deutschen Literatur, an denen man auch ohne High-End-PC seine Freude haben kann.

Problematischer wird es bei der Suchfunktion. Viereinhalb Minuten für die Ermittlung sämtlicher 54 Vorkommen von »Shakespeare« beziehungsweise fünfeinhalb Minuten für die Kombinationssuche nach »Shakespeare UND Goethe« (drei Fundstellen) auf der CD-ROM Sturm und Drang. Klassik sind wenig erfreuliche Wartezeiten; auf leistungsfähigeren PCs fallen sie allerdings wesentlich kürzer aus.


Abb. 2: Dialogbox »Suchen«.

Überhaupt läßt sich gerade anhand der Suchmaschine deutlich erkennen, wo die Grenzen dieses ›Hypertext-Informationssystems‹ liegen, das heißt welche Aufgaben man mit ihm nicht lösen kann und – so meine Vermutung – auch nicht lösen können soll.

Zunächst muß man feststellen, daß die Bildlegenden nicht mit erfaßt werden – ein Manko, das auch nicht durch ein Abbildungsverzeichnis ausgeglichen wird. Die Verfasser der CD-ROMs, die beträchtlichen Aufwand in die Graphiken investiert haben (Bildvorlagen und -rechte, hohe Auflösung, zum Teil Rollover, Exportfunktion), degradieren sie damit zu bloßen Ergänzungen des Textes, die vorwiegend dekorative statt informative Funktion[4] erfüllen. Am deutlichsten sichtbar wird dieses Abhängigkeitsverhältnis des Bildes vom Wort an den – freiwillig oder unfreiwillg komischen – Stellen, wo selbst das Fehlen einer Illustrationsmöglichkeit visualisiert wird (siehe Abbildung 3).

Darüberhinaus läßt die Reduktion der multimedialen Möglichkeiten der CD-ROM auf eine eng gefaßte Hypertext-Nutzung Fragen und Wünsche offen.

So nachvollziehbar der Verzicht auf 3D-Graphiken, Sound- und Videoelemente aus Kostengründen ist, so wenig vermag Baasners pauschale Verdammung dieser Elemente in die ›Cyber-World notorischer Computerfreaks‹ und ihr Ausschluß aus den »meisten, auch populären geisteswissenschaftlichen Darstellungen«[5] zu überzeugen. Bestimmte Themen, wie zum Beispiel die technische Seite der Buchherstellung (siehe: CD-ROM Aufklärung und Empfindsamkeit/Institutionen/Buchherstellung I und II) bieten sich wohl nicht nur aufgrund »anfänglich reißerische[r] Qualitäten«[6] für animierte und/oder interaktive graphische Präsentationsformen an. Schlichtweg unverständlich bleibt das komplette Fehlen farbiger Abbildungen. Hier können weder ›rascher Überdruß‹ noch finanzielle oder speicherplatzbedingte[7] Beschränkung als Gründe geltend gemacht werden. Als Ursache läßt sich wohl eher die schon beobachtete konzeptionelle Geringschätzung der Bildelemente vermuten. Im Extremfall führt dies dazu, daß (bei eigens neu angefertigten Aufnahmen!) in paradoxem medialem Funktionswechsel in der Bildlegende beschrieben werden muß, was man auf dem Schwarz-Weiß-Photo nicht sehen kann (siehe Abbildung 4).

Ein weiterer und einschneidenderer Mangel der Suchmaschine besteht in der fehlenden Möglichkeit, die einmal gewonnenen Rechercheergebnisse abzuspeichern und für spätere Nutzung bereitzuhalten.[8] Daß dies durchaus möglich ist, hat die Digitale Bibliothek bereits 1997 unter Beweis gestellt.[9] Erschien die Reduktion auf Bimedialität bei klarer Dominanz der Schrift als konzeptionelle Schwäche der Epochen der deutschen Literatur, so läßt sich die Ahistorizität der Suchfunktion zugespitzt als konzeptionelle Konsequenz des ›Hypertext-Informationssystems‹ von Baasner/Reichard bezeichnen. Der Gegensatz zum Medium Buch tritt hier besonders deutlich hervor: Offenbar will oder soll sich der angesprochene »Literatur-User« die angebotene Informationsfülle nicht im althergebrachten Sinne durch allmählich fortschreitende und vor allem nachvollziehbare Strukturierungsleistung aneignen. Die bekannten Hilfsmittel dafür – Anstreichungen, Lesezeichen, Kommentare –, allesamt elektronisch reproduzierbar, werden auf den CD-ROMs nicht zur Verfügung gestellt. Über die mittels History-Funktion rückverfolgbaren Schritte der Einzelsitzung hinaus verliert die Benutzung damit jegliche manifeste zeitliche Dimension.[10]

