DEUTSCHE LITERATUR VON FRAUEN. VON CATHARINA VON GREIFFENBERG BIS FRANZISKA VON REVENTLOW. HG. VON MARK LEHMSTEDT. DIGITALE BIBLIOTHEK 45 BERLIN: DIRECTMEDIA 2001. [PREIS: 49,90 EUR].

Die CD-Rom Deutsche Literatur von Frauen ist eine sehr erfreuliche Neuerscheinung im Angebot digitaler Texteditionen – mit einigen zu erläuternden Abstrichen –, die in keiner Bibliothek eines jeden Literaturwissenschaftlers und einer jeden Literaturwissenschaftlerin fehlen sollte. Ohnehin ist die preiswerte Anschaffung auch für Lehrerinnen und Lehrer, Studierende, Schülerinnen und Schüler und das gesamte literaturgeschichtlich interessierte Lesepublikum sehr zu empfehlen.

Für diese Neuerscheinung war es die höchste Zeit: Die Repräsentanz von Autoren im Verhältnis zu derjenigen der Autorinnen deutscher Literaturgeschichte ist für die Basisbibliothek Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka (Digitale Bibliothek 1, Berlin 2000, zuerst 1997) mehr als indiskutabel. Die Werke von 54 männlichen Namen werden mit wenigen Texten von genau vier kanonisierten Autorinnen ergänzt: Bettina von Arnim, Annette von Droste-Hülshoff, Marie von Ebner-Eschenbach und Sophie von La Roche. In der um beinahe 100.000 Textseiten und 50 Autorennamen ergänzten Ausgabe dieser Edition als »Studienbibliothek« (Berlin 2000) gestaltet sich das Verhältnis statistisch noch prekärer, wenn lediglich der Name Karoline von Günderrode hinzukommt. Zudem wurden die Werke der Bettina von Arnim um einiges ergänzt. Die CD-Rom Deutsche Literatur von Frauen orientiert sich in »Struktur und Anordnung der Edition [...] an den Regeln der im Rahmen der Digitalen Bibliothek erschienenen Ausgabe Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka«, deren Ergänzung und Fortführung sie bildet«.[1]

Umfang der Edition

In der Ausgabe versammeln sich ca. 67.000 Textseiten von 62 deutschsprachigen Autorinnen vom Barock bis ins erste Drittel des 20. Jahrhunderts (vgl. das Verzeichnis unter Inhalt DB, Bd. 45). Die Autorinnen verteilen sich gemäß der Entwicklung weiblicher Autorschaft seit dem Barock: Erst um 1800 wurde die so genannte ›Frauenliteratur‹ populär und stellt seither einen ökonomischen Faktor auf dem Buchmarkt dar: Mehr als die Hälfte, nämlich allein 37 Autorinnen auf der CD-Rom wirkten im 19. Jahrhundert, dazu vier weitere hauptsächlich um 1800. Aus dem 18. Jahrhundert stammen die Texte von dreizehn Autorinnen, aus dem 17. Jahrhundert dagegen nur mehr von dreien. Als Repräsentantinnen für die Literatur an der Wende um 1900 bis in diejenige der Weimarer Republik hinein finden sich Texte von fünf Autorinnen. Die Werke jüngerer Schriftstellerinnen kommen aus urheberrechtlichen Gründen nicht mehr in Frage.

Für 55 Autorinnen stehen Porträts in einer Bildergalerie zur Verfügung, die sich problemlos edieren, bearbeiten und exportieren lassen. Hierzu wurde ein einfaches Bildbearbeitungsprogramm in die Software integriert. Bildunterschriften sind vorhanden; leider fehlt ein Quellenverzeichnis für dieses Bildmaterial.

Für jede Autorin stehen am Anfang ihrer Werkgruppe gegebenenfalls das Porträt, stets ein tabellarischer Lebenslauf sowie die bibliographischen Angaben der Erstdrucke beziehungsweise ersten Buchdrucke, die von jeder Textstelle aus mit der rechten Maustaste anzusteuern sind. Jedoch müssen diese Angaben nicht mit der Textgrundlage der Edition übereinstimmen, wie ein Vergleich mit der Sigelliste der edierten Texte zeigt. Hier finden sich auch Nachlassausgaben, Lese- oder Sammelausgaben (vergleiche die Sigelliste DB, Bd. 45). Die Editionsvorlagen lassen sich sowohl in der Bildschirmansicht als auch bei kopierten Passagen mit einer seitengenauen Konkordanz zitieren (im Menü »Diverses« zuschalten!) und in einem zweiten Arbeitsschritt über die Sigelliste entschlüsseln. Das große Verdienst der Edition liegt darin, entlegene Texte einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Bei einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit Autorinnen, die in den letzten Jahren von der Editionsphilologie bereits wieder entdeckt wurden, ist es hingegen ratsam, zusätzlich entweder die Erstausgaben oder verlässliche Papier-Editionen heranzuziehen und daran jeweils die Textgestalt zu überprüfen.[2]

