Der Beitrag informiert über ein in der germanistischen Mediävistik angesiedeltes Lehrmittelprojekt an der Universität Trier, dessen Ziel es ist, einige Aspekte der Einführung in die historische Sprachwissenschaft mit Hilfe multimedialer Komponenten leichter verstehbar zu machen. Nach einleitenden Bemerkungen zur Zielgruppe, zur didaktischen Konzeption und zur allgemeinen Vorgehensweise im Projekt werden drei Kernbereiche der bisher entwickelten Multimedia-Materialien ausführlich vorgestellt: 1. Animierte Kartensequenzen zur Gliederung des deutschen Sprachraums in Mundarten und zur zweiten Lautverschiebung, 2. ›Kurzfilme‹ zur Artikulation und zur Phonetik und 3. eine (exemplarische) multimediale Texterschließung am Beispiel von Bruder Hermanns Leben der Yolanda von Vianden, die historische Umfeldinformationen ebenso berücksichtigt wie die sprachwissenschaftlich-grammatische Kommentierung der moselfränkischen Vita. Ein Ausblick zeigt weitere Perspektiven auf und betont die Relevanz der projektinternen Arbeiten zur Vermittlung sogenannter ›Schlüsselqualifikationen‹.
Wir möchten in unserem Beitrag über die laufende Arbeit eines Projektes berichten, das im Fach Germanistik an der Universität Trier angesiedelt ist und in dessen Rahmen multimediale Unterrichtsmaterialien für das Grundstudium im Fachteil Ältere deutsche Philologie erstellt werden. Diese Materialien werden von einem größeren Team von Lehrenden und Studierenden erarbeitet, für die die Autoren hier stellvertretend berichten.[1]
Nach ersten Informationen über die Gliederung des Fachs Germanistik an der Universität Trier und der Stellung der Älteren deutschen Philologie innerhalb der Germanistik (1.1) umreißt unser Beitrag einige didaktische Probleme, die aufgrund mangelnder schulischer Voraussetzungen auftreten können, wenn den Studienanfängern Grundkenntnisse in der historischen Sprachwissenschaft vermittelt werden sollen (1.2). Ein zweiter Abschnitt schildert die Zusammensetzung der Arbeitsgruppe wie die Organisation der Projektarbeiten (2.1) und diskutiert den Einsatz von Internetmaterialien im Unterricht (2.2). Der Hauptteil unseres Artikels beschreibt Konzeption und theoretische Schwerpunktsetzung des Projekts (3.1) und stellt drei ausgewählte Bereiche der bisher entwickelten Materialien in extenso vor (3.2). Ein Schlußwort betont die Bedeutung des Projekts nicht nur für die akademische Lehre, sondern auch für die Qualifikation der am Projekt beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (4).
Die Germanistik an der Universität Trier[2] ist in drei beziehungsweise. vier Fachteile gegliedert. Das Grundstudium 1. der Germanistischen Linguistik (Neuere Sprachwissenschaft), 2. der Neueren deutschen Literaturwissenschaft und 3. der Älteren deutschen Philologie muß von jedem Studierenden der Germanistik absolviert werden. Der Besuch von Veranstaltungen in 4. der Jiddistik ist demgegenüber nicht verpflichtend, doch können jiddistische Veranstaltungen als gleichwertiger Ersatz für bestimmte Pflichtseminare eintreten.[3]
Da das Grundstudium dem Erwerb von grundlegenden Fähigkeiten und Kenntnissen sowie einem möglichst breiten Überblick über den Gegenstandsbereich des Faches gewidmet ist, müssen in jedem Pflichtbereich je drei – meist benotete – Proseminare (PS I-III) absolviert werden. Im folgenden benennen und charakterisieren wir lediglich die Proseminare der Älteren deutschen Philologie:
• Proseminar I (zwei Semesterwochenstunden): Einführung in die historische Sprachwissenschaft anhand des Mittelhochdeutschen unter besonderer Berücksichtigung des Althochdeutschen. Nachweis der erfolgreichen Teilnahme durch Abschlußklausur: In diesem Proseminar werden Grundlagen der historischen Sprachwissenschaft durch einen Überblick über die sprachlichen Entwicklungen vom Indogermanischen bis zum Neuhochdeutschen vermittelt. Schwerpunkte sind die historische Laut- und Formenlehre; besprochen werden zumeist die erste (germanische) und zweite (hochdeutsche) Lautverschiebung, die frühneuhochdeutsche Monophthongierung und Diphthongierung, der kombinatorische Lautwandel (i-Umlaut) sowie das Verbsystem, wobei besonders die starken Verben und die Präteritopräsentia berücksichtigt werden.
• Proseminar II (zwei Semesterwochenstunden): Analyse zentraler Texte des hohen und späten Mittelalters: Mittelhochdeutsche Lektüre für Anfänger. Teilnahmebescheinigung auf Grund aktiver Teilnahme: Dieses Proseminar übt vor allem die verstehende Lektüre mittelalterlicher Texte ein und führt an den Gebrauch der wissenschaftlichen Handbücher und Nachschlagewerke heran. In diesem Rahmen werden die Studierenden häufig zum ersten Mal in ihrer schulischen und akademischen Ausbildung mit einem mittelalterlichen Text konfrontiert.
• Proseminar III (zwei Semesterwochenstunden): Einführung in die literaturwissenschaftliche Arbeitsweise der Mediävistik und in das Übersetzen aus dem Mittelhochdeutschen. Nachweis der erfolgreichen Teilnahme durch Abschlußklausur oder Hausarbeit: Als thematisches Proseminar führt diese Veranstaltung schließlich in die mediävistische, besonders die literaturwissenschaftliche Arbeitsweise ein.
Ferner empfiehlt die Studienordnung dringend, die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten auch durch Selbststudium zu erwerben (wie Fußnote 3, § 12,1).
