AUTOREN ALS VERLEGER. DIE ZUKUNFT DER WISSENSCHAFTLICHEN KOMMUNIKATION?

Abstract

Journals are still the principal means by which new scientific knowledge is disseminated. The recent high and fast-rising cost of journals has had a devastating effect on the flow of scientific communication, the research community, and library collections. The following article provides an overview of the forces in the scientific communication market focusing on the particularly difficult situation for journals in the scientific, technical and medical (STM) fields. The impact of rising journal prices is aggravated by the availability of new media – such as Web editions of existing journals. Researchers – whose work is paid for by the university or the federal government – increasingly give away their research to commercial journals, which then charge universities high subscription fees in order to buy it back. The papers that appear in STM journals are typically provided free by academic researchers and are subject to peer review by academic referees and editors, who also receive little if any remuneration. To alleviate this difficult situation, numerous projects that represent a direct and strong competitive alternative to existing high-priced titles in important established STM fields have been launched. This article describes the far reaching transformation of the STM publishing market under way which will also change other scientific professions such as the humanities.

1. Einführung

Bislang kommt Fachzeitschriften gegenüber Büchern infolge ihrer vergleichsweise kurzen Produktionszeit eine besondere Bedeutung im wissenschaftlichen Kommunikationssystem zu. Mit Hilfe weltweiter Datennetze wird die Kommunikation neuester Forschungsergebnisse innerhalb einer Forschergemeinschaft mehr und mehr in elektronischer Form abgewickelt. Die Entwicklung hin zum internetgestützten Medienverbund nimmt die Dimension eines Paradigmenwechsels an, der das Publikationssystem der STM-Fächer nachhaltig verändern wird. Aber auch die geisteswissenschaftlichen Fächer stehen vor einem profunden Umbruch ihrer Publikationsgepflogenheiten, der sich bereits am Horizont abzeichnet. Denn durch den Abschied von Gutenberg und der Migration des wissenschaftlichen Publikationssystems ins Internet tritt ein Strukturkonflikt des Verlagswesens zu Tage, der sich um die Frage dreht, ob in Zukunft wissenschaftliche Informationen, vor allem im STM-Bereich,[1] die mit den Mitteln des Steuerzahlers in öffentlichen Institutionen oder auf Grund staatlicher Projektförderung erlangt wurden, ein freies Gut darstellen oder auch künftig kostenpflichtig sein werden.

Auslöser für die kritische überprüfung des scientific beziehungsweise scholarly publishing ist eine für Bibliotheken und Wissenschaftler ungünstige Marktentwicklung, die gemeinhin als ›Zeitschriftenkrise‹ bezeichnet wird: Vor etwa zwanzig Jahren begannen Forschungsbibliotheken in den USA massiv über das wachsende Missverhältnis zwischen wissenschaftlichem Output und den zur Verfügung stehenden Ressourcen der Verlage und Bibliotheken zu klagen.[2] Die wissenschaftliche Literatur insgesamt wächst exponentiell. Hinzu kommt, dass viele kommerzielle Verlage ihre Abonnementpreise für Printabonnements in den vergangenen Jahren drastisch erhöht haben. Wie die amerikanische Association of Research Libraries (ARL) feststellte, stieg der Durchschnittspreis pro Zeitschrift zwischen 1986 und 2000 um 226 Prozent – viermal so stark wie die Inflationsrate.[3] Die der ARL angeschlossenen 122 Bibliotheken mussten im Jahr 2000 für einen um sieben Prozent geschrumpften Bestand an Titeln 124 Prozent mehr an Abonnementkosten aufbringen. Während US-amerikanische Forschungsbibliotheken zwischen 1986 und 1999 um 207 Prozent höhere Anschaffungskosten für Zeitschriften hatten, stieg die Zahl der begutachteten elektronischen Journals zwischen 1991 und 2000 um 570 Prozent.[4] Welch bedeutender Wirtschaftsfaktor hieraus entstanden ist, verdeutlicht das Volumen des STM-Fachinformationsmarktes von circa 9,5 Milliarden US-Dollar im Jahr 2000.[5]

Nicht nur in den USA ist der Handlungsbedarf unabweisbar, denn weltweit stehen die wissenschaftlichen Bibliotheken mit dem Rücken zur Wand. Deutsche Bibliotheken verlieren seit etwa zehn Jahren pro Jahr circa zehn Prozent ihres Bestellvolumens, so Elmar Mittler, Vorstandssprecher der Deutschen Initiative für Netzwerkinformation (DINI).[6] Die Zeitschriftenabbestellungen durch Bibliotheken und Einzelpersonen stellen nicht nur die öffentlichkeit von Wissenschaft in Frage, sondern bedrohen inzwischen auch die konkreten Arbeitsmöglichkeiten aller Forscher, da nicht nur weniger STM-Zeitschriften abonniert werden können, sondern die Anschaffung von Monographien in allen universitären Fächern durch den Kostendruck der STM-Journals drastisch zurückgeht. Die Zeitschriftenkrise im STM-Bereich hat also unmittelbare Auswirkungen auf die gesamte Literaturversorgung der Universitäten und Forschungseinrichtungen.

2. Theoretischer überblick: Der STM-Zeitschriftenmarkt als Informationsvermittlungssystem

Voraussetzung für jeden gelungenen Kommunikationsprozess ist die Selektion von Informationen, die durch eine Auswahl relevanter Informationen und deren Speicherung in einen differenzierten Informationsträger wie Sprache oder Verbreitungsmedien zur Aufrechterhaltung der Kommunikation führt. Seit der Erfindung des Buchdrucks dient das gedruckte Wort als Wissensspeicher. Die Entwicklung netzgestützter Kommunikationsmedien wie das Internet und elektronische Texte erweitert die verfügbaren Wissensspeicher und führt so zu einer Ausdifferenzierung von Interaktionsmitteln der Wissenschaft. Das System Wissenschaft, dessen Leistung an die Gesellschaft in der Zurverfügungstellung neuen Wissens besteht, hat verschiedene Medienformen entwickelt, um situationsgemäß die optimale Form der Informationsübertragung sicherzustellen, darunter die wissenschaftliche Zeitschrift. Das System STM-Zeitschriftenmarkt ist ein Subsystem des wirtschaftlichen Systems Buchhandel, das wiederum mit bestimmten, fachlich differenzierten Subsystemen des wissenschaftlichen Systems (Science, Technology, Medicine,...) in Interdependenz steht. Diese Medien fungieren als Vernetzungsinstanz in der wissenschaftlichen Kommunikation, sie dienen als Informationsträger, die zur Selektierung von relevanten Informationen herangezogen werden. Für die Wissenschaft haben Teile des Wirtschaftssystems in Form von Verlagen, Agenturen und Bibliotheken die Produktion und Distribution dieser Medien übernommen.[7]

