ERFAHRUNGEN MIT DER VIRTUELLEN WISSENSCHAFT.
VOM SERVER FRÜHE NEUZEIT ZUM HISTORICUM.NET

Abstract

The integration of the medium Internet into the traditional system of scientific communication is still in a transitional process. New ways of knowledge transfer, different forms of communication as well as information retrieval are yet to be tested. Depending on the different communication cultures among academic disciplines, the focus of interest might vary and should be adjusted to a variety of needs and individual preferences. For the field of historical science, the example of the internet-project historicum.net and its predecessor Server Frühe Neuzeit may illustrate the search for appropriate concepts as well as the problems that arise.

Spielerei, Experiment oder schon neuer Standard? Vor gut zehn Jahren wurde das WWW als graphische Anwendungsoberfläche für das Internet eingeführt und seitdem auch von der Wissenschaft als Kommunikationsplattform erprobt. Diese Aneignung des neuen Mediums ist mittlerweile nicht mehr nur Gegenstand einer den Prozess begleitenden Reflexion, mitunter sogar Polemik, sondern zunehmend auch der wissenschaftlichen Analyse.[1] Dennoch ist gerade für die einzelnen Disziplinen noch wenig bekannt, in welcher Weise sich das Internet in die komplexen Kommunikationssysteme des Wissenschaftsbetriebs eingefügt hat und welche Gebrauchsformen dabei eine Rolle spielen, zumal der Wandlungsprozess noch in ständigem Fluss ist. Auch für die Geschichtswissenschaft fehlen umfassendere und präzisere Untersuchungen zu diesem Thema.[2]

Im Folgenden soll anhand des Internetportals historicum.net[3] und seines Vorläufers Server Frühe Neuzeit[4] ein geschichtswissenschaftliches Projekt exemplarisch vorgestellt werden. In welchen Entstehungskontext ist das Projekt einzuordnen? Welche Zielsetzungen wurden verfolgt? Welche Faktoren bestimmten die Entwicklung mit? Welche Probleme ergaben sich? Dieser Fokus kann zwar kaum mehr als Schlaglichter auf ein Gesamtbild werfen, trotzdem mag er dienlich sein, wenn es darum geht, Konzepte, Entwicklungslinien und Problemfelder aufzudecken und die medialen Besonderheiten und Chancen der Erweiterung traditioneller Kommunikationsinstrumente zu diskutieren.

Wissenschaft: Medialität der Vermittlung

Das Internet stellt nicht nur neue Distributionswege mit den evidenten Vorzügen Schnelligkeit, Aktualisierbarkeit und Einfachheit der Publikation bereit, sondern beeinflusst ebenso Inhalte und Formen der Darstellung und damit das gesamte Kommunikationsgefüge. Dieser Zusammenhang wird in der Medienwissenschaft vor allem von konstruktivistischen Ansätzen betont, die im Medium nicht den neutralen Mittler von Nachrichten sehen, sondern von »einer weiterreichenden Beteiligung der Medien an der Selbstorganisation sozialer Wirklichkeit« ausgehen.[5] Die Einsicht in eine grundsätzliche Mediengebundenheit von Wissenschaft führt in der Konsequenz zu der Annahme, dass »auch der derzeitige Medienumbruch, das Aufkommen der digitalen Medien, die Wissenschaft in ihrem Kern« treffe.[6]

Das gilt vor allem auch für die Publikation als zentrales Instrument der wissenschaftlichen Kommunikation. Publikationen erfüllen über den Austausch und die Diffusion von Forschungsergebnissen hinaus noch weitere entscheidende Funktionen[7] wie Archivierung, Qualifizierung, Legitimierung, Autoritätszuschreibung und -behauptung, die bei den medialen Transformationsprozessen erhalten beziehungsweise neu konstituiert werden müssen.