INTERNER AUFBAU

Fehlt es also einerseits an Möglichkeiten der individuellen Strukturierung durch den ›User‹, so kann man andererseits gegenüber den Machern der Epochen der deutschen Literatur sicher nicht den Vorwurf erheben, sie hätten mit Hervorhebungen gegeizt. Im Gegenteil: Was auf der Packungsrückseite noch als werbewirksame Blickfangtechnik erscheinen mag, erweist sich als Präsentationsprinzip auch im ›Inneren‹ der CD-ROMs. Abgesehen von den Werkauszügen findet sich der Benutzer permanent mit Texten konfrontiert, die eine Vielzahl von unterschiedlichen Markierungen (schwarz fett, blau unterstrichen sowie blau fett und unterstrichen) aufweisen – nicht selten mehrere pro Satz. Es ist nahezu unmöglich, sich gegen diese aggressive Form der Lektüresteuerung zu wehren.[11] Die – offensichtlich beabsichtigte – Folge ist ein Springen von Hervorhebung zu Hervorhebung und von Hyperlink zu Hyperlink. Das Nachvollziehen von Argumentationszusammenhängen bleibt dabei weitgehend auf der Strecke. Allerdings wird auf längere Gedankengänge ohnehin verzichtet. Erstrecken sich doch – wie bereits eingangs erwähnt – die über die Registrierlaschen »Überblick« beziehungsweise »Institutionen« abrufbaren Ausführungen zu »Grund- und Rahmenbedingungen der Literaturentwicklung« beziehungsweise ›detaillierteren Informationen‹ darüber, was »als feste Größe unter den Zeitgenossen« galt (CD-ROM Aufklärung und Empfindsamkeit/Überblick/Zu dieser CD-ROM), selten über mehr als zwei Seiten. Und zwar mit ›gutem‹ Grund:

Im Text sind an fast jeder Stelle (zusammenhang- und sinnstiftende) Anschlüsse unterschiedlicher Art möglich. Wenn die syntaktischen und semantischen Strukturen zwischen den verschiedenen Textelementen einer Hypertext-Anwendung invariabel gehalten werden, ferner die Syntax bildschirmgerecht einfach gerät, sind Sprünge aus dem Text in den Kontext eines neuen Fensters leicht möglich und sinnvoll durchführbar. Ziel muß es sein, daß das Weiterlesen nach einem Sprung den Lesefluß nicht wesentlich unterbricht. Dies sicherzustellen ist schwierig, hat aber zugleich den Vorteil, daß narrative (Groß-)Formen, wie sie oft in geisteswissenschaftlichen Darstellungen verwendet werden, überwunden werden.[12]

Diesen konzeptionellen Ausführungen Rainer Baasners soll hier keineswegs vorbehaltlos zugestimmt werden. Dennoch hätten sie – ebenso wie seine Bemerkung zur weitgehenden Abhängigkeit des Nutzers von der vorgegebenen Strukturierung[15] – auf den CD-ROMs (oder besser noch: in den vor dem Kauf zugänglichen Paratexten) den Benutzern beziehungsweise Interessenten zugänglich gemacht werden sollen. Statt dessen findet sich auf der CD-ROM Aufklärung und Empfindsamkeit die verharmlosende Formulierung: »Die Lesegewohnheiten aus der Bücherwelt werden durch das neue Medium ein wenig gestört« (Überblick/Zu dieser CD-ROM).[14]

Zutreffender ist zweifellos im selben Zusammenhang die Rede vom »Labyrinth des literaturgeschichtlichen Grundwissens«, in dem jeder Benutzer seine eigenen ›Pfade anlegen‹ muß. Allerdings zunächst nur in bezug auf die von Baasner/Reichard gewählte Präsentationsform. Tatsächlich ist es bei der strukturell angelegten sprunghaften Benutzung im wahrsten Sinne des Wortes vorprogrammiert, daß der »Literatur-User« von den ohnehin kurzen ›Hauptwegen‹ per Hyperlink in Abzweigungen gerät und schließlich in Sackgassen endet, von wo aus er sich mit Hilfe des Ariadnefadens der History-Funktion wieder zum Ausgangspunkt zurückfinden kann.