Ablaufdiagramm STM-Zeitschriftenmarkt

Der wissenschaftliche Buchhandel in seiner Ausdifferenzierung als STM-Zeitschriftenmarkt entwickelte sich durch eine »Interpenetration zweier sozialer Systeme, der Wissenschaft und des Buchhandels«[8] im Zuge eines Ausdifferenzierungsprozesses zu einem autopoietischen Subsystem. STM-Zeitschriften sind Koprodukte des STM-Zeitschriftenmarktes und der Wissenschaft, deren Steuerung auf den jeweiligen Kommunikationsmedien Geld und Wahrheit beruht. Die Beschränkung des Wissenschaftssystems auf die Ermöglichung wahrheitsfähiger Kommunikationen wird unter anderem weiter beschränkt durch Theorien und Methoden als selektive Programme für die Zuweisung von Wahrheitswerten. Die Erprobung und Selektion der ›wahren‹ Theorien und Methoden geschieht im STM-Zeitschriftenmarkt durch das ›Peer Review-Verfahren‹. So greift das System STM-Zeitschriftenmarkt durch die Wissensakzeptanz und -ablehnung in das Wissenschaftssystem ein, denn das ›Peer Review-Verfahren‹ fungiert als Umweltselektion, das dem System Wissenschaft bei der Differenzierung wahr/unwahr und dem System STM-Zeitschriftenmarkt bei der Knappheitsregulierung dient. Daneben fungiert das System STM-Zeitschriftenmarkt als ›Wechselbörse‹ von gemeinsamen Nebencodes wie Ansehen, Einfluss, Macht, et cetera.[9]

Eine spezifische Funktion der Wissenschaft besteht in der Gewinnung neuer Erkenntnisse, die durch Zuweisung der Werte ›wahr‹ oder ›unwahr‹ an Sachverhalte und in Form von Wissen an die Gesellschaft weitergegeben werden.[10] Alle wissenschaftlichen Operationen verfolgen dabei die Produktion wahrer Aussagen. über Beobachtung kommt es zur Beschreibung mit Hilfe des Mediums Sprache, in das die Erkenntnisse als selektierendes Kommunikationsangebot in den wissenschaftlichen Diskurs eingebracht werden. Zu Wissen werden die Erkenntnisse durch Zuweisung des Labels ›wahr‹ und der Aufnahme in einen allgemein anerkannten Kanon an Speichermedien. Frank Holl teilt die im Prozess wissenschaftlicher Evolution dem Vergleich ausgesetzten Kommunikationsangebote in zwei Kategorien ein, die sich wesentlich durch die Unterscheidung »neue« versus »gesicherte« Erkenntnis auszeichnen.[11]

Auf dem STM-Zeitschriftenmarkt wird grundsätzlich zwischen begutachteten Beiträgen, die das Peer Review-Verfahren durchlaufen haben, und so genannten Preprints unterschieden.[12] In beiden Fällen wird davon ausgegangen, dass der Produzent der Erkenntnisse diese für wahr hält. In der darauf folgenden Kommunikation innerhalb des wissenschaftlichen Systems wird ein Konsens über die Vergabe der – diesmal allgemein anerkannten - Kategorien ›wahr‹ und ›nicht wahr‹ im Rahmen einer binären Kodierung hergestellt. Luhmann spricht in diesem Zusammenhang von einer Kommunikation »in passabler Form«,[13] die stilistische und inhaltliche Komponente ebenso wie Präsentationsform und Art des Mediums umfasst. Der unter dem Kode wahr/unwahr dominante Wahrheitswert der Wissenschaft, den das System STM-Zeitschriftenmarkt gewinnt, stellt die bestimmende Struktur der wissenschaftlichen Kommunikation dar, denn das Forschungsergebnis ist das konstituierende Element des Systems Wissenschaft. STM-Zeitschriften verfolgen dessen Kritik und stellen sie dar. So durchläuft jede Erkenntnis und jedes Wissen einen ständigen überprüfungsprozess, der nach Kuhn auf der Kategorie der Wahrheit beruht.[14] Jedoch ist die Prüfung der neu gewonnenen Erkenntnisse auf dem Hintergrund des bereits gesammelten Wissens nur möglich, wenn diese allen Wissenschaftlern der ›scientific community‹ zugänglich gemacht werden.[15] Luhmann nennt als Selektionsmechanismus die wissenschaftliche Publikation in gedruckter Form, jedoch nehmen mittlerweile auch elektronische Medien diese Funktion wahr. Nach Luhmann sind

Publikationen [...] gleichsam das Zahlungsmittel der Wissenschaft, das operative Medium ihrer Autopoiesis. Publikationsmöglichkeit ist eine der wichtigsten und einschneidensten Beschränkungen dessen, was erfolgreich mitgeteilt und dadurch wissenschaftliche Existenz gewinnen kann.[16]

Wissenschaftliche Resultate werden nur durch Publikation für andere Wissenschaftler nutzbar und nützlich gemacht. Die Doppelfunktion von Leser und Autor, die dem wissenschaftlichen Publizieren eigentümlich ist, nennt Luhmann eine »faktisch eingespielte Rollendifferenzierung«,[17] die Autor und Leser in Kritik und Wahrheitsfindung verbindet. Die Doppelrolle eines Wissenschaftlers als Autor und Leser ist nach Luhmann auch symptomatisch für das rekursive Netzwerk der wissenschaftlichen Kommunikation. In dieser Doppelfunktion bilden Wissenschaftler die zentralen Handlungsrollen als Selektor und Prozessor, die sich in den Anschlussstellen des Systems Wissenschaft an dem System STM-Zeitschriftenmarkt widerspiegeln.