Christoph Gerhardt, der die Anregung zu dem hier beschriebenen Projekt gab, wurde im Laufe seiner langjährigen Lehrtätigkeit immer wieder mit der Tatsache konfrontiert, daß vor allem das Proseminar I der Älteren deutschen Philologie zu den schwierigsten – und gewiß auch unbeliebtesten – Seminaren innerhalb der Germanistik gehört. Die Beschäftigung mit historischer Laut- und Formenlehre vom Indogermanischen bis zum Neuhochdeutschen stellt für alle Studierenden eine der größten Hürden im Grundstudium überhaupt dar, denn aufgrund mangelnder schulischer Voraussetzungen in diesem Bereich sind sie von dem Stoff zumeist überrascht und nicht selten überfordert.
Die größten Schwierigkeiten bereiten offensichtlich die Abstraktheit und die theoretische Herangehensweise, die ›relative Ferne‹ des Stoffes zur Gegenwartssprache sowie der Prozeßcharakter vieler sprachlicher Phänomene. Wiederholungen, anhand derer der Stoff besser eingeübt werden könnte, sind aus Zeitmangel nicht möglich. Aus diesem Grund wurden Materialien konzipiert, die zum einen mehr Anschaulichkeit und mehr Gegenwartsbezug in den Stoff bringen können, oder anders ausgedrückt: Materialien, die abstrakte Prinzipien visualisieren und zu Gehör bringen. Zum andern können die Materialien für das Selbststudium herangezogen werden, wobei interaktive Übungskomponenten individuelle Leistungskontrollen ermöglichen.
Gerade die neuen Medien bieten hier wirkungsvolle Einsatzbereiche und sind aus verschiedenen Gründen zur Vermittlung sprachwissenschaftlicher Prinzipien besonders geeignet: Ihre Darstellung ist in der Regel auf die Verbindung von Text-, Ton- und Bildmaterialien (Hypermedia-Umgebung) angewiesen. Darüber hinaus bietet gerade Computeranimation – also bewegte, kommentierte Bilder – im Gegensatz zum statischen Bildmedium die Möglichkeit, den Prozeßcharakter sprachlicher Vorgänge adäquat zu visualisieren und akustisch zu vermitteln.
Auch die Literaturwissenschaft (PS II und III) kann von der multimedialen Aufbereitung profitieren, denn bei der Behandlung mittelalterlicher Literatur müssen aufgrund ihrer Alterität mehrere Hemmschwellen überwunden werden: Neben der Sprachbarriere und den oft fremden literarischen Formen (zum Beispiel Versroman) haben nicht zuletzt die fremde Sachkultur und der fremde kulturell-historische Hintergrund große Verständnisschwierigkeiten zur Folge.[4] Erläuternde Begleitmaterialien können den Zugang zu einem mittelalterlichen Text also erleichtern und Hemmschwellen abbauen.
In der Trierer Arbeitsgruppe haben sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus ganz verschiedenen Bereichen zusammengefunden: Fachwissenschaftler (Germanistik) sind ebenso beteiligt wie Schuldidaktiker, Informatiker, Computerlinguisten, Medienwissenschaftler und Kartographen (vergleiche Fußnote 1). Die Gruppe ist außerdem so zusammengesetzt, daß sowohl Hochschuldozenten wie Studierende, Lehrende im Schuldienst wie Schüler und Schülerinnen an der Entwicklung der Materialien mitarbeiten. Diese Zusammensetzung entspricht der Forderung nach der Intensivierung des Dialogs von Lehrenden und Lernenden einerseits, von Schule und Hochschule andererseits. Der wechselseitige Transfer von wissenschaftlichen Ergebnissen und Methoden an die Schule sowie didaktischer Praxis an die Universität wird nachhaltig gefördert. Dabei werden die Möglichkeiten der neuen Medien konsequent genutzt, um wissenschaftliche Ressourcen ökonomisch einzusetzen und weiterzuvermitteln.
Der experimentelle Charakter des Projekts und die rasanten Entwicklungen auf dem Gebiet der Informationstechnologie machten von Beginn an die Suche nach Kooperationspartnern notwendig, die ansonsten für die Sprachwissenschaft eher ungewöhnlich sind. Gerade diese Zusammenarbeit hat die Projektarbeit jedoch außerordentlich befruchtet und zu neuen Konzepten geführt.[5]
Die Senatskommission für Lehre und Weiterbildung an der Universität Trier sowie der Fachbereich II (Sprach- und Literaturwissenschaften) haben das Projekt in den Jahren 1999 und 2000 finanziell gefördert, die Fachkolleginnen und Fachkollegen und die Geschäftsführung der Germanistik haben die Propagierung der Materialien zum Beispiel für Tutorien, für das Selbststudium und als Ergänzung des Lehrangebots in jeder Weise unterstützt.[6]
Die grundsätzliche Frage, warum Multimedia in der germanistischen Lehre an Schule und Hochschule notwendig eingesetzt werden muß, soll hier einleitend zumindest angerissen werden.[7] Zahlreiche Lebensbereiche sind bereits von der Arbeit mit dem Computer geprägt. Insbesondere das Internet wird immer unentbehrlicher für die Suche von wissenschaftlich relevanten Informationen zu allen Themenbereichen. Nicht nur wer solche Dienste nutzt, sondern auch derjenige, der aus Überzeugung darauf verzichtet, wird Kompetenzen entwickeln müssen, um sich mit den neuen kommunikativen Möglichkeiten auseinanderzusetzen, denn der Zugang zu und damit auch der Umgang mit dem Internet wird für Kinder und Jugendliche zunehmend selbstverständlicher. Bei vielen Lehrenden herrscht hingegen häufig ablehnende Skepsis beziehungsweise eine abwartende Distanz vor, und dies hat unter anderem folgende Ursachen: Die vertrauten Rollen zwischen Lehrenden und Lernenden lösen sich bei der computergestützten Arbeit auf. Die jüngeren Lernenden sind häufig technisch überlegen und führen von sich aus neue Fakten, Bewertungen, Überzeugungen und Vorgehensweisen in den Unterricht ein, sie beeinflussen den Unterrichtsverlauf also aktiv. In ungeplanter und oft auch unvorhersehbarer Weise eignen die Lernenden sich Wissen an und nehmen ›ihr‹ Lernen in die eigene Hand.
Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die kategorische Ablehnung des Internets nur noch dann möglich ist, wenn man darauf verzichten will, die Beschaffung, Verarbeitung und Darstellung von Wissen wirkungsvoll zu unterstützen. Doch bezieht man die neuen Medien in die Unterrichtsgestaltung mit ein, ist ein Umdenken auch der Lehrenden notwendig. Dies bedeutet keineswegs, daß herkömmliche Verfahren des Lehrens und Lernens aufgegeben werden. Die Verwendung des Internets beziehungsweise des Computers im Deutschunterricht an der Schule beziehungsweise in den Seminaren zur Mediävistik an der Hochschule soll vielmehr andere Akzentuierungen innerhalb des Zusammenhangs von Lehr- und Lernfunktionen zulassen. Der Einsatz des Internets soll vor allem Lernprozesse anregen und das Lernen durch die interaktive Ausrichtung auf eine neue Weise bereichern. Begünstigt wird damit das entdeckende Lernen sowie das Lernen in virtuellen Umgebungen.
Die Materialien unseres Projekts verstehen sich in ihrer Grundkonzeption als Begleitmaterialien zu den germanistischen Proseminaren beziehungsweise zum Grundstudium – sie wollen und können das ›konventionelle‹ Diskussionsseminar nicht ersetzen, sondern vielmehr ergänzen im Hinblick auf einen anders gelagerten, didaktisch aufbereiteten Zugang zur Materie der Proseminare – und zum Deutschunterricht.[8] Daher sind die Ergebnisse des Projekts auch keine Forschungsbeiträge im engeren Sinne, sondern Umsetzungen von ›gesichertem‹ propädeutischen Handbuchwissen in eine neue Darstellungsform, die die Möglichkeiten der neuen Medien konsequent ausnutzt. Gemeinsames Prinzip bei der Konzeption der einzelnen Komponenten war immer eine besondere didaktische Herangehensweise: 1. Ausgangspunkt ist jeweils ein spezieller Gegenwartsbezug, 2. der Prozeßcharakter der Vorgänge wird abgebildet, 3. die einzelnen ›Medien‹ ergänzen einander in ihrem Informationsangebot.
Im folgenden sollen die Materialien selbst ausführlich vorgestellt werden.
Das Vorhaben zielt darauf ab, sprachwissenschaftliche Prinzipien, die Themenbereiche und Problemfelder des Proseminars I, mit Hilfe von Computeranimationen und von Tonbeispielen zu veranschaulichen. Dabei stehen vor allem Prozesse, Abläufe, Bewegungen und Migrationen im Vordergrund, die in den ›traditionellen‹ Medien schwer oder gar nicht darzustellen sind. Darüber hinaus soll auch die literaturwissenschaftliche Arbeitsweise und der Gebrauch wissenschaftlicher Grundlagenwerke eingeübt werden; entsprechende Kenntnisse und Fertigkeiten werden mit der exemplarischen Erschließung eines ausgewählten Textstückes vermittelt.
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die realisierten und geplanten Vorhaben der Projektgruppe, die sich für den sprachwissenschaftlichen Teil im wesentlichen nach den Schwerpunkten des PS I richten. Die unter 2 und 3 sowie 5 und 7 aufgeführten Komponenten werden im Abschnitt 3.2 dieses Beitrags ausführlich vorgestellt.
1. |
Die Vorgeschichte des Deutschen |
1.1 |
Indogermanen- und Germanen-Migrationen (in Arbeit) |
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2. |
Lautverschiebungen |
2.1 |
Sequenzen zur Ersten Lautverschiebung (in Arbeit) |
2.2 |
Sequenzen zur Zweiten Lautverschiebung |
2.2.1 |
Sequenz 1: Die dialektale Gliederung des deutschen Sprachraums |
2.2.2 |
Sequenz 2: Der Stand der Zweiten Lautverschiebung als Kriterium für die Gliederung des deutschen Sprachraums |
2.2.3 |
Sequenz 3: Erläuterungen zur Zweiten Lautverschiebung anhand kommentierter Tonbeispiele deutscher Dialekte (Wenkersätze) |
2.2.4 |
Interaktive Dialektkarte mit Tonbeispielen (Wenkersätze aus verschiedenen Dialektgebieten) |
2.3 |
Weitere Kriterien und Beispiele, die die Gliederung des deutschen Sprachraums erläutern, zum Beispiel Namenkarten (in Planung) |
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3. |
3D-Geländemodell des ›Rheinischen Fächers‹ (GIS, in Zusammenarbeit mit dem MPI für Informatik/Saarbrücken) |
3.1 |
›Flug‹ von Süd nach Nord: Straßburg – Speyer – Trier – Köln – Venlo (in Arbeit) |
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4. |
Monophthongierung und Diphthongierung (in Planung) |
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5. |
Phonetische und physische Grundlagen des Sprachwandels – Artikulation |
5.1 |
Erläuterung des Artikulationsvorgangs |
5.2 |
Erläuterung der Ultraschallaufnahmen |
5.3 |
Beispiele: Zungenbrecher, i-Umlaut, Vokalharmonie |
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6. |
Dialekte und Dialektologie im Mittelalter |
6.1 |
Zusammenstellung und Kommentierung metasprachlicher mittelalterlicher Äußerungen zum Thema »Deutsche Dialekte« |
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7. |
Exemplarische Texterschließung (auch Schulprojekt) |
7.1 |
Hypermedia-Aufbereitung von Bruder Hermanns Vita der Yolanda von Vianden |
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8. |
Bedeutungswandel (auch Schulprojekt) |
8.1 |
Animierte Schemata der Wortfelder ›Frau‹ und ›Mann‹; Korrelation verschiedener Aspekte des Bedeutungswandels: diachronisch, diastratisch, diatopisch, et cetera (in Arbeit) |
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9. |
Interaktive Komponenten zum Einüben und Abprüfen des Gelernten |
9.1 |
Praxis Textbestimmung: dialektale Bestimmung von Texten, Markierung bestimmter Sprachveränderungen et cetera: erste Übungen fertiggestellt (in Arbeit) |
Die bei germanischer und hochdeutscher Lautverschiebung zu beobachtenden Prozesse werden im ›herkömmlichen‹ akademischen Unterricht von der Lautebene und somit von einem sehr hohen Abstraktionsgrad aus vermittelt.[9] Die Einteilung der modernen Dialekte, die auf den Ergebnissen der hochdeutschen Lautverschiebung beruht,[10] wird – in historischer Reihenfolge – dagegen erst im Anschluß an die Besprechung der Veränderungen im Sprachsystem erläutert. Uns schien es dagegen möglich und sinnvoll, gerade von der Gliederung heutiger Mundarten auszugehen, um zunächst den gegenwartssprachlichen Befund vorzustellen und diesen erst anschließend im Rückgriff auf die Zweite Lautverschiebung zu erklären.[11] Zudem schien dieser Themenkreis für unseren Ansatz geeignet, den eher abstrakten und theorielastigen Stoff des PS I mit größerer Anschaulichkeit zu vermitteln, weil die hier zu behandelnden Phänomene mit Hilfe bewegter Bilder gut verdeutlicht werden können.