Doch bietet diese Ersetzung chronologischer und/oder kausaler Entfaltung eines Themas durch »kurze, komplexitätsreduzierte Darstellungen« in »mosaikförmige[r] Struktur«[15] tatsächlich eine Alternative oder gar eine ›epochemachende‹ Verbesserung für diejenigen, die Literaturgeschichte verstehen möchten? Allgemeiner gefragt: Ist die Darstellung von historischen Prozessen überhaupt möglich durch mehr oder minder aleatorische, in jedem Falle jedoch nicht-narrative Verknüpfung von stark vereinfachenden ›Mini-Erzählungen‹ und Sacherklärungen, das heißt ohne das – freilich immer auch konstruierende – Nachzeichnen von untereinander verknüpften mittel- und langfristigen Entwicklungssträngen mit Ausgangs- und Zielpunkt, Konflikten und Lösungen, Ursachen und Wirkungen?

Rainer Baasner selbst sieht eine grundsätzliche Gefahr hypertextueller Darstellung komplexer Themen darin, »daß das Zerbrechen zusammenhängender Strukturen der Darstellung [...] zur Auflösung des Problemhorizontes, ja der geisteswissenschaftlichen Erkenntnis überhaupt, führt.«[16] Begegnet werden könne dem jedoch durch die sinnerzeugende »Anlage geeigneter Hyperlinks«.[17]

Ich hege prinzipielle Zweifel, ob man auf dem Wege absolut gleichberechtigter Verknüpfung fast ebenso gleichberechtigt präsentierter Textelemente, also bei weitgehendem Verzicht auf Hierarchisierung, kausale und chronologische Verknüpfung, komplexe Probleme angemessen darstellen kann. Ja, um bei dem von den Verfassern gewählten Bild zu bleiben: Wie kunstvoll auch immer sie die Wege in ihrem Labyrinth angelegt haben mögen – bei meiner Benutzung der Epochen der deutschen Literatur hatte ich niemals den Eindruck, auf einen alles verbindenden Problemhorizont zu blicken, noch gar die Vermutung, in der Mitte des Irrgartens eine Erkenntnis stiftende Lösung dieses Problems finden zu können. Gefunden habe ich Anderes, das allerdings in reichem Maße: Informationen aus den verschiedensten Lebens- und Wissensbereichen des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, wertvolle (und zudem nicht selten schwer zugängliche) literarische Zeugnisse, allerdings häufig nur in Auszügen, dafür jedoch mit vorangestellten Kurzcharakteristiken und zum Teil Inhaltsangaben, eine Fülle von Autorenporträts (im wörtlichen und übertragenen Sinne) sowie nicht zuletzt: einige überraschende Querverbindungen, Kondensationskerne für Fragen, deren Beantwortung jenseits von Angebot und Anspruch der beiden CD-ROMs liegt.[18]

Aber freilich gehöre ich nicht zur unmittelbaren Zielgruppe von Baasner und Reichard: Es bliebe mithin zu klären, ob sich einerseits tatsächlich ein Wandel in den Formen der Aneignung und Strukturierung von Wissen vollzogen hat beziehungsweise vollzieht (vielleicht werden die Fragen nach dem Warum, Wann und Wozu tatsächlich unwichtiger?) sowie andererseits, ob die in den Epochen der deutschen Literatur vorgelegte Präsentationsweise dieser Veränderung gerecht wird. Und darüber entscheiden die »Literatur-User«. Liegen die Verfasser der CD-ROMs richtig – so könnte Goethe, wiederum aus dem Vorspiel auf dem Theater zitierend, diese Rezension schließen –,

Dann sammelt sich der Jugend schönste Blüte
Vor eurem Spiel und lauscht der Offenbarung [...]
Dann wird bald dies bald jenes aufgeregt,
Ein jeder sieht was er im Herzen trägt.
(LUSTIGE PERSON, V. 174f. u. 178f.)