Automatisch eröffnet sich mit dem Medienwandel ein Experimentierfeld für erweiterte Modelle der wissenschaftlichen Kommunikation. In der Praxis lässt sich bereits beobachten, wie sich solche Modelle in sehr unterschiedlichem Maße in den einzelnen Fachwissenschaften beziehungsweise den Subdisziplinen etabliert haben, abhängig davon, wie kompatibel sie zu den Traditionen der jeweiligen Wissenschaftskultur sind. Die Bedeutung kollaborativen Arbeitens,[8] der Stellenwert monographischer Veröffentlichungen in Relation zu Aufsätzen, die Verbindlichkeit und Standardisierung von Methoden und Paradigmen sind innerwissenschaftliche Faktoren, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Ausschlaggebend sind darüber hinaus weitere Aspekte wie etwa die Größe der ›scientific community‹, das institutionelle Umfeld oder die individuelle Reputation.[9]

Annäherung: Historiker und das Internet

Wie lässt sich – ausgehend von der Annahme, dass einzelne Wissenschaftsdisziplinen durch ein je spezifisches Verhältnis zum Medium gekennzeichnet sind – die Distanz der Geschichtswissenschaft(ler) zum Internet bemessen? Es zeigt sich, dass bei genauerer Betrachtung das gängige Bild einer technikfernen, konservativen Historikerzunft keineswegs der Realität entspricht.

In den USA hatte eine kleine Gruppe von Geschichtswissenschaftlern schon Ende der 1980er Jahre das Internet als innovatives Kommunikationsmedium und Experimentierfeld entdeckt[10], mit einiger Verzögerung waren erste Aktivitäten, vor allem im Bereich der Mailinglisten auch in Deutschland zu verzeichnen. Anfang der 1990er Jahre gab es mit H-Net für die Sozial- und Geisteswissenschaften den erfolgreichen Versuch der organisatorischen Bündelung fachwissenschaftlicher Diskussion im Internet. Heute versammelt das elektronische Netzwerk, in dessen Kontext auch der deutschsprachige Ableger H-Soz-u-Kult gehört, unter seinem Dach ein Spektrum von Hunderten thematisch fein ausdifferenzierter Diskussionslisten. Schon früh wurde daneben der Wunsch formuliert, über die direkte Kommunikation hinaus Fachinformationen, Quellen und (Sekundär-)Texte über das Internet zu verbreiten.[11] Erst die benutzerfreundliche graphische Oberfläche des WWW aber machte das Internet über die ebenso exklusive wie isolierte Gruppe der ›Pioniere‹ hinaus einem breiteren Kreis zugänglich – sowohl in Bezug auf die Produktion als auch auf die Rezeption. Die frühen Gehversuche fachwissenschaftlicher Publikation und Informationserschließung[12] waren Websites einzelner Historiker, die – häufig über die Zusammenstellung von Links und knappen Texten – die neuen Möglichkeiten auszutesten begannen. In einem zweiten und dritten Schritt beziehungsweise parallel dazu entstanden einzelne institutionell verankerte Projekte wie H-Soz-u-Kult oder der Server Frühe Neuzeit mit Schwerpunkt auf der Publikation wissenschaftlich geprüfter Inhalte sowie erste Ansätze professionell getragener, systematischer Informationserschließung wie die Virtual Library, der History Guide und das Konzept der ›Virtuellen Fachbibliotheken‹.[13]

Nach relativ kurzer Zeit bot sich dem Nutzer bereits ein breit gefächertes Spektrum an Angeboten von historischen Bibliographien, elektronischen Textarchiven, digitalisierten Quellen und Lexika an[14], die jedoch im Hinblick auf Systematik, Vollständigkeit und Qualität eher insulare Phänomene waren. In der von vielen als unübersichtlich empfundenen, ungefilterten Informationsflut des Internet waren wissenschaftlich hochwertige Informationsbeiträge im ungeordneten Nebeneinander von Websites von Historikern, Hobbyhistorikern und interessierten Laien selten und schwer zu finden. Auch die von Fachwissenschaftlern erstellten Seiten kennzeichnete häufig das Fehlen von verbindlichen Konventionen, Professionalität der Umsetzung sowie von institutioneller Einbindung, die über Gelder, Infrastruktur und Reputation erst die entsprechende Fundierung und Dauerhaftigkeit eines Internet-Projekts gewährleisten kann. Aufgrund des unsystematischen Anwachsens der meist aus privaten Initiativen hervorgegangenen Angebote waren auch die Epochen unterschiedlich gut abgedeckt. Ein deutlicher Schwerpunkt lag auf ›populären‹ zeitgeschichtlichen Themen, während die Frühe Neuzeit beispielsweise kaum präsent war.