Die Edition pflegt – dies ist ein weiteres Verdienst – keinerlei kanonische Vorbehalte. Von der so genannten ›Höhenkammliteratur‹ einer Günderrode oder Droste-Hülshoff bis hin zu den trivialen Niederungen der Gartenlaube-Poesie der Marlitt oder einer ›Heldin der Lyrik‹ wie Friederike Kempner sind sie alle vertreten. Auch das Textsortenangebot ist weit gestreut und folgt einer nach und nach erforschten Gattungstypologie, die andernorts auch als ›weiblich‹ bezeichnet werden mag, denn es wurden nicht nur (Brief-)Romane, Gedichte und autobiographische Texte aufgenommen, sondern auch geistliche Lieder, Dramen, Märchen, Essays und Vorlesungen. Hervorzuheben sind des Weiteren die ausgewählten Texte, die sich emanzipatorisch engagieren, von der Gelehrtendebatte des 18. Jahrhunderts (Christiana Mariana von Ziegler und andere) über die Vormärz-Autorinnen (Louise Aston, Fanny Lewald und andere) bis zur weiblichen Berufsdebatte um 1900 (Hedwig Dohm, Dora Duncker und andere).

Wunschliste

Freilich bleiben bei der Textauswahl nicht nur letzte Wünsche offen: Es fehlen die Mystikerinnen Hildegard von Bingen und Mechthild von Magdeburg, die höfische Literatur der Eleonore von Österreich und Elisabeth von Nassau-Saarbrücken, zahlreiche Dramatikerinnen wie Charlotte von Stein, Wilhelmine von Hillern, Ernst Rosmer (Elsa Bernstein), sämtliche Texte der Salonkultur etwa von Rahel von Varnhagen, was zugegebenermaßen dazu führte, den Brief als für die Frauenliteratur kaum zu unterschätzende Textsorte mit einbeziehen zu müssen, Bestseller-Autorinnen von Reise- oder Musikliteratur wie Ida Pfeiffer, Johanna Kinkel, Luise Mühlbach oder Elise Polko. Hinzu kämen pädagogisch-literarische Abhandlungen (Lehrbriefe und dergleichen), die Erweiterung des Korpus von Erzähltexten des feministischen Kanons und so genannte ›Backfischliteratur‹. In dieser Hinsicht sind einer zu erhoffenden ›gleichberechtigten‹ und erweiterten »Studienbibliothek« zur deutschsprachigen Literatur von Frauen nahezu keine Grenzen gesetzt. Orientierung und Anregungen hierfür böten die zahlreichen Anthologien und Studien aus der Frauenforschung sowie nicht zuletzt die neu bearbeitete Frauen Literatur Geschichte (herausgegeben von Hiltrud Gnüg und Renate Möhrmann, Stuttgart und Weimar: Metzler, 1999).

Ausstattung und Retrieval-Funktionen

Die Systemvoraussetzungen gibt der Hersteller wie folgt an: PC ab 486; 16 MB RAM; Grafikkarte ab 640x480, 256 Farben; CD-ROM-Laufwerk; Microsoft Windows (95, 98, ME, NT oder 2000).