Sebastian Donat (München)

Dr. Sebastian Donat
Institut für Allg. und Vergl. Literaturwissenschaft
Schellingstr. 3/RG
80799 München
s.donat@lrz.uni-muenchen.de

(2. Oktober 2000)


[1] Vgl. Adolf Muschg: Ein Brief. Goethes Lebenstraum. Der Klassiker als Grenzphänomen. In: Margrit Wyder (Hg.): Bis an die Sterne weit? Goethe und die Naturwissenschaften. Frankfurt a. M.: Insel 1999, S. 177-209, hier: S. 179.
[2] Oder digitalisierten Büchern, wie der kürzlich erschienenen CD-ROM-Version von Viktor megaè (Hg.): Geschichte der deutschen Literatur. Vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Digitale Bibliothek, Bd. 24. Berlin: Directmedia Publishing 1999.
[3] Vgl. z.B. Mathias Bertram (Hg.): Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka. Digitale Bibliothek, Bd. 1. Berlin: Directmedia Publishing 1997 mit aussagekräftigen Angaben zum Inhalt (Textauswahl und -umfang, bio- und bibliographische Angaben) und zum Funktionsumfang der CD-ROM (Suchwerkzeuge, Lesezeichen- und Druckfunktion usw.) bereits auf der Verpackung, ergänzt durch weiterführende Informationen im Booklet und eine Übersicht zu den Autoren und Werken in Posterform.
[4] Das ist genau das Gegenteil dessen, was Rainer Baasner selbst für die Konzeption von Hypertext-Systemen empfiehlt, nämlich die Konzentration auf »Textelemente und rein informative statt dekorative Graphiken« (Rainer Baasner: Digitalisierung – Geisteswissenschaften – Medienwechsel? Hypertext als fachgerechte Publikationsform. In: Jahrbuch für Computerphilologie 1 [1999], S. 11-20. Hier: S. 19.).
[5] Ebd., S. 17.
[6] Ebd.
[7] Auf beiden CD-ROMs sind um die 300 MB, also deutlich weniger als die Hälfte des zur Verfügung stehenden Speicherplatzes, belegt.
[8] Über einen Rollbalken ist lediglich eine Liste der letzten zehn Suchausdrücke abrufbar – günstigstenfalls spart man sich so das erneute Eintippen der Begriffe.
[9] Vgl. die Rezension von Fotis Jannidis zu: Mathias Bertram (Hg.): Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka. Digitale Bibliothek, Bd. 1. Berlin: Directmedia Publishing 1997. In: Jahrbuch für Computerphilologie 1 (1999), S. 161-167, bes. S. 164-166.
[10] Abgesehen von der o.a. Liste der letzten zehn Suchausdrücke (vgl. Fußnote 8).
[11] Da die Markierungen über die Anzeigeoptionen nicht abgeschaltet werden können, führt der einzige Weg zur selbständigen, d.h. nicht vorstrukturierten Lektüre über den Export in eine Textverarbeitung. Dort fallen alle Hervorhebungen (einschließlich der Hyperlinks) weg.
[12] Rainer Baasner: Digitalisierung – Geisteswissenschaften – Medienwechsel?, S. 19. (Fußnote 4).
[13] Vgl. ebd., S. 20.
[14] Die entsprechende Formulierung auf der zweiten CD-ROM verzichtet zwar auf Verniedlichung, ist jedoch nicht viel aussagekräftiger: »Die Lesegewohnheiten aus der Bücherwelt werden durch das neue Medium verändert« (Überblick/Zu dieser CD-ROM).
[15] Rainer Baasner: Digitalisierung – Geisteswissenschaften – Medienwechsel?, S. 19. (Fußnote 4).
[16] Ebd.
[17] Ebd., S. 20.
[18] Da zu hoffen steht, daß dies keine exklusive Erfahrung des Rezensenten ist, muß auf ein weiteres Manko der Epochen der deutschen Literatur hingewiesen werden: das nahezu völlige Fehlen von Angaben zur verwendeten und weiterführenden Literatur – abgesehen von den komplett bibliographisch nachgewiesenen Textbeispielen.