ökonomisch betrachtet ist Wissen ein Kapitalgut: ein seinerseits produziertes Produktionsmittel. Die wichtigste Industrie der Wissensproduktion ist der Forschungsbetrieb der Wissenschaft, der zugleich den wichtigsten Abnehmer vorproduzierten Wissens darstellt. Unter Zugabe lebendiger Aufmerksamkeit stellt die Wissenschaft aus vorgefertigtem Wissen neues Wissen her.[18] Der wichtigste Markt für Wissen heißt wissenschaftliche Kommunikation. Auf ihm wird Wissen in der Form von Publikationen angeboten. Dieses Angebot trifft auf die zahlungsbereite Nachfrage derer, die an Inputs für die eigene Produktion interessiert sind. Die Publikation ist die Form, in welcher der Output der Wissensproduktion in den Input der Weiterverarbeitung übergeht.[19] Das System des STM-Zeitschriftenmarktes bietet mit seinen Verlagsprodukten nicht nur die Grundlage der wissenschaftlichen Kommunikation im Sinne der Wahrheitsfindung, sondern diese Wahrheitsfindung wird Grundvoraussetzung für die wirtschaftliche Existenz des STM-Zeitschriftensystems. Mit wissenschaftlichen Innovationen lässt sich im STM-Zeitschriftenmarkt nur dann wirtschaftlich erfolgreich handeln, sofern ihr Wahrheitswert positiv ist, sie also wahr sind. Das Wechselspiel beider Systeme unterstützt somit deren Fortbestand.

Doch der Forschungsbetrieb dreht sich nicht nur um die organisierte Suche nach Wahrheit. Das Streben nach Erstpublikation und exklusiver Autorenschaft zeigt, dass die Motivation des Wissenschaftlers über den rationalen Horizont der Wissenserweiterung hinausgeht. Das theoretische Bild der Wissenschaft komplettiert sich erst, wenn der organisierte Kampf um die Aufmerksamkeit mit einbezogen wird. Als Medium für den Transport der Aufmerksamkeit dienen nicht zuletzt wissenschaftliche Fachzeitschriften. Das Gratifikationssystem der Reputation ist das notwendige Komplement zur Logik der Forschung. Georg Franck stellt fest, dass die Kosten des Wissenschaftsbetriebs alleine mit Geld und Privilegien nicht finanzierbar wären.[20] Der Forschungsbetrieb nutzt daher die Aufmerksamkeit, die einem Forscher entgegenkommt, nicht nur zu dessen Motivation, sondern auch zur Erledigung des operativen Geschäfts, indem die Widmung der Aufmerksamkeit für die Rezeption und Prüfung der Produktion anderer Wissenschaftler instrumentalisiert wird. Aufmerksamkeit hält somit in doppelter Funktion den Forschungsbetrieb in ständiger Selbstkontrolle und Selbstanalyse.

Mit der Koordinierung innerwissenschaftlicher Information nimmt der STM-Zeitschriftenmarkt die primäre Funktion war, den Informationstransfer innerhalb der ›scientific community‹ zu regeln. Aufgabe des STM-Marktes ist es, im Rahmen verschiedener Publikationsformen wissenschaftliche Erkenntnisse auf die schnellste und effizienteste Art zu übermitteln. Als Teil des gesamtwirtschaftlichen Systems gelten im STM-Zeitschriftenmarkt marktwirtschaftliche Prinzipien wie Angebot und Nachfrage. Medien, die wissenschaftliche Informationen enthalten, besitzen einen ökonomischen Wert entsprechend ihrer jeweiligen Qualität.

Zwei Perspektiven des Systems STM-Zeitschriftenmarkt werden unterschieden: die Handlungsperspektive (Autoren, Verlage, Zwischenhändler, Käufer, Leser) und die Medienperspektive (Printjournal, Ejournal, Preprints et cetera).[21] Im Zuge einer Neustrukturierung der Wertschöpfungskette STM-Journal erfahren die Handlungsrollen eine Differenzierung, die die bisherigen Rollenmodelle teilweise drastisch verändert. Ebenso differenzieren sich Medien und Medienformen durch die überwindung des gutenbergschen Druckverfahrens und die Auflösung des Mediums Papier.

Im Zuge eines allmählichen Prozesses entwickelte sich die Ausdifferenzierung des STM-Zeitschriftenmarktes als Teilbereich des Systems des wissenschaftlichen Buchhandels. Nur wenige begutachtete Fachzeitschriften konnten sich bislang fächerübergreifend als Leitmedien für die Wissenschaft etablieren, so etwa Science oder Nature. Die oben skizzierte Entwicklungsgeschichte der Wissenschaftsgebiete hat vielmehr in paralleler Weise zu einer Ausdifferenzierung der zugehörigen Zeitschriften in kleinste Subsegmente geführt.

In jüngster Zeit bilden sich durch die Verfügbarkeit elektronischer Medien neue Verbreitungskanäle wissenschaftlicher Informationen. Neben den traditionellen, gedruckten Journalen sind dies elektronische Zeitschriften im WWW sowie Vorveröffentlichungen in Form von Preprints. In der Medienperspektive entwickeln sich daher, unterstützt durch technologischen Fortschritt, neue Kommunikationsmittel, die sich durch spezifische Anwendungsformen unterscheiden.[22] So bilden sich als Bündelung der unterschiedlichen Kommunikationskanäle weltweite elektronische Communities, in denen Wissenschaftler eines Fachgebiets untereinander kommunizieren. Diese Kommunikationsformen stellen eine Ausweitung bereits bestehender Kanäle in andere Medien dar und differenzieren sich in ihrer Funktionalität für den wissenschaftlichen Diskurs: Preprints dienen der raschen Information der Fachkollegen, gedruckte Zeitschriften der qualitativen Selektion und Vergabe von wahr-/unwahr-Kategorien. Zur informellen und schnellen Kommunikation wird E-Mail genutzt. Die fortschreitende thematische Ausdifferenzierung in Subkategorien sorgt somit für eine Erweiterung der wissenschaftlichen Disziplinen in diversen Publikationskanälen.