Diese tastenden Versuche im Internet können mit einer seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewachsenen und tradierten Struktur fachwissenschaftlicher, an den Buchdruck gebundener Kommunikations- und Informationssysteme weder über Nacht konkurrieren, noch kann dies das Ziel sein. Der Blick in die Mediengeschichte zeigt vielmehr, dass Medienwandel nie die vollständige Ablösung eines Mediums durch ein anderes bedeutet, sondern stets die Integration des Neuen in das Herkömmliche unter Neuverteilung von Funktionen.[15]

Impulse: das Konzept der ›Virtuellen Fachbibliotheken‹

Ansätze zur systematischen Erschließung des Internet wurden ab Mitte der 1990er Jahre von Seiten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) angeregt und den Bibliotheken als Aufgabe zugewiesen. In Reaktion auf eine veränderte bibliothekarische Versorgungslage, bedingt durch die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, aber vor allem durch die Fortschritte der Informations- und Kommunikationstechnologien, formulierte die DFG 1997 das Konzept der ›Virtuellen Fachbibliotheken‹ für die Sicherung der überregionalen Literaturversorgung.

Als deren Aufgabe wurde die gebündelte Informationsversorgung der Wissenschaft ›aus einer Hand‹ unter Integration sowohl herkömmlicher gedruckter als auch elektronischer Publikationen und Informationen definiert, um so einen umfassenden Zugriff auf alle relevanten Ressourcen zu gewährleisten. Dabei kamen auch gänzlich neue Publikationsformen und -mittel wie elektronische Volltexte, Fachdatenbanken oder Software-Programme ins Spiel, die es bibliothekarisch zu erfassen und in die bisherigen Systematiken einzugliedern galt.

Das Memorandum zur Weiterentwicklung der überregionalen Literaturversorgung[16] skizziert die Rahmenperspektiven und spezifiziert das geforderte (und geförderte) erweiterte Leistungsprofil der Bibliotheken mit folgenden Punkten: Integration elektronischer Publikationen in den Sammelauftrag, Erweiterung der Erschließungs- und Nachweisaufgaben, Verbesserung von Bestell- und Lieferdiensten, Digitalisierung von gedruckten Medien, Gewährleistung der langfristigen Verfügbarkeit. Als Träger dieser Initiativen wurden die Sondersammelgebietsbibliotheken und die zentralen Fachbibliotheken und deren Kooperationspartner benannt. Entwickelt und umgesetzt werden sollte das Vorhaben durch die Anschubförderung entsprechender Modell-Projekte ab dem Jahr 1998,[17] darunter auch der Server Frühe Neuzeit.

Wichtige Impulse zu einer systematischen und umfassenderen Aneignung des Internets im Rahmen der Fachkommunikation kamen also zunächst nicht aus den Universitäten selbst, sondern von den Bibliotheken. Allerdings blieb es der Initiative einzelner Wissenschaftler überlassen, die Chance zu ergreifen, sich als Kooperationspartner anzubieten.[18]

Konzeption: ein Server für die Frühe Neuzeit

Das Projekt Server Frühe Neuzeit entstand in enger Zusammenarbeit der Bayerischen Staatsbibliothek und des Lehrstuhls für Neuere Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München mit dem Ziel, angesichts der skizzierten Defizite mit einem wissenschaftlich qualitätsvollen Dokumentations- und Kommunikationsdienst einen ersten Baustein für den Aufbau einer Virtuellen Fachbibliothek für die Geschichtswissenschaft zu legen.[19]

Der gemeinsame, positiv beschiedene DFG-Antrag vom Januar 1998 sah eine Konzeption vor, in die beide Projektpartner ihre jeweils spezifischen Kompetenzen einbringen sollten. Dabei stand nicht nur das ›Produkt‹ im Vordergrund, sondern auch die operative Ebene der Kooperation selbst sollte als Versuchsmodell einer engeren Verquickung von Bibliothek und universitärer Wissenschaft dienen.

