Neue Medien, neue Technologien und neue Methodiken bestimmen in vielfältiger Weise unsere tägliche Arbeit und das Zusammenleben. Die Vielfalt der Informationen, die organisiert, beschrieben, dargestellt, zusammengestellt und häufig, manchmal zu häufig, wieder gesucht werden müssen, waren die Stichworte, unter denen sich Informatiker und Informationswissenschaftler im Herbst 1997 zu der Tagung Hypertext - Information Retrieval - Multimedia '97 trafen. Veranstalter waren die gleichnamigen Fachgruppen der Gesellschaft für Informatik e.V., welche diese gemeinsame Tagung Dortmund ausrichteten. Wie wichtig die interdisziplinäre Sicht auf die Fragestellungen der Informationsgesellschaft ist, wird schon beim Verfolgen der Tagespresse immer deutlicher. Auf der Tagung wurde dem durch eine Öffnung mit Blick auf die Massen- und Individualmedien des Internets und auf die theoriebestimmte, anwendungsnahe und praxisorientierte Forschung Rechnung getragen.
Insgesamt 24 Beiträge finden sich im Tagungsband, wobei das Gewicht eher auf Fragestellungen des Information Retrieval und des WWW, somit auf Orientierungs- oder Suchproblemen lag.
Der eingeladene Beitrag von Yves Chiaramella Browsing and Querying: Two Complementary Approaches for Multimedia Information Retrieval stellt die häufig noch nicht integrierte Sicht von Suchen und Navigieren im Umfeld des WWW als ein noch vorhandenes Forschungsdefizit dar. Dokumente sind im Internet nicht mehr unabhängig voneinander zu sehen, und den Beziehungen zwischen ihnen muß auch bei der Suche im WWW Rechnung getragen werden.
Auf die Visualisierung von Informationen gingen eine ganze
Reihe Beitragender ein. P. Elzer und U. Krohn beschreiben in Visualisierung zur
Unterstützung der Suche in komplexen Datenbeständen einen auf
dreidimensionalen Darstellungen beruhenden Lösungsansatz. Die Relevanz
eines Dokuments wird dabei durch seine Orientierung im Raum beschrieben.
Daß dreidimensionale Ansätze für den Benutzer nicht immer leicht
handzuhaben sind, war auch für R. Oroscos Beitrag Auto Focus: User
Assistance in Information Visualization relevant. Zur Reduzierung der
Komplexität bei der Interaktion mit Stadtinfor-
mationssystemen werden
Deduktionstechniken genutzt, um dem Benutzer neue, potentiell relevante
Informationen nach einer gewissen Anzahl Interaktionsschritten anzubieten.
Zur Visualisierung von Anfragen und Ergebnissen stellten
Christian Wolff und Christa Womser-Hacker in Graphisches Fakten-
retrieval mit
vager Anfrageinterpretation eine graphische Benutzerschnittstelle vor. Sie
erlaubt, vage Anfragen im Bereich Werkstofftechnik mit Liniendiagrammen zu
stellen und zu bearbeiten. Der Ansatz von B. Bekavac und M. Rittberger zur
Kontextsensitiven Visualisierung von Suchergebnissen dient zur Reduzierung der
Trefferanzahl und Darstellung der Kontexte von Ergebnismengen im WWW.
Strukturierte Dokumente stehen auch im Mittelpunkt des Beitrags von M. Lalmas und I. Ruthven. A Model For Structured Document Retrieval: Empirical Investigations beschreibt einen auf der Dempster-Shafer Evidenztheorie beruhenden Ansatz zur Repräsentation und zum Retrieval von strukturierten Dokumenten. Mangels geeigneter Testdaten scheinen die Ergebnisse der empirischen Untersuchung eher stark von der Kollektion denn von dem untersuchten Verfahren abzuhängen.
Die Organisation und der Zugriff auf multimediale Daten stellen hohe Ansprüche an die zugrundeliegenden Techniken. Ein Beispiel dafür geben Stefan Dupont-Christ und andere. Sie beschreiben eine verteilte objektorientierte Datenbank für moderne Kunst, die über das WWW zugreifbar ist und auch neue Datenquellen aus dem WWW unter einer einheitlichen Schnittstelle für Benutzer erschließt.