Die Ausstattung und Retrieval-Funktionen der Reihe Digitale Bibliothek wurden im Forum Computerphilologie bereits von Fotis Jannidis für die Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka (Digitale Bibliothek, Bd. 1), von Anne Bohnenkamp für die Goethe-Werkausgabe (Digitale Bibliothek, Bd. 4) und von Mirko Nottscheid für die Tucholsky-Werkausgabe (Digitale Bibliotehk, Bd. 15) ausführlich dargestellt und besprochen.[3] Sie sollen hier nicht wiederholt werden. Wichtig ist für die vorliegende Edition der Deutschen Literatur von Frauen, dass auch sie mit der jeweils aktualisierten Software der Directmedia ausgestattet beziehungsweise nachgerüstet werden kann (Ein Download der Version 3.33 befindet sich unter <http://www.digitale-bibliothek.de>). Einige bereits früher bemängelte Bedienungsoptionen wurden noch nicht verbessert: Für die Kopier- und Exportfunktion der edierten Texte in eigene Textverarbeitungsprogramme bleibt es bei der maximalen Länge von acht Seiten, die mit einem Kopiervorgang in die Zwischenablage gespeichert werden können. Das freie Scrollen im Text erstreckt sich nun über beliebige Seitenzahlen hinweg, während vorher der Satzspiegel die Bewegungsfreiheit eingrenzte. Allerdings gilt diese Neuerung nicht für die Markier- und Kopierfunktion, was insofern sinnvoll ist, als bei jedem Cut & Paste-Vorgang der bibliographische Nachweis über die Einzelseite automatisch ans Ende des Zitats gesetzt wird. Mehrere kopierte Seiten würden eine intelligente Lösung dieser Zitiertechnik erfordern (von/bis-Nachweis oder f.- beziehungsweise ff.-Nachweise).

Für die Wortsuche (Boolsche Operatoren und/oder, Makrodefinition eigener Ausdrücke) und der unschärferen Themensuche gibt es auf der vorliegenden CD-Rom die Möglichkeit, die Suche auf bestimmte Bereiche wie »Werke«, »Bibliographische Notizen« und »Biographien« zu beschränken. Der »Werke«-Bereich wurde wiederum in sechs Bereiche nach »Gattungszugehörigkeit« unterteilt: »Gedichte, Versepen, Dramen, Erzählprosa, Nichtfiktionale Prosa, Autobiographien«.[4] Auch wenn die jeweils einzelne Zuordnung und das Gattungskonzept zu diskutieren bleiben, so wird mit dieser Hilfestellung doch ein früher des Öfteren eingeklagter Missstand, dass die Texte stets mühsam als gesamter Korpus zu durchforsten sind, behoben.

Die Suchfunktion, dies sei hier auf Grund des komplementären Konzepts der Frauenliteratur-Edition besonders betont, erstreckt sich auf weitere ausgewählte Bände der Digitalen Bibliothek (im Menü »Suche«/»Bibliothek«) – eine Option, auf deren Korpusauswahl leider kein Einfluss zu nehmen und die bei der makro-definierten Suche nicht immer stabil abzuwickeln ist. Bei einem Testlauf waren zwar die Wortindices des Bandes Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka und der Tucholsky-Ausgabe zur übergreifenden Suche freigegeben, die Indices der Textausgaben von Goethe, Heine oder Fontane waren es aber aus unersichtlichen Gründen nicht. Dennoch eröffnet sich damit die Möglichkeit, in ›Männer-‹ und ›Frauenliteratur‹ parallel zu suchen und lohnenswerte Recherchethemen vorab zu prüfen. Findet die Suchroutine Textstellen auf einer weiteren CD-Rom der Digitalen Bibliothek, genügt es nicht, den Datenträger zu wechseln. Dort muss der Suchausdruck erneut eingeben, und die Ergebnisse in eigenen Trefferlisten verwaltet werden. Noch ein letzter kleiner Makel: Makros mit selbst definierten Suchausdrücken erscheinen nicht in ihrer gesamten Länge im Sichtfenster. Hier muss mit dem Cursor ans Ende gewandert werden, was nur möglich ist, wenn das Makro in der Bearbeitungszeile geladen ist.