Der Verantwortungsbereich der Staatsbibliothek wurde mit den genuin bibliothekarischen Komponenten wie der Bereitstellung von Text- und Bilddokumenten und der längerfristigen Verfügbarkeit und Sicherung der elektronischen Angebote definiert. Von Seiten des Lehrstuhls für Neuere Geschichte sollte in erster Linie die wissenschaftliche Betreuung und Qualitätssicherung sowie die inhaltliche Konzeption und Profilierung des Angebots geleistet werden. Damit wurde gegenüber den von der DFG definierten Aufgaben der Schwerpunktbibliotheken durch das Projekt die Aufgabe des Kooperationspartners Wissenschaft spezifiziert und erprobt.

Entsprechend der Idee der verteilten Virtuellen Fachbibliotheken und angesichts der konstatierten Dominanz von Internetangeboten zu zugkräftigen Themen der Zeitgeschichte, sollte der Server Frühe Neuzeit speziell auf den Teilbereich der Frühen Neuzeit zugeschnitten sein und sich idealerweise zu dessen zentraler Informationsplattform entwickeln, die Kontinuität, Aktualität und wissenschaftliche Seriosität garantieren sollte.

Die Bayerische Staatsbibliothek setzte sich dabei zum einen die Erschließung von elektronischen Ressourcen wie Fachdatenbanken oder Diskussionslisten und die überregionale Vernetzung des Projekts, zum anderen die vertiefte Erschließung der gedruckten Fachliteratur zum Ziel. Zu diesem Zweck wurde ein Neuerwerbungsdienst konzipiert, der die thematisch relevanten Eingänge der Bayerischen Staatsbibliothek an Monographien gesondert ankündigen und über die Titelblätter und Inhaltsverzeichnisse aufbereiten sollte sowie eine Zeitschriftenschau, die Artikel frühneuzeitlich ausgerichteter Periodika bibliographisch erfassen, über die gescannten Inhaltsverzeichnisse und eine Volltextsuche zugänglich machen und die Möglichkeit zur direkten Online-Bestellung bereitstellen sollte.

Die von Seiten der Projektpartner des Historischen Seminars geleistete inhaltliche Konzeption des Server Frühe Neuzeit arbeitete – anders als die anderen Virtuellen Fachbibliotheken – von vornherein darauf hin, nicht nur über geprüfte Linklisten externe Angebote zu erschließen, sondern selbst Inhalte (Texte, Quellen) bereitzustellen. Im Sinne eines realisierbaren Projektzuschnitts sollte zunächst der Themenkomplex ›Geschichte der europäischen Hexenverfolgung‹ im Zentrum des Vorhabens stehen.

Über die modellhafte Erprobung des Hexenthemas hinaus war der Server Frühe Neuzeit jedoch von Beginn an als Dach für unterschiedliche, miteinander verknüpfte Teilprojekte zu anderen Themenschwerpunkten und als übergreifende Kommunikationsplattform der Frühneuzeitforschung angelegt. Konkret waren die Edition eines digitalisierten frühneuzeitlichen Textes, der Aufbau eines interaktiven Lexikons, eines Informations- und Kommunikationsdienstes sowie eines elektronischen Rezensionsjournals projektiert, so dass mit Ausnahme monographischer Publikationen die wesentlichen ›Werkzeuge‹ geschichtswissenschaftlicher Forschung berücksichtigt waren.