3. Strukturelle Gründe für Veränderungen im STM-Publikationssystem

Unbestritten erfuhr das STM-Publikationssystem während der vergangenen Jahre umfassende Veränderungen, deren Gründe in strukturellen Verwerfungen der angeschlossenen Subsysteme liegen.

Die Expansion des Systems Wissenschaft führte zu einer exponentiellen Steigerung der Zahl der Wissenschaftler in universitären und anderen Forschungseinrichtungen. Ihre Zahl wird aller Voraussicht nach weiter steigen. Die wachsende Wissenschaftlerschar erhöht den Bedarf an neuen Fachzeitschriften mit immer speziellerem Themenfokus. Dies fordern sowohl Kunden als auch potentielle Autoren: Wissenschaftler sind gezwungen, sich stets über die aktuellsten Entwicklungen in ihrer individuellen Sub-Spezialisierung auf dem Laufenden zu halten. Durch ihre zeitlich beschränkte Aufnahmekapazität konzentrieren sie sich daher auf Publikationen, die in ihrem Spezialgebiet erscheinen. Für wissenschaftliche Autoren steigt außerdem in einem immer härter umkämpften Arbeitsumfeld die Notwendigkeit, in qualitativ hochwertigen und angesehenen Zeitschriften zu publizieren. Bei der Einreichung von Artikeln kommt es daher zu einem Abwägen zwischen dem Qualitätsranking der Zeitschrift und der Wahrscheinlichkeit, den Peer Review zu überstehen. Auch die Spezialisierungstendenzen der wissenschaftlichen Teildisziplinen führt zur Ausdifferenzierung neuer Subdisziplinen und multidisziplinären Forschungsinitiativen. Oft werden diese Entwicklungen von Neugründungen wissenschaftlicher Zeitschriften begleitet, die einer spezialisierten, sich neu konstituierenden ›scientific community‹ als Sprachrohr dienen.

Wissenschaftler sehen sich darüber hinaus einem starken Publikationsdruck ausgesetzt, der allgemein mit dem Stichwort ›publish or perish‹ charakterisiert wird. Gerade Universitäten und Wissenschaftskollegen fordern von ihren Peers den stetigen Nachweis wissenschaftlicher Leistung, um scheinbar objektive Bewertungskriterien zu erhalten.

Als Nebeneffekt der immer größeren Zahl wissenschaftlicher Artikel führt das langwierige Peer Review-Verfahren bis zur eigentlichen Veröffentlichung zu einer signifikanten Verzögerung des Publikationsprozesses. Zeitspannen von bis zu einem Jahr zwischen der ersten Einreichung eines Papers und der Drucklegung gelten in vielen Wissenschaftsdisziplinen als Standard. Zweifellos lässt sich diese Zeitspanne durch die Dauer des Drucklegungsprozesses erklären. Auch steht in Printzeitschriften häufig eine unzureichende Seitenkapazität zur Verfügung, so dass schlichtweg auf freie Artikelplätze gewartet werden muss. Denn die Unwägbarkeiten des Begutachtungsprozesses gelten als Ursache dafür, dass jedes Printjournal einen Artikelvorrat auflaufen lässt, der monatelang auf Abruf bereit liegt. Diese Zeitverzögerung erschwert die schnelle Interaktion und blockiert nicht nur fachliche Diskussionen zwischen Autor und Leser, sondern letztlich den reibungslosen wissenschaftlichen Diskurs.

Die seit Jahren stagnierenden oder sinkenden Bibliotheksetats bilden einen weiteren exogenen Faktor, der vor allem im Hinblick auf die exponentiell wachsende Zahl der Wissenschaftler situationsverschärfend wirkt. Denn die weiter steigende Zahl wissenschaftlicher Journale bedeutet höhere Abonnementkosten und Arbeitsbelastung für die Bibliotheken.

Auch der Anteil der Bibliothekskosten an den Gesamtausgaben für universitäre Ausbildung insgesamt sinkt weiter. Während der größten Wachstumsphase zwischen 1960 und 1971 steigerten die US-amerikanischen Bibliotheken ihren Anteil am Erziehungshaushalt von unter drei Prozent auf fast vier Prozent. Während der siebziger Jahre blieb der Anteil konstant. Seit 1980 fällt der Ausgabeanteil für Bibliotheken nahezu jedes Jahr.

Direkte Konsequenz der sinkenden Bibliotheksetats sind Veränderungen im Abonnementverhalten. Denn wenn Bibliotheken und Einzelabonnenten ihre Subskriptionen kündigen, bleibt Verlagen als Reaktion nur die Kundenneuwerbung oder eine allgemeine Preiserhöhung. Um die Auswirkungen der Abonnementkürzungen auf ortsansässige Wissenschaftler zu minimieren, gehen Bibliotheken nach klaren Kosten-Nutzen-Erwägungen vor. So werden an der Yale University nur diejenigen Zeitschriftenabonnements storniert, die im Verlauf eines festgelegten Zeitraums keine oder nur minimale Nutzung erfahren haben.[23]

Die Preissteigerungen der Verlage haben verschiedene Ursachen. Zum einen spielt der Teufelskreis von sinkenden Abonnementzahlen und daraus notwendigen Subskriptionspreis-Anpassungen eine Rolle. Vor allem der drastische Rückgang der Einzelabonnements führte zu einer überproportionalen Preiserhöhung bei institutionellen Subskribenten wie etwa Bibliotheken.[24] Zum anderen sehen sich zahlreiche Verlage seit Mitte der neunziger Jahre mit hohen Investitionen in elektronische Publikationssysteme konfrontiert. Die Preissteigerungen stehen allerdings in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit den elektronischen Publikationsmedien, da sie erst ab 1997 von den großen Verlagen flächendeckend eingeführt wurden. Das Phänomen der Preissteigerungen hingegen ist bereits deutlich früher zu beobachten. Sie sind nicht die Ursache, sondern nur eine Facette der Zeitschriftenkrise. Daneben spielen auch marktwirtschaftliche Gewinnmaximierungsstrategien eine Rolle. Die zu beobachtenden Monopolisierungstendenzen in der Verlagslandschaft fördern diese Tendenz und geben den Verlagen mehr und mehr Marktmacht.