Einen adaptiven Ansatz zur Filterung multimedialer Information nutzen T. Kahabka, M. Korkea-aho und G. Specht mit GRAS: An Adaptive Personalized Scheme for Hypermedia Databases. Dabei wird ein Algorithmus verwendet, der aus Benutzerinteraktionen Schlüsse zieht und so dem Anwender weitere relevante Dokumente aus einer multimedialen Datenbank präsentieren kann.
Dem Nutzer ähnliche Annotationsmöglichkeiten zu bieten wie bei klassischen Medien, ist das Ziel des Projektes DIANE, welches im Beitrag DIANE - Hypermedia Documents in a Distributed Annotation Environment von H. Benz und anderen vorgestellt wird. Dabei kann der Benutzer jedem medialen Objekt auf seinem Bildschirm eine persönliche Annotation zuordnen, welche dann auch wieder annotiert werden kann.
Die Nutzung elaborierter Interaktionsverfahren im WWW steht im
Mittelpunkt des Beitrags von Rainer Hammwöhner. Komplexe Hypertextmodelle
im World Wide Web durch dynamische Dokumente erlauben die Integration
mächtiger Zugriffs- und Suchverfahren im WWW, die über das Konstanzer
Hypertext-
System im Internet verfügbar werden. Einen Ansatz zur
Verknüpfung von Dokumenten in einer hypermedialen Umgebung mit Hilfe von
Typisierung der Verknüpfungen wird von C. Petrou, D. Martakos und S.
Hadjiefthymiades vorgestellt. Mit Adding Semantics to Hypermedia towards Link's
Enhancement and Dynamic Linking wird ein System vorgestellt, welches dem Nutzer
eines Hypermedia-Systems bei der Verfolgung einer Verknüpfung Informationen
über das anzunavigierende Dokument mittels der Link-Semantik liefert. H.
Ashman, A. Garrido und H. Oinas-Kukkonen stellen die Vor- und Nachteile von
manuell und automatisch erstellten Links in Hand-Made and Computet Links,
Precomputed and Dynamic Links vor. Bei der automatischen Generierung werden die
dynamisch (just-in-time) erzeugten Links den statischen Verknüpfungen
(just-in-case) inklusive der Vor- und Nachteile gegenübergestellt. F.
Vichot und andere stellen mit High Precision Hypertext Navigation Based on NLP
Automatic Extractions einen Ansatz vor, der aus Agenturmeldungen der Agence
France Press mit Hilfe von Informationsextraktion über Eigennamen,
Ereignisse und Rollen einen Hypertext automatisch aufbaut.
Eine andere hypermediale Anwendung stellen L. J. Rodriguez und
andere mit A User Interface for the Design of Human Figures Multimedia
Animations vor. Es werden virtuelle Menschen-
gruppen zum Tanzen gebracht und
damit ein Choreographie-
werkzeug zur Verfügung gestellt, welches eine
Notation zur Erstellung von Choreographien beinhaltet. DVS - A System for
Recording, Archiving and Retrieval of Digital Video in Security Environments von
W. Herzner, M. Kummer und M. Thuswald verdeutlicht die Probleme und
Anforderungen, die bei der Installation einer großen Anzahl von
Videokameras (mehr als 1000) auftreten und bietet Lösungen hierzu an. D.
Boles und G. Wütherich stellen die Transformationelle
Multimedia-Software-
entwicklung vor, ein Implementationsrahmen für den
Aufbau multimedialer Softwarepakete.
Eine Reihe von Beiträgen beschäftigt sich mit der
Auswahl von Informationsressourcen zur Suche. Probabilistische Modellierung der
effizienten Informationssuche in verteilten multimedialen Dokumentbeständen
durch Einschränkung des Suchraumes von C. Baumgarten erlaubt, eine Anzahl
individueller Ranglisten relevanter Dokumente zusammenzuführen, auch wenn
sie aus Datenbanken stammen, die mit unterschiedlichen
Relevanzbe-
stimmungsverfahren arbeiten. Eine ähnliche Thematik behandelt N.