Zur Erklärung wurden vier animierte Kartensequenzen erstellt, die sorgfältig aufeinander aufbauen. Grundlage für alle Animationen war die Grundkarte des Deutschen Sprachatlases.[12] Eine erste Sequenz zeigt zunächst, in welche großlandschaftlichen Dialektgebiete der deutsche Sprachraum – Luxemburg, Österreich und die deutschsprachigen Gebiete Belgiens, der Schweiz, Italiens, der Slowakei, Tschechiens und Polens werden berücksichtigt – gegliedert ist. Diese Gliederung wird anschließend als Resultat der Zweiten Lautverschiebung erklärt. Um die Anschaulichkeit der vorgestellten Gliederung zu vertiefen, bietet eine dritte Animation kommentierte Tonaufnahmen aus verschiedenen rezenten Mundarten, während schließlich eine interaktive Karte unkommentierte ausführliche Tonbeispiele bereitstellt. Nach der Darlegung der Fakten sowie der Einführung der wissenschaftlichen Terminologie erfolgt also zur Erklärung ein Rückgriff auf die historischen Grundlagen; mit den modernen Dialektbeispielen wird anschließend die Brücke zwischen abstrakter Theorie und lebendiger Praxis geschlagen.
Die Karten der Sequenzen 1, 2 und 3 werden jeweils von Nord nach Süd animiert. Mit dieser geographischen Ausrichtung soll keine Theorie zur zeitlichen oder örtlichen Ausbreitung der Zweiten Lautverschiebung suggeriert,[13] sondern die Komplexität des zu zeigenden Phänomens mit dem Fortschreiten vom Einfachen zum Vielen didaktisch reduziert werden. Zum Beispiel. setzt Sequenz 2 bewußt in der norddeutschen Tiefebene an, wo p, t und k nicht verschoben sind, und schreitet von dort zum Höchstalemannischen mit dem höchsten Grad in der Durchführung der Verschiebung fort. Dabei deutet die Animation die unterschiedliche, immer stärkere Intensität der Lautverschiebung durch die nach Südwesten zunehmend kräftigere Farbgebung an.
In der dritten Sequenz sind die Karten, wie bereits erwähnt, durch Tondokumente mit Beispielen für einzelne Mundarten ergänzt. Zu diesem Zweck wurden Aufnahmen der Wenkersätze, die aus dem mittlerweile dem IDS in Mannheim eingegliederten ›Deutschen Spracharchiv‹ stammen,[14] eigens präpariert, und zwar so, daß für jede Mundart einige Sätze, die für die jeweilige Region ganz bezeichnende Lautungen beinhalten, ausgewählt und mit unserer Kommentierung zusammengeschnitten wurden. Eine Vorstellung dieser Montagetechnik kann ein Ausschnitt aus dem Drehbuch zu dieser Sequenz vermitteln, in dem zum Beispiel eine Aufnahme pfälzischen Dialekts folgendermaßen kommentiert wird:[15] »Typisch für westmitteldeutsche Dialekte sind darüber hinaus die Spirantisierung des inlautenden b oder das an- und inlautende d für hochdeutsches t.« Dann werden die Wenkersätze 17, 24 und 28 mit den Wörtern sauwer ›sauber‹, owend ›Abend‹, treiwe ›treiben‹ und 14, 39 und 13 mit dot ›tot‹, dut ›tut‹ und zeide ›Zeiten‹ im rheinfränkischen Dialekt abgespielt,[16] bevor der Kommentar fortfährt: »Die hier zu hörende rheinfränkische Mundart zeigt außerdem eine ausgeprägte Tendenz zu n-losen Infinitiven und Partizipien.« Wiederum folgen auf diesen erläuternden Text einige Wenkersätze in rheinfränkischem Dialekt, und zwar 2, 3 und 22 mit den Wörtern schnee ›schneien‹, koche ›kochen‹, kreische ›kreischen‹ und 4, 5 und 24 mit den Wörtern gebroch ›gebrochen‹, gschdorb ›gestorben‹ und geschloof ›geschlafen‹.[17] Zugleich wird ein hochdeutsches Transkript der entsprechenden Sätze mitgeführt, weil manche Dialektäußerungen ohne diese Transkripte unverständlich bleiben. Die Felder mit den Transkripten sind zudem optisch an dem jeweiligen – farbig markierten – Dialektraum verankert.