Verlage selbst geben als Begründung für Preiserhöhungen häufig Umfangserweiterungen oder steigende Kosten des Peer Review-Prozesses an.[25] Doch sind Umfangsvergrößerungen kein valider Grund für die zu beobachtenden Preiserhöhungen: Obwohl sich insgesamt gesehen die durchschnittliche Größe der Journale (das heißt die Anzahl der Seiten pro Ausgabe und die Anzahl der jährlichen Ausgaben pro Journal) erhöht hat, würden bereits weniger als die Hälfte der realen Preissteigerungen die daraus resultierenden Produktionskosten kompensieren. Beachtenswert ist auch, dass Abonnements aus kommerziellen Verlagen im Vergleich zu den meisten wissenschaftlichen Gesellschaften deutlich teurer sind.[26]

4. Lösungsmöglichkeiten für die Zeitschriftenkrise

Aus dieser übersicht wird deutlich, dass Verlage den Dreh- und Angelpunkt der Zeitschriftenkrise darstellen. Ihre Preispolitik führt zu den wissenschaftsschädigenden Umverteilungen in den Budgets der Bibliotheken. Alle Reformversuche zielen daher auf ein Aufbrechen des Preisdiktats der kommerziellen Verlage. Doch deren Marktstellung wird nicht zuletzt durch die imagebildende Wirkung etablierter Journale gestützt, deren Auswirkungen immer noch die starke Anziehungskraft der Printzeitschriften ausmacht.

4.1 Neuverteilung der Verwertungsrechte

Die übertragung der Verwertungsrechte stellt den Kernpunkt aller Strategieüberlegungen dar. Deren Besitz ermöglicht die Verfügung über das wesentliche Gut des STM-Zeitschriftenmarktes: neues Wissen. Die bisher übliche übertragung der Verwertungsrechte vom Autor an den Verlag bildet die geschäftliche Grundlage des derzeitigen Verlagssystems.[27] Bis zur Einführung des Electronic Publishing war es für wissenschaftliche Autoren kaum ökonomisch oder in Karrierehinsicht von Vorteil, das Verwertungsrecht an ihrer Arbeit für sich zu behalten. Derzeit bezahlen Autoren die Verlagsdienstleistung durch das uneingeschränkte Verwertungsrecht an ihren wissenschaftlichen Erkenntnissen. Verlage übernehmen dafür die weitere Aufbereitung und Distribution und erzielen im Verkauf der fertigen Artikel einen Gewinn. Sie können mit der uneingeschränkten Kontrolle dieser Informationen deren Distribution monopolisieren.

Die bisherigen Geschäftsstrategien der Verlage beruhen auf der Kontrolle exklusiver Verwertungsrechte an primären wissenschaftlichen Informationen, die zur gezielten Markenbildung von Journals verwendet werden und so die Grundlage der wirtschaftlichen Existenz von Verlagen darstellen. Eine grundlegende Marktveränderung wird nur mit einem veränderten Vergabemodus dieser Verwertungsrechte einhergehen. Denn auch wettbewerbsrechtlich ist die vollständige Verfügung über öffentlich finanzierte Informationsgüter, wie sie Verlage für sich in Anspruch nehmen, zumindest prüfenswert.

Die bisherigen übertragungswege des Verwertungsrechtes stehen darüber hinaus im Widerspruch zu den berechtigten Ansprüchen der Wissenschaftler auf freie Dissemination ihrer primären Forschungsergebnisse. Indem das Verwertungsrecht bei den Autoren bleibt, können diese auf einem sich neu formierenden STM-Zeitschriftenmarkt für die für sie optimale Publikationsvariante optieren. Verlagen wird damit die Möglichkeit genommen, extrem überhöhte Zeitschriftenpreise festzulegen, die Distribution erfolgt in ihrem maximalen Umfang durch elektronische Medien.

Eine solche fundamentale änderung des Marktsetups bedingt ein ebenso radikales Redesign des Marktes, das sich nur in mehreren Schritten realisieren lässt. Ein erster Schritt wäre die Redistribution der öffentlichen Mittel, die für die Aufrechterhaltung des STM-Zeitschriftenmarktes derzeit fließen.[28]

4.2 Redistribution öffentlicher Mittel

Die oben angedeutete Neuverteilung des Autorenverwertungsrechtes geht einher mit der Redistribution öffentlicher Mittel für die Erstellung und den Erwerb von STM-Informationen. Sie bedarf einer grundlegenden Neuordnung. In der derzeitigen Konstellation kommen die Bibliotheken, das heißt die öffentliche Hand für alle Folgekosten der wissenschaftlichen Publikation auf. Dem Autor entstehen keine Kosten. Wäre dieser selbst mit einer finanziellen Aufwendung an den Verlag beteiligt, und behielte gleichzeitig zumindest teilweise die Rechte an seinem Werk, wäre das finanzielle Verteilungssystem des STM-Zeitschriftenmarktes nachhaltig verändert. Letztendlich wird die Universität als Arbeitgeber der wissenschaftlichen Autoren für die Publikation der primären wissenschaftlichen Literatur in finanzieller Hinsicht aufkommen.

Wie der Autor selbst in den finanziellen Kreislauf eingebunden werden kann, führen bereits einige Verlage in beispielhafter Weise vor. Der BioMedCentral-Geschäftsführer Jan Velterop umschreibt seine Geschäftsphilosophie mit dem Schlagwort »Author Charges are the Future«.[29] Autorengebühren bergen das Potential, das System des wissenschaftlichen Publizierens nachhaltig zu verändern. Wissenschaftler erwarten vom STM-Publikationssystem, dass ihre Ergebnisse in ein Archivierungssystem eingebracht werden und weitestgehende Verbreitung finden. Optimale Wissenszirkulation kann allerdings das derzeitige Veröffentlichungswesen nicht leisten. Noch unterliegt offener und öffentlicher Zugang zu wissenschaftlichen Forschungsergebnissen Restriktionen. Die Finanzierung der wissenschaftlichen Veröffentlichung über die Universität des Autors beziehungsweise der Konsumenten unter Ausschaltung der Bibliotheken (die jedoch nach wie vor dem Archivierungsauftrag nachzukommen haben) und garantiertem freien Zugang für alle Interessierten, nicht nur einer kleinen Gruppe von Abonnenten. Das BioMedCentral-Modell ermöglicht den Verlagen, ihre Kosten für die Veröffentlichung der wissenschaftlichen Information unabhängig von Abonnements zu decken. Noch sind die strukturellen Auswirkungen dieses neuen Geschäftsmodells nicht absehbar; die Reaktionen der relevanten Bibliothekscommunity waren jedoch insgesamt sehr positiv.[30]

Steuert der Autor mit einer Zahlung an den Verlag selbst die Verbreitung seiner Forschungsergebnisse, werden damit wesentliche Verbesserungen des Informationsaustausches mit der Konsequenz einer deutlich verbesserten Verbreitung wissenschaftlicher Informationen erreicht: Denn nicht nur durch Verlage, sondern auch über andere, elektronische Kanäle wie Preprint-Server oder wissenschaftliche Communities werden Forschungsergebnisse verbreitet.