Gövert mit Evaluierung eines entscheidungstheoretischen Modells zur
Datenbankselektion. Dort wird gezeigt, daß zur Auswahl relevanter
Datenbanken, das Wissen über die Anzahl relevanter Dokumente in der
jeweiligen Datenbank notwendig ist. Dieses Wissen ist mit einfachen Mitteln
leider nicht zu bekommen.
Weitere Beiträge beschäftigen sich mit
Fragestellungen im engeren Umfeld des Information Retrievals. In Probabilistic
Logical Information Retrieval for Content, Hypertext, and Database Querying von
T. Rölleke und M. Blömer wird ein Lösungsansatz zur Suche in
Textkollektionen, Datenbanken und Hypermedia-
systemen dargestellt. Um schneller
auf Dokumente bei der Suche zugreifen zu können, haben I. A. R. Mohgrabi
und M. A. Safar in Study of Algorithms for Clustering Records in Document
Databases verschiedene Clusteringalgorithmen auf ihre Effizienz untersucht. U.
Pfeiffer und S. Pennekamp untersuchen in Incremental Processing of Vague Queries
in Interactive Retrieval Systems das Problem, wie vage und ungenaue
Fragestellungen im Information Retrieval möglichst effizient abzuarbeiten
sind.
Eine interessante Untersuchung führten S. Dresler, A. G.
Grosse und A. Rösner in Realisierung und Optimierung der
Informationsbeschaffung von Internet-Suchmaschinen am Beispiel von
<www.crawler.de> durch. Sie stellen fest, in welchen Hierarchietiefen
einzelner Web Sites sich die Inhalte besonders häufig ändern und
welche eher statisch sind. Mit diesen Angaben kann die Frequenz, mit der
Suchroboter einzelne Seiten betrachten sollten, um aktuelle Daten zu sammeln,
abgeleitet werden. Eine andere Anwendung für das WWW wird von W.-F. Riekert
und anderen vorgestellt, die mit Hilfe eines Metainfor-
mationssystems die Fach-,
raum- und zeitbezogene Katalogisierung und Recherche von Umweltinformationen auf
dem Internet unterstützen und damit verbesserte Zugriffsverfahren auf
textuelle und faktenbezogene Umweltdaten ermöglichen.
Insgesamt stellt sich der Tagungsband als eine umfangreiche Sammlung verschiedener Aspekte der drei Informatikteildisziplinen Hypertext, Information Retrieval und Multimedia dar. Interessante wissenschaftliche Beiträge werden vorgestellt, wobei die Fragestellungen aus dem Information Retrieval quantitativ und wohl auch qualitativ dominieren. Das Niveau der einzelnen Beiträge ist durchweg gut; sie sind allerdings nicht immer einfach zu lesen, da verschiedene Beiträge doch einiges mathematisches Wissen für ein tieferes Verständnis verlangen.
Zum einen ergibt sich für den Leser also die Chance, konkrete, auch dem Laien verständliche Probleme und deren Lösungen darzustellen. Beispielhaft sei nochmals auf die Beiträge zur Auswahl von Informationsquellen, der Nützlichkeit und der Effektivität von Benutzerschnittstellen oder der Organisation von großen Videoinstallationen und der Verarbeitung dort anfallender Daten hingewiesen. Zum anderen werden diverse neue Ansätze zur Verbesserung der Informationsverarbeitung vorgestellt, die insbesondere für die Suche und die Verarbeitung hypermedialer Daten von Bedeutung sind. Geeignet ist der Tagungsband somit natürlich für alle, die an Hypertext, Information Retrieval und Multimedia interessiert sind. Wer sich der Entwicklung der Forschung in diesen Gebieten verschrieben hat, für den ist der Tagungsband eine notwendige Lektüre, da er den Stand der Aktivitäten in Deutschland und zum Teil in Europa wiedergibt.
Marc Rittberger (Konstanz)
Dr. Marc
Rittberger
Informationswissenschaft
Universität Konstanz
Fach D 87
78457 Konstanz
Marc.Rittberger@uni-konstanz.de