Die deutlich zu hörenden Dialekteigentümlichkeiten sind nicht in jedem Fall direkte Folgen der hochdeutschen Tenues-Verschiebung. Nur der Übergang vom Nieder- zum Hochdeutschen ist deutlich an den unverschobenen Formen zu erkennen, wogegen die hörbaren Differenzierungen zwischen Mittel- und Oberdeutsch, aber auch die zwischen den unterschiedlichen mitteldeutschen und oberdeutschen Mundarten untereinander oftmals nicht allein auf den Kriterien der Zweiten Lautverschiebung beruhen. Aus diesem Grund wurde die Kommentierung auf Phänomene wie zum Beispiel die gerade angeführten n-losen Infinitive ausgeweitet.
Um einen nachhaltigeren Eindruck verschiedener Dialekte zu geben, wurden auf einer letzten Karte die vierzig Wenkersätze in ihrer ganzen Länge mit den einzelnen Mundartgebieten in der Weise verknüpft, daß ein Mausklick zum Abspielen der Tonaufnahmen führt, die die Studierenden sich in einer von ihnen selbst gewählten Reihenfolge anhören können. Der Mausklick in ein bestimmtes Mundartgebiet öffnet ein dreigeteiltes Fenster, in dem die nach Mundarten gegliederte Deutschlandkarte, die Wenkersätze und Schaltflächen zum Abspielen, Anhalten, Vor- und Zurückspulen der Tonaufnahmen erscheinen; Dialekte werden sinnlich erfahrbar.
Eine zweite Serie animierter Sequenzen zur hochdeutschen Lautverschiebung, deren Konzeption im folgenden umrissen wird, wird derzeit vorbereitet. Der ›Rheinische Fächer‹, also das Gebiet im mitteldeutschen Westen, in dem mit dem Niederfränkischen, dem Ripuarischen, dem Mosel- und Rheinfränkischen recht viele verschiedene Mundarten aufeinander folgen, gilt als charakteristisches Ergebnis der Zweiten Lautverschiebung.[18] Die starke Ausdifferenzierung verschiedener Mundarten in diesem relativ kleinen westmitteldeutschen Raum hängt offenbar mit den Mittelgebirgsschranken (von Eifel, Taunus, Hunsrück) zusammen, die die Ausbreitung der Lautverschiebung behindert haben.[19]
Nach unseren Vorstellungen ist der hier zu beobachtende Zusammenhang zwischen Topographie und Dialektgeographie besonders anschaulich und daher nachdrücklich zu vermitteln, wenn die im ›Rheinischen Fächer‹ zu beobachtenden Lautveränderungen eingebettet werden können in eine Art dreidimensionales Geländemodell, das derzeit in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Informatik an der Universität des Saarlandes entwickelt wird. In diesem Modell soll geradezu zu sehen sein, wie ein ›verschobener‹ Laut auf eine Mittelgebirgsschranke trifft, die er nicht überwinden kann, so daß nördlich der Schranke unverschobene Formen bestehen bleiben.[20]
Das bisher erstellte Konzept sieht die Berechnung eines 3D-Fluges entlang einer Route von Karlsruhe über Speyer, Neustadt, Saarbrücken, Trier, Koblenz, Köln und Aachen bis nach Venlo vor. Mit der Süd-Nord-Richtung des Fluges werden Mundarten vom Hoch- zum Niederdeutschen hin überflogen, was eine erste Orientierung und den Nachvollzug der lautlichen Unterschiede in den einzelnen Dialektgebieten erleichtert. Beim Überqueren der einzelnen Isoglossen, die vielfach mit den Mittelgebirgsschranken zusammenfallen, werden Landepunkte eingerichtet, um audiovisuelle Erläuterungen zu den einzelnen Dialekten zu bieten, zum Beispiel durch die Einbindung der bereits in digitaler Form aufbereiteten Wenkersätze.
Die im Proseminar wie im Selbststudium erlernten Kenntnisse können mit Hilfe einer interaktiven Komponente der Begleitmaterialien eingeübt und überprüft werden. Zehn Texte, die in deutlich verschiedenen Schriftdialekten verfaßt sind, wurden so präpariert, daß unterhalb der Textzeilen Eingabefelder erscheinen, in die per Mausklick Symbole für stattgefundene beziehungsweise nicht stattgefundene Lautveränderungen eingetragen werden können. Berücksichtigt sind derzeit die ptk-Verschiebung sowie Monophthongierung und Diphthongierung. Die von den Lernenden erstellte Lösung wird anschließend maschinell mit der Standardlösung verglichen und bewertet; eine abschließende Kommentierung der jeweiligen Texte soll deren schreibsprachliche Besonderheiten in gedrängter Form vermitteln.