Verlage wären unter diesen Marktumständen gezwungen, um die besten wissenschaftlichen Artikel zu konkurrieren, denn die Autoren wägen die Einreichung ihrer Artikeln nach ökonomischen und renommeebezogenen Gesichtspunkten ab, da sie mit ihrem eigenen Budget an der Veröffentlichung beteiligt sind. Der Autor ist damit unmittelbar an einer schnellen und breiten Distribution seines Werkes interessiert und kann diese selbst steuern. Die Auswahl der Zeitschriftenlabels und die Menge der eingereichten Artikel verändern sich als Folge des neuen Finanzierungsstroms nachhaltig. Wettbewerb und Innovation in der Autorenbetreuung und Informationsverbreitung werden so gesteigert. Mit Aufgabe des restriktiven und exklusiven Verwertungsrechtes in der Hand einer einzigen Institution würden auch die Markteintrittsbarrieren in den STM-Zeitschriftenmarkt deutlich sinken. Damit könnte sich auch der Distributionsmarkt effizienter ausdifferenzieren.

Grundsätzlich liegt die Zukunft nicht im überkommenen, seriellen Zeitschriftenkonzept, sondern in einem evolutionär wachsenden Artikelarchiv. Der Wettbewerbsvorteil der Verlage beziehungsweise Contentdienstleister wird mehr und mehr durch die Fähigkeit definiert, eine kritische Masse an attraktiver wissenschaftlicher Information durch eine einzige, nutzerfreundliche Schnittstelle bereitstellen zu können. Peer Review wird aller Wahrscheinlichkeit nach die akzeptierte und geforderte Qualitätskontrolle bleiben, auch wenn mit interaktiven Leserentscheiden experimentiert wird. Realistischerweise ist kurzfristig keine schnelle Veränderung des Fachzeitschriftenmarktes zu erwarten. Nur wenn die Einkaufsbudgets der Universitäten den einzelnen Departments zugeordnet würden, könnten diese ein alternatives Publikationssystem in Erwägung ziehen. Ohne eine solche Veränderung wird die Entwicklung von Portalen für bestimmte wissenschaftliche Themen zunehmen. Dabei wird ein Mix an kostenlosen und kostenpflichtigen wissenschaftlichen Informationen entstehen, die insgesamt kommerzielle beziehungsweise staatliche Unternehmen kontrollieren. Möglicherweise werden diese Journals von Wissenschaftlern selbst veröffentlicht, allerdings unter der wirtschaftlichen Verantwortung kommerzieller Häusern, die ihre Branding- und Marketingkompetenz einbringen. Am Ende der Entwicklung steht ein diversifizierter Contentmarkt, der sich durch freie Verfügbarkeit der wissenschaftlichen Informationen und eine Reihe kommerzieller Dienstleistungsunternehmen auszeichnet, die für die Interessen der Wissenschaftler tätig sind.

5. Ausblick

Die Verbreitung von verlässlichen Forschungsergebnissen im STM-Bereich ist ein komplexes und vor allem oftmals hochprofitables Geschäft. Derzeit wird der STM-Zeitschriftenmarkt größtenteils durch Verlagskonzerne bestimmt, obwohl auch kleinere, unabhängige Verlagshäuser und wissenschaftliche Gesellschaften einen nennenswerten Anteil am Gesamtgeschäftsvolumen haben. Die Anzahl frei zugänglicher Ejournals, die von Wissenschaftlern ohne finanzielle Unterstützung unterhalten werden, ist zwar gewachsen, jedoch nicht in dem Ausmaß, wie dies noch vor etwa fünf Jahren vorhergesagt wurde. Gleichzeitig digitalisierten kommerzielle und nichtkommerzielle Verlage ihren wissenschaftlichen Content in verhältnismäßig großem Umfang. Dies führte zu einer erneuten Vormachtstellung der etablierten Verlage im neuen Medium Internet. Große Verlagshäuser, die den Markt des gedruckten Journals dominieren, dehnen diese Kontrolle auch auf die elektronischen Zeitschriften aus. Hierzu bedienen sie sich neu aufgebauter Zugangsrestriktionen, vor allem der Kontrolle von Verwertungsrechten in allen Medienformen. Das (amerikanische) Copyright, ursprünglich für den Schutz der Autorenkreativität gedacht, bildet mittlerweile die Basis der Geschäftsmodelle kommerzieller Verlage und die Grundlage nahezu aller ökonomischen Aktivitäten auf dem STM-Zeitschriftenmarkt. Im elektronischen Zeitalter ermöglicht die Kontrolle der Verwertungsrechte den kommerziellen Verlagen nahezu unbeschränkte Flexibilität in der Bündelung hochspezialisierter Zeitschriften mit geringem Journal Impact Faktor – eine Strategie, die ihre Marktmacht noch mehr vergrößert.