Für den Versuch einer exemplarischen digitalen Quellenedition wurde aus den reichen Beständen der Bayerischen Staatsbibliothek das erstmals 1563 veröffentlichte Buch De praestigiis daemonum des Arztes und Kritikers der Hexenverfolgung Johann Weyer ausgewählt – eine zentrale Quelle der Hexenforschung, die nur in wenigen Bibliotheken zugänglich ist. Gedacht war zunächst an eine kritische Edition unter Einbezug kontextueller Informationen und der Überlieferungsgeschichte, in einem zweiten Schritt sollte eine ›elaborierte‹ hypertextuelle Aufbereitung mit digitaler Abbildung der Originalseiten und Darstellung alternativer Transkriptionsmöglichkeiten folgen.

Im Zuge eigener Content-Erstellung und des Experimentierens mit den Darstellungsmöglichkeiten des Mediums Internet wurde als weiterer wichtiger Bestandteil des Servers frühe Neuzeit ein Online-Lexikon zur Hexenforschung entworfen. Das Nachschlagewerk sollte von Fachwissenschaftlern verfasste Artikel zu Einzelthemen, Personen und Begriffen beinhalten und die Vorzüge der Online-Publikation gegenüber vergleichbaren gedruckten Werken in Form der relativ schnellen Veröffentlichung der eingegangenen Texte und der Möglichkeit, Beiträge zu korrigieren und zu aktualisieren, nutzen. Die wissenschaftliche Qualitätssicherung und Akzeptanz sollte über einen Beirat gewährleistet werden. Als längerfristige Perspektive war die Erweiterung des Lexikons zur Hexenverfolgung zu einem allgemeinen Lexikon der Frühen Neuzeit anvisiert.

Neben der Bereitstellung textlicher Grundlagen sollte der Server Frühe Neuzeit auch als Informationsdienst fungieren und die Verbreitung von Nachrichten, Ankündigungen von Tagungen und Museumsausstellungen, Berichte über Forschungsprojekte und Ähnliches übernehmen.

Als vierter Grundpfeiler war ein Online-Rezensionsjournal vorgesehen, das Neuerwerbungen der Bibliothek aus dem Themenkreis der Frühen Neuzeit bespricht und diese als besondere Serviceleistung über eine direkte Schnittstelle mit dem Bibliotheks-OPAC verbindet. Parallel zu den Konventionen gedruckter Zeitschriften sollte die elektronische Rezensionszeitschrift von einem Herausgebergremium aus der Fachwissenschaft getragen werden.

Abb. 1: Screenshot Server Frühe Neuzeit (Juni 2000)

Realisierung: der Aufbau des Servers Frühe Neuzeit

Nach einer zehnmonatigen Vorbereitungsphase ging der Server Frühe Neuzeit Mitte Dezember 1999 online.[20] Von den im Antrag skizzierten Vorhaben konnten wesentliche Punkte umgesetzt werden. So erfassten und systematisierten Mitarbeiter der Bayerischen Staatsbibliothek bis August 2000 insgesamt 1651 Monographien und 163 Zeitschriftenhefte mit Inhaltsverzeichnis und entwickelten eine entsprechende Datenbankstruktur und Webanbindung, über die bald der Neuerwerbungsdienst[21], die Zeitschriftenschau[22] und eine Aufsatzdatenbank[23] online zur Verfügung standen.

Der inhaltliche Schwerpunkt ›Geschichte der europäischen Hexenverfolgung‹ startete mit einer beachtlichen Materialfülle. Das Lexikon verzeichnete beim Onlinegang 45 Artikel aus der Feder meist renommierter Hexenforscher und wuchs innerhalb kurzer Zeit auf über 80 an. Neben den wissenschaftlichen Artikeln enthält das Lexikon eine Bild- und Quellendatenbank. Recherchierbar ist es nach alphabetischen, personenbezogenen und regionalen Aspekten sowie über einen Index von Sachbegriffen, so dass dem Benutzer verschiedenste Zugangswege und Verknüpfungen zur Verfügung stehen. Da es ein besonderes