Abgerundet werden die Materialien zur hochdeutschen Lautverschiebung und zur Dialektgeographie durch kürzere Textausschnitte zur Frage, ob es bereits im Mittelalter eine Art Dialektologie gab. Anhand verschiedener zeitgenössischer Passagen, die auch übersetzt und kommentiert werden, läßt sich nämlich feststellen, daß allenfalls von einer Art ›praktizierter Dialektologie‹ geredet werden kann:[21] Das Bewußtsein für die Unterschiede einzelner Landschaftssprachen war durchaus vorhanden, aber eine quasi wissenschaftliche Erklärung dieses Phänomens war den Menschen des Mittelalters nicht möglich. Es war offenbar noch nicht möglich, von der gesprochenen Sprache abstrahierend auf die ›Ebene‹ der Phoneme zu schließen, auch wenn jeder Schreiber beim Umsetzen gesprochener Sprache in Schrift genau dies tat.[22]
Einen zweiten Schwerpunkt des Projekts bildet die Entwicklung von Materialien zur Phonetik und zur Artikulation. Auch bestimmte Phänomene der Artikulation dürften nämlich dann besser zu verstehen sein, wenn zum Beispiel anstelle unterschiedlicher Schemazeichnungen des Vokaltrapezes wirkliche Sprechbewegungen und wirkliche Sprechabläufe gezeigt werden. Filme und Animationen können das Bewußtsein dafür wecken, daß sich nicht etwa einzelne Laute ändern, sondern daß Laute sich nur in Gruppen ändern.[23]
Unser Ausgangspunkt war die Feststellung, daß Veränderungen im Sprachsystem häufig auf Veränderungen der Sprechvorgänge und der Artikulation beruhen;[24] der im PS I behandelte i-Umlaut ist ein klassisches Beispiel hierfür. Diese Veränderungen ergeben sich deshalb, weil wir tatsächlich nicht in Einzellauten, sondern in Lautgruppen sprechen, wobei sich Vokale und Konsonanten im Sprechvorgang gegenseitig beeinflussen. Bei der Artikulation von Wörtern und Wortverbindungen müssen immerhin mehr als dreißig Muskeln im Bereich des Rachens und des Kehlkopfes koordiniert werden; als Ergebnis von Vereinfachung und Erleichterung der Abläufe dieser Muskelbewegungen kommt es zu Assimilationserscheinungen.[25] Wie schwierig die Koordination der Sprechbewegungen ist, zeigen besonders deutlich die sogenannten Zungenbrecher, in denen künstlich hergestellte Lautgruppen zu größtmöglich starken, gegenläufigen und entfernten Artikulationsstellungen und Artikulationsbewegungen führen, die sich in oft belustigenden Versprechern niederschlagen.
Wenngleich der Zunge die wesentliche artikulatorische Bedeutung zukommt, sind von den an der Artikulation beteiligten Muskeln unmittelbar nur die Lippen, also Lippenstellungen und Lippenbewegungen, zu beobachten. Doch können die Bewegungen auch der Zunge mit Hilfe von Ultraschallaufnahmen im Sonogramm sichtbar gemacht werden. Dementsprechend wird die Koordination der am Sprechvorgang beteiligten Lippen und Zunge dadurch gezeigt, daß Videoaufnahmen der Lippenbewegungen synchron zu sonographischen Aufnahmen der Zungenbewegungen präsentiert werden.
Die Materialien behandeln die Vielheit der im Proseminar I unter dem Stichwort ›Kombinatorischer Lautwandel‹ anzusprechenden Phänomene, unter welche neben Hebung und Senkung die Brechung und der für das Deutsche charakteristische i-Umlaut fallen. Sie sind folgendermaßen aufgebaut: Alle Filme sind eingebunden in einen erläuternden Hypertext zu den artikulatorischen Grundlagen des Sprachwandels. Ein erster Film orientiert über diejenigen Muskeln, die beim Sprechen koordiniert werden müssen, benennt und zeigt also alles, was bei der Artikulation eine Rolle spielt. Ein zweiter Film erklärt, wie die in Zusammenarbeit mit der Phoniatrie der Uniklinik Aachen erstellten Aufnahmen zu verstehen sind; dieser Film ist vor allem deshalb bedeutsam, weil in ihm erklärt wird, wie die im Sonogramm aufgezeichneten Zungenbewegungen zu interpretieren sind, wo zum Beispiel der Zungenrücken sich bei der Artikulation eines a befindet. Das aus Vokaldreieck oder Vokaltrapez bekannte Schema gewinnt hier ›Leben‹. Auf der Grundlage dieser filmischen Kurzeinführungen in die medizinische Phonetik sind die weiteren ›Filmschnipsel‹ zu verstehen, die erstens deutlich zeigen, welche Anstrengungen bei der Artikulation von Zungenbrechern zu verrichten sind und von da aus das Phänomen der Assimilation thematisieren, die zweitens mit Hilfe der sogenannten Hey-Sätze[26] nochmals einen nachhaltigen Eindruck der verschiedenen Zungenstellungen bei Vokalen und Diphthongen geben, und die drittens bestimmte Phänomene des diachronen Sprachwandels – zum Beispiel den i-Umlaut – mit Hilfe von Videoaufzeichnung und Sonogramm illustrieren und durch Anschaulichkeit näher bringen.
An den Hey-Sätzen zum Vokal a ist zum Beispiel gut zu erkennen, wie die Zunge eine Position in der unteren Mitte des Vokaldreiecks einnimmt. Demgegenüber zeigt ein Vergleich der Hey-Sätze für das i, wie die Zungenspitze eine hohe Position im vorderen Mundraum einnimmt. Der Wechsel verschiedener Zungenstellungen ist schön zu beobachten, wenn Hey-Sätze zu verschiedenen Diphthongen gefilmt werden. Die Ausspracheerleichterungen, auf die sich das Durchsetzen des Restumlauts zurückführen läßt, sind im Sonogramm aufgrund der zunehmend geringeren Wölbung des Zungenrückens zu erkennen, wenn entsprechende alt-, mittel- und neuhochdeutsche Wortformen nacheinander gesprochen werden.
Die dritte hier vorzustellende Komponente bringt gegenüber den beiden vorigen einen neuen Aspekt ins Spiel: Hier steht nicht die Vermittlung eines sprachwissenschaftlichen Prinzips im Mittelpunkt, sondern das Einüben von texterschließenden Techniken, die über das hinausgehen, was die Studierenden in der Regel von der Beschäftigung mit neuerer Literatur beziehungsweise aus dem Deutschunterricht an der Schule gewohnt sind. Damit wird natürlich auch der engere Lehrinhalt des PS I überschritten; allerdings können mit dieser Komponente zum Teil auch diese Lehrinhalte eingeübt beziehungsweise praktisch angewendet werden.