In der andauernden Debatte über die Zukunft des wissenschaftlichen Publizierens wurde den Verlagen vielfach eine gewisse Kontrolle über die Verwertungsrechte an primären wissenschaftlichen Forschungsergebnissen zugestanden. Bislang besteht die wesentliche Einnahmequelle der Verlage in Subskriptionen und den daraus realisierten Gewinnen. Sowohl kommerzielle als auch nichtkommerzielle Verlage erachten Verwertungsrechte als essentiell für ihre Geschäftsmodelle und ihren wirtschaftlichen Erfolg. Daher haben alle Vorschläge, die an dieser grundsätzlichen Verteilung der Verwertungsrechte tief greifende Modifikationen vorschlugen, mit die hitzigsten Debatten ausgelöst, so etwa die Diskussion um die Public Library of Science.[31]

In der Printära waren zeitlich unbegrenzte Nutzungsrechte von Verlagen unproblematisch. Das elektronische Medium ändert dies, da neue und kostengünstige Distributionskanäle den Wissenschaftlern als Alternative zur Verfügung stehen. Sobald die gedruckten Parallelausgaben verschwinden, werden die Kosten für das Bibliothekssystem deutlich sinken. Dies muss nicht zu Lasten der Verlagsgewinne gehen, da externe Kosten wie Erwerbungen nur etwa ein Drittel der Bibliotheksausgaben ausmachen. Es sind die hohen internen Kosten der Bibliotheken, die durch einen Wechsel zum rein elektronischen Publikationsparadigma nachhaltig gesenkt werden können.

Die bislang vorherrschende Ausdifferenzierung des Zeitschriftenmarktes in thematische Subsegmente kann durch übergreifende Archive aufgebrochen werden, da die Grenzen zwischen den unzähligen Subdisziplinen wegfallen. Doch noch fehlt vielen innovativen Zeitschriftenprojekten die notwendige kritische Masse an wissenschaftlichen Informationen, um auf dem Markt wahrgenommen zu werden. Dies gilt auch für zahlreiche Datenbankprojekte. Um effektiv zu sein, müssen diese Datenbanken eine ausreichende Masse an relevanter Literatur sowohl des kommerziellen als auch des nichtkommerziellen Spektrums umfassen. Um gegen die derzeit vermarkteten Online-Projekte großer Verlagshäuser bestehen zu können, benötigen öffentliche Archive ebenfalls größere Zeitschriftenportfolios, die nur durch entsprechende Zusammenschlüsse erreichbar sind. Doch kommerzielle Verlage beharren auf ihren Online-Verwertungsrechten, da sie in Zukunft über eigene, vertikale Themenportale dauerhafte, neue Geschäftsmodelle im Internet realisieren wollen.

Die schnellste Weise, diesen Wechsel zu finanzieren, besteht in der Redistribution der Forschungsmittel vom bisherigen Abonnementsystem hin zu den Autoren selbst, die damit ihre Publikation mit freiem Zugang finanzieren könnten. Das gesamte Potential des elektronischen Publizierens lässt sich nur voll ausschöpfen, wenn die wissenschaftliche Gemeinschaft ihren Einfluss geltend macht. Wie in der Hochenergiephysik durch den ArXiv-Server müssen Verlage gezwungen werden, aus schierem Systemdruck heraus die freie Verfügbarkeit wissenschaftlicher Informationen zu akzeptieren. Denn es ist illusorisch zu erwarten, die Wissenschaft werde sich mit Selbsthilfe-Projekten wie SPARC langfristig gegen die Verlage stemmen können. Wissenschaftler wollen zwar keine Datenbankbetreiber, sondern wissenschaftlich tätig sein. Dennoch liegt das Schicksal von barrierefreien, öffentlichen Archiven zum großen Teil in der Hand der wissenschaftlichen Community.

Obwohl sich bislang das grundsätzliche Format der wissenschaftlichen Zeitschrift verhältnismäßig langsam wandelt, sind drastische Umbrüche innerhalb der kommenden fünf bis zehn Jahre zu erwarten. Denn die Bedeutung traditioneller Journals in der wissenschaftlichen Kommunikation sinkt rapide zu Gunsten einer Ausweitung alternativer Distributionskanäle. Das Internet ermöglicht eine ganze Reihe neuer, deutlich flexiblerer und schnellerer Kommunikationsformen. E-Mail-Korrespondenz und Preprint-Server breiten sich rasch in vielen wissenschaftlichen Communities aus und ersetzen vielfach traditionelle Zeitschriften. Mit der Einführung allgemein anerkannter Qualitätssiegel wird sich diese Entwicklung noch beschleunigen. Auch in Wissenschaften, die jetzt noch in hohem Maße auf ältere wissenschaftliche Informationen zurückgreifen müssen, werden diese zukünftig als digitale Dokumente zur Verfügung stehen.