Digitalisierte Kanonprobleme

Noch ein abschließendes Wort zu den editorischen Vorbemerkungen: Beinahe verschämt führt der Herausgeber dort an, dass die Nutzerinnen und Nutzer mit den beiden Editionen Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka und Deutsche Literatur von Frauen nun »über etwa 250.000 Seiten deutscher Literatur verfügen, von denen fast ein Drittel aus Werken deutscher Schriftstellerinnen besteht. Dass auf diese Weise der lange Zeit marginalisierte Anteil von Frauen an der Entwicklung der deutschen Literatur zumindest in quantitativer Hinsicht überproportional zu ihren Gunsten verschoben wird, nehmen Herausgeber und Verlag billigend in Kauf«.[5] Weniger »billigend in Kauf« genommen hatte es die Frauen- und Geschlechterforschung in den Literaturwissenschaften, dass der literarische Kanon fast ausschließlich Männersache ist. Diese Forschungserträge – das wird im Vorwort auch vermerkt – bilden die Basis für ein kommerzielles Projekt wie die vorliegende CD-Rom-Edition. Problematisch an der zitierten Selbsteinschätzung der Macher sind mitnichten ihr Projekt, die Texterträge oder die Lese- und Forschungsimpulse, die wiederum von einer solchen Edition ausgehen mögen. Problematisch ist der hier vorangestellte fixierte Kanonbegriff, indem es auch den Gender Studies noch nicht gelungen sei, den Kanon zu verändern: »Ein neuer, erweiterter Kanon der deutschen Literatur ist freilich (noch) nicht entstanden.«[6] Wären sich die Herausgeber bewusst, dass genau ihre Medien den Kanon überhaupt erst (mit)gestalten, wie die einschlägige Forschung etwa von Renate von Heydebrand und Simone Winko längst gezeigt hat,[7] könnten sie bereits mit einem anderen Bewusstsein einen veränderten Kanon präsentieren – was sie ja auch erfolgreich praktizieren, sieht man einmal von der künstlichen, kirchenbankähnlichen Trennung der Geschlechter in der Literatur auf zwei verschiedenen CD-Rom-Scheiben ab. Wünschenswert ist auch hier die Aufhebung von Kategorien des Geschlechts als markierende, normative Praxis, die irgendwann einen gemeinsamen Textkorpus ermöglichen und den ›Kanon‹ grundsätzlich zur Disposition stellen könnte.[8] Dazu sei alle Ermunterung ausgesprochen.

Sigrid Nieberle (Greifswald)

Dr. Sigrid Nieberle
Universität Greifswald
Institut für Deutsche Philologie
Rubenowstr. 3
17489 Greifswald
nieberle@mail.uni-greifswald.de


(27. April 2002)
[1] Einführung in: Mark Lehmstedt (Hg.): Deutsche Literatur von Frauen (Digitale Bibliothek 45). Berlin: Directmedia Publishing 2001, S. 9.
[2] Dies gilt zum Beispiel für Texte von Bettina von Arnim, Ida Boy-Ed, Lily Braun, Luise Büchner, Ada Christen, Lena Christ, Annette von Droste-Hülshoff, Marie von Ebner-Eschenbach, Henriette Frölich, die Gottschedin, Karoline von Günderrode, Sophie von La Roche, Malwida von Meysenbug, die Neuberin, Betty Paoli, Franziska von Reventlow, Dorothea Schlegel, Johanna Spyri und Ottilie Wildermuth.
[3] Fotis Jannidis: Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka. Digitale Bibliothek 1. Berlin: Directmedia 1997. In: Forum Computerphilologie <http://computerphilologie.uni-muenchen.de/jahrbuch/jb1/jannidis-2.html>; Anne Bohnenkamp: Johann Wolfgang Goethe. Werke. Ausgewählt von Mathias Bertram. Digitale Bibliothek 4. Berlin: Directmedia 1998; Johann Wolfgang von Goethe. Zeit, Leben, Werk. Von Jürgen von Esenwein/Harald Gerlach: Stuttgart: Metzler 1999. In: Forum Computerphilologie <http://computerphilologie.uni-muenchen.de/jg00/bohnenka.html>; des weiteren siehe: Mirko Nottscheid: Kurt Tucholsky: Werke, Briefe, Materialien. Gesammelte Werke im Volltext. Digitale Bibliothek 15. Hg. v. Mathias Bertram u.a. Berlin: Directmedia 1999. In: Forum Computerphilologie <http://computerphilologie.uni-muenchen.de/jg00/nottsch.html> (Alle URLs zuletzt gesehen am 20.4.2002).
[4] Vgl. die Einführung in: Mark Lehmstedt (Hg.): Deutsche Literatur von Frauen, S. 18 (Fußnote 1).
[5] Einführung in: Mark Lehmstedt (Hg.): Deutsche Literatur von Frauen, S. 5 (Fußnote 1).
[6] Einführung in: Mark Lehmstedt (Hg.): Deutsche Literatur von Frauen, S. 4 (Fußnote 1).
[7] Vgl. z.B. Renate von Heydebrand/Simone Winko: Arbeit am Kanon. Geschlechterdifferenz in Rezeption und Wertung von Literatur. In: Hadumod Bußmann/Renate Hof (Hg.): Genus. Zur Geschlechterdifferenz in den Kulturwissenschaften. Stuttgart: Kröner 1995, S. 206-261.
[8] Vgl. auch den kurzen Überblick von Inge Stephan: Literaturwissenschaft. In: Christina von Braun/Inge Stephan (Hg.): Gender Studien. Eine Einführung. Stuttgart: Metzler 2000, S. 290-299, hier S. 294.