Wir haben uns für die exemplarische Erschließung der Vita der Yolanda von Vianden des Trierer Dominikaners Hermann von Veldenz[27] entschieden und dies aus verschiedenen Gründen: Gemäß unseren didaktischen Prinzipien sollte die Verknüpfung eines Textes mit erläuternden Ton-, Karten- und Abbildungsmaterialien bei einem literarischen Text mit konkretem realhistorischen Bezug besonders gut gelingen. Bei der Yolanda-Vita handelt es sich um die Kindheitsbeschreibung einer Viandener Grafentochter, die entgegen dem Willen ihrer politisch hochbedeutenden Familie eine vorteilhafte Heirat ausschlägt und statt dessen in ein Dominikanerinnenkloster eintritt. Die Vita schildert den Familienzwist und das Alltagsleben auf sehr anschauliche Weise und bietet so viele Möglichkeiten, Erläuterungen zur Sachkultur des Mittelalters (im weiteren Sinne) anzubringen. Darüber hinaus bietet sich der Text aufgrund seiner regionalhistorischen und regionalsprachlichen Verankerung gerade im Trierer Raum an. Nicht zuletzt gab es in Trier zur Yolanda bereits umfangreiche Vorarbeiten,[28] die in die Hypermedia-Aufbereitung eingebracht werden konnten.
Ursprünglich wurde diese Komponente als Unterrichtseinheit für den Deutschunterricht in einer Mittelstufenklasse an der luxemburgischen Ecole Privée Fieldgen gemeinsam mit Frau Ursula Leuk konzipiert und entwickelt und dort auch im Herbst 1999 eingesetzt (vergleiche Fußnote 8). Sie wurde jedoch inzwischen so weit ausgebaut, daß sie als Einführung in die exemplarische Textarbeit, so wie sie im Grundstudium eingeübt wird, auch in der akademischen Lehre einsetzbar ist.
Die Yolanda-Homepage enthält zum einen Umfeldmaterialien, zum Beispiel erläuternde Texte, Bilder, Karten, und zum andern einen ausführlich kommentierten Textausschnitt. Alle Erläuterungen sind aufeinander bezogen und untereinander verknüpft; der Textausschnitt wurde ferner mit elektronischen Nachschlagewerken vernetzt. Die Umfeldmaterialien sollten in der Verwendung der einzelnen ›Medien‹ ausgewogen sein, das heißt sie sollten mehr sein als nur eine unkommentierte Bilderflut und immer strikt inhaltsbezogen eingebunden werden.
Zunächst gelangt man auf eine Wegweiserseite, eine Art Inhaltsübersicht, die über Hyperlinks zu acht weiteren, thematisch differenzierten Informationseinheiten führt. Jedes Thema hat sein Symbol, das Wegweiser und Informationsseite verbindet. In »Allgemeinen Hinweisen« erhält man erste kurze Angaben über das Leben Yolandas, das Besondere ihrer Person und ihres Lebensentwurfes, über die Vita und die Forschungslage. In einem weiteren Punkt erfährt man Details über die Person der Yolanda von Vianden sowie die historischen Hintergründe. Anschließend werden Informationen zur Yolanda-Vita Bruder Hermanns geboten, die Inhalt, Formales und Sprachliches umfassen. Ein weiterer Aspekt wird mit der Überlieferung der Yolanda-Vita angesprochen, der durch den aufregenden Fund der Handschrift besondere Aktualität hat;[29] schließlich erfährt man Grundlegendes zu den Textausgaben und Übersetzungen.[30] Unter der Rubrik »Spuren Yolandas heute« finden sich dann Abbildungen von ihren beiden Lebensbereichen, also Kloster Marienthal und Burg Vianden, die mit Textstellen aus der Yolanda-Vita kombiniert sind, ferner Hinweise auf ihren mutmaßlichen Schädel in der Trinitarierkirche in Vianden sowie auf die moderne Skulptur und die Yolanda-Glocke in der Luxemburger Kathedrale. Dieser Punkt der Spurensuche ist aus didaktischer Sicht besonders gut geeignet, den Brückenschlag zwischen der historischen Figur, ihrer Lebensbeschreibung und der wissenschaftlichen Beschäftigung zu leisten und das Interesse zu wecken.
Kernstück der ›sprachlichen‹ Arbeit mit dem Text ist ein ausführlich kommentierter, mit wissenschaftlichen elektronischen Nachschlagewerken verknüpfter und hypertextuell aufbereiteter Ausschnitt aus Bruder Hermanns Yolanda-Vita, der mit der sprachlichen Gestalt des mittelalterlichen Textes vertraut macht. Die Auswahl des Textabschnitts erfolgte nach inhaltlichen Kriterien: Ausgewählt ist ein Streitgespräch Yolandas mit ihrem Bruder V. 1228-1270, gewissermaßen eine ›lebensnahe Situation‹. Der Textausschnitt wird zunächst parallel zu einer neuhochdeutschen Übersetzung gezeigt. Der Kommentar kann zu jedem Vers per Mausklick aktiviert werden und öffnet sich parallel in einem zweiten Browserfenster, so daß mit Text, Übersetzung und Kommentar in ergonomischer Weise gearbeitet werden kann. Die eher ›spielerische‹ Gestaltung der Links und Icons im Kommentar soll verstärkt zum Nachschlagen per Mausklick verführen. Ein Vorspann führt bibliographische Angaben zu den verwendeten Nachschlagewerken auf, gibt die Gliederung des Germanischen und die Sprachstufen des Deutschen an, enthält erste Hinweise zur Metrik und nennt die Regeln zur Transkription des Textes.
Da Benutzer oft Wortbedeutungen nachschlagen wollen, wurde der Text mit dem in Trier unter Leitung von Kurt Gärtner erarbeiteten elektronischen Verbund mittelhochdeutscher Wörterbücher verknüpft.[31] Dies ist für die Arbeit in der Schule und für Studierende ein außerordentlich wichtiger Faktor, denn nicht viele Schulbibliotheken – geschweige denn Schüler oder Studierende – besitzen solche Nachschlagewerke. Der Einsatz des Internetverbunds der mittelhochdeutschen Wörterbücher ist also ein bedeutender Aspekt bei der Zusammenarbeit von Schule und Hochschule beziehungsweise beim Einsatz in der Lehre generell, denn er hilft einerseits, Ressourcen zu sparen, ermöglicht andererseits den direkten Anschluß der Schulen an die universitäre Forschung. Nicht zuletzt schärft er bei den Studierenden das Bewußtsein, daß es neben dem ›Taschenlexer‹[32] oder ›der Hennig‹[33] auch noch andere Nachschlagewerke gibt.
Wählt ein Benutzer ein Beispiel aus, gelangt er per Mausklick von einer Wortform in den Kommentar, in dem die betreffende Wortform grammatisch bestimmt ist, wobei auf mittelfränkische beziehungsweise moselfränkisch-luxemburgische Besonderheiten der Flexion und der Phonologie hingewiesen wird. Diese Angaben werden ergänzt durch eigens zu diesem Zweck eingebundene Artikel aus den für den Unterricht gängigsten Grammatiken zum Mittelhochdeutschen.[34] Zu den Grammatikparagraphen gibt es auch erläuternde Karten, die aus dem unter 3.3.1 beschriebenen Teilprojekt stammen. Entwicklungen der Sprachgeschichte vom Mittel- zum Neuhochdeutschen werden zum Beispiel anhand der frühneuhochdeutschen Monophthongierung und Diphthongierung angesprochen; die Abweichungen der moselfränkischen Schreibvarietät der Yolanda-Vita bringen Aspekte der Zweiten Lautverschiebung ins Spiel.
Diese Materialien dienen also als Modell zum Selbststudium; mit ihnen können Studierende das wissenschaftliche Herangehen an mittelalterliche Texte einüben und werden für die literarische und sprachliche Alterität der mittelalterlichen Literatur sensibilisiert. Auch der Einsatz des Textstücks für eine Probeklausur im Tutorium zum PS I ist denkbar.
Mit unserem Beitrag haben wir aus der laufenden Projektarbeit eines Lehrmittelprojektes berichtet, dessen einzelne Komponenten sich in verschiedenen Stadien der Planung, Bearbeitung und Fertigstellung befinden. Das Internet bietet uns die Möglichkeit, die noch zu erstellenden Materialien sukzessive zu vervollständigen und auszubauen, während die fertigen Materialien bereits genutzt werden können. Dies schließt eine Veröffentlichung auch auf CD-ROM jedoch keineswegs aus. Die Skepsis gegenüber dem Internet (beziehungsweise gegenüber dem Computereinsatz in Lehre und Forschung) ist noch weit verbreitet; ebenso begegnet einem die unkritische Begeisterung für das neue Medium. Daher kommt es uns auch darauf an zu zeigen, daß man mit dem Internet sinnvolle, wissenschaftlich fundierte und konzeptionell neue Zugänge zu einer bekannten Materie schaffen kann, wenn man das Potential des Mediums wirklich ausschöpft.
Im Augenblick verzeichnet die Homepage des Projekts ständig steigende Zugriffszahlen; daß ein Großteil der Zugriffe ›von außen‹, also gerade nicht von der Trierer Universität aus erfolgt, ist für uns ein eher unerwartetes Faktum. Im laufenden Semester werden sich die Materialien ›intern‹ im Rahmen von Tutorien sowie im Selbststudium zur Klausurvorbereitung bewähren müssen. Die Rückmeldungen der Studierenden sollen in gegebenenfalls vorzunehmenden Modifikationen berücksichtigt werden.
Die bislang erstellten Materialien sollen auch weiterhin ergänzt, erweitert und bearbeitet werden. In diesem Jahr steht eine Komponente zum Bedeutungswandel im Vordergrund, die – wie schon die Yolanda-Seiten – wiederum aus einem Schulprojekt heraus entwickelt wird. Für diese Arbeiten stehen noch Projektmittel zur Verfügung. Weitere Materialien werden in Zukunft wohl vor allem in praxisorientierten Projektseminaren, die nach der neuen Prüfungsordnung nunmehr im Rahmen des Studiums vorgesehen sind, erarbeitet, in denen die Studierenden intensiv an der Entwicklung der Materialien beteiligt werden. Die – ebenfalls nicht unwichtige – Pflege der Daten erfolgt durch die Anbindung an das »Kompetenzzentrum für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften an der Universität Trier« sowie dessen enge Kooperation mit der Universitätsbibliothek Trier.[35]
Schließlich sei noch ein Punkt hervorgehoben, der neben der ›produktorientierten‹ Erstellung der Materialien für uns von großer Bedeutung ist: die Fortbildung und Qualifizierung nicht allein der beteiligten Studierenden, sondern auch der beteiligten Lehrenden. Die Arbeiten im Multimedia-Projekt erscheinen uns nämlich vorzüglich geeignet, die vielbeschworenen ›Schlüsselqualifikationen‹ auszubauen und zu erweitern und damit der Forderung nach praxisorientierter und praxisgerechter Ausbildung (im Team) nachzukommen. Die verschiedenen, oft komplexen Aufgaben, die im Rahmen des Projekts durchgeführt werden müssen, eignen sich nach unserer Ansicht sehr gut dazu, das eigenverantwortliche Arbeiten in miteinander abgesprochenen, eng begrenzten Teilbereichen einzuüben und zu fördern. Abgeschlossene Teilprojekte und bereits vorzeigbare Ergebnisse fördern die Motivation unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und damit die Bereitschaft, die eigene Arbeitskraft, Phantasie und Energie auch weiterhin im Projekt einzusetzen.[36]
Johannes Fournier und Andrea Rapp (Trier)
Dr. Johannes Fournier
FB II / Germanistik
Universität Trier
54286 Trier
fournier@uni-trier.de
http://www.uni-trier.de/uni/fb2/germanistik/aedph_mitarbeiter.html
Dr. Andrea Rapp
FB II / Germanistik
Universität Trier
54286 Trier
rappand@uni-trier.de
http://www.uni-trier.de/uni/fb2/germanistik/aedph_mitarbeiter.html