Michael Meier

Dr. Michael Meier
meiermi@bigfoot.com


(24. März 2004)
[1] Entsprechend dem englischen Akronym für scientific, technical and medical [journals] werden naturwissenschaftliche, technische und medizinische Zeitschriften häufig als »STM-Zeitschriften« bezeichnet.
[2] Allerdings stellt die Beschwerde über exzessive Preise von Einzelabonnements ein bekanntes Topos seit den fünfziger Jahren dar. Eine detaillierte übersicht des STM-Fachzeitschriftenmarkts und seiner Ausprägungen findet sich in Michael Meier: Returning Science to the Scientists. Der Umbruch im STM-Fachzeitschriftenmarkt durch Electronic Publishing. München: Peniope 2002, der Grundlage dieses Artikels. Weitere Informationen unter <http://www.peniope.de/3936609012.htm> (17.2.2004).
[3] Die Association of Research Libraries (ARL) ist ein Zusammenschluss von 120 nationalen Universitäten und Bibliotheken zu einer nichtkommerziellen Mitgliederorganisation, darunter u.a. die Universitäten von California, Columbia, Cornell, Harvard, Indiana, MIT, Stanford, Yale, Pennsylvania State University, die New York Public Library und die Library of Congress. Die ARL ist zugleich Sponsor verschiedener Projekte und veröffentlicht regelmäßig ausführliche Statistiken zur Preisentwicklung bei wissenschaftlichen Zeitschriften.
[4] Drei Gruppen elektronischer Zeitschriften lassen sich unterscheiden: Die erste Gruppe der Preprints umfasst Veröffentlichungen, die eigentlich keine Zeitschrift bilden, aber im Kontext der Veröffentlichung als Zeitschriftenaufsatz stehen. Daneben gibt es die eigentlichen elektronischen Zeitschriften, die nur in dieser Fassung existieren, sowie die elektronische Parallelausgabe von weiterhin konventionell erscheinenden Zeitschriften, wobei die letzte Gruppe bislang den größten Anteil am Gesamtkomplex der elektronischen Zeitschriften ausmacht.
[5] Vgl. den Bericht Industry Trends, Size and Players in the Scientific, Technical & Medical (STM) Market. [o. A.] Burlingame, Ca: Outsell 2000.
[6] Siehe unter <http://www.dini.de> (17.2.2004) und Christiane Schulzki-Haddouti: Verlage treiben Hochschulbibliotheken in die Krise. In: Telepolis (29. Januar 2002), <http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/on/11691/1.html> (17.2.2004).
[7] In seinem Aufsatz von 1990 hat Georg Jäger die Entwicklung des wissenschaftlichen Buchhandels herausgearbeitet und in den Kontext der Systemtheorie eingeordnet. Die buchwissenschaftliche Literatur bezeichnet dieses Teilsystem als wissenschaftlichen Buchhandel (herstellend und vertreibend), während in dieser Arbeit der Begriff insbesondere auf den STM-Zeitschriftenmarkt bezogen wird, siehe Georg Jäger: Buchhandel und Wissenschaft. Zur Ausdifferenzierung des wissenschaftlichen Buchhandels. In: LUMIS-Schriften 26 (1990).
[8] Georg Jäger: Buchhandel und Buchwissenschaft, S. 27. (Fußnote 7).
[9] Ebd., S. 28f.
[10] Vgl. Niklas Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1990, S. 355. Unter ›Erkenntnis‹ ist stets ein Ereignis oder eine Ereignissequenz, unter ›Wissen‹ das Gesamtresultat struktureller Kopplungen des Gesellschaftssystems in Form eines aufgezeichneten Bestandes zu verstehen, vgl. ebd., S. 123 und 163.
[11] Frank Holl: Produktion und Distribution wissenschaftlicher Literatur: Der Physiker Max Born und sein Verleger Ferdinand Springer 1913-1970. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 45 (1996), S. 1-225. Hier S. 14.
[12] Der Ausdruck ›Preprint‹ hat verschiedene Bedeutungen. Einerseits bezieht er sich grundsätzlich auf ein begutachtetes Manuskript, das auf die Veröffentlichung in einem traditionellen Journal wartet. Andererseits beinhaltet der Begriff auch Paper, die zwar bei einem Journal eingereicht wurden, für die jedoch noch keine Publikationsentscheidung vorliegt, oder Paper, die auf elektronischem Wege veröffentlicht wurden und im Rahmen der Peer Group einer Wissenschaft kommentiert werden sollten. Daher können Preprints auch Dokumente beinhalten, die bei keinem Journal eingereicht wurden und für die dies auch nicht vorgesehen ist. Unter einem Eprint versteht man ein vom Autor selbst publiziertes und archiviertes Dokument, das laut der American Physical Society außerhalb des bisherigen traditionellen Publikationsmarktes veröffentlicht wird. Die Grenzen zwischen Preprint und Eprint verwischen derzeit. Eprints können von den Autoren jederzeit aktualisiert werden.
[13] Niklas Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 575. (Fußnote 10).
[14] Thomas Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. 2. rev. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1976, S. 175.
[15] Erst eine Publikation mit fixiertem Erscheinungsdatum ermöglicht die Unterscheidung, ob die enthaltenen Erkenntnisse neu sind. Davon unabhängig ist, ob jemand bereits zu einem früheren Zeitpunkt - womöglich unpubliziert - eine gleichwertige Wissenserweiterung erreicht hat, vgl. Niklas Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 296. (Fußnote 10).
[16] Ebd., S. 432.
[17] Ebd., S. 319.
[18] Georg Franck: ökonomie der Aufmerksamkeit. München/Wien: Hanser 1998, S. 38.
[19] Die Publikation hat dabei einen doppelten Effekt. Erstens erscheint das Wissen als Angebot auf dem einschlägigen Markt. Zweitens entsteht mit der Publikation geistiges Eigentum an diesem Wissen.
[20] Georg Franck: ökonomie der Aufmerksamkeit, S. 48. (Fußnote 18).
[21] Siehe hierzu auch Georg Jäger: Buchhandel und Buchwissenschaft, S. 27 und 29. (Fußnote 7).
[22] In dieser Arbeit unberücksichtigt bleibt das weite Feld der E-Mail-Korrespondenz.
[23] Sehr instruktiv sind die Darstellungen der Initiativen an der Yale-Universität unter <http://www.library.yale.edu> (17.2.2004).
[24] Carol Tenopir/Donald W. King: Towards Electronic Journals. Realities for Scientists, Librarians, and Publishers. Washington D.C.: SLA Publishing 2000, S. 32 sprechen von einem Rückgang um über 50 Prozent während der letzten 20 Jahre.
[25] So stieg laut Dr. Manfred Antoni, dem Geschäftsführer von Wiley-VCH, die Ablehnungsquote der Zeitschrift Angewandte Chemie von 53 Prozent im Jahr 2000 auf 68 Prozent im Jahr 2001, da deutlich mehr Artikel zur Veröffentlichung eingereicht wurden.
[26] Siehe Tenopir/King: Towards Electronic Publishing, Tabelle 61 und 62. (Fußnote 24).
[27] Häufig wird von Verlagsseite auf das unternehmerische Risiko hingewiesen, das der Verlag in Auftrag des Autors eingeht und durch die Zurverfügungstellung der gesamten Verwertungsrechte kompensiert wird. Wie gezeigt, ist dieses Risiko auf dem STM-Zeitschriftenmarkt sehr gering.
[28] Eine Lösung für die Zeitschriftenkrise lässt sich u.U. auch durch ein weniger radikales Redesign des STM-Zeitschriftenmarktes erreichen. Allerdings bleibt m.E. für eine langsame Evolution des Marktes unter den gegebenen Bedingungen nicht ausreichend Zeit.
[29] Vgl. <http://www.biomedcentral.com> (17.2.2004).
[30] Bei allem Optimismus über die innovativen Geschäftsmodelle, die BioMedCentral entwickelt, darf nicht übersehen werden, dass ein Hauptziel von BioMedCentral in der Schaffung von veräußerbaren unternehmerischen Werten liegt (auch das innovative Portal BioMedNet wurde von der Current Science Group entwickelt und anschließend an ElsevierScience veräußert).
[31] Vgl. <http://www.publiclibraryofscience.org> (17.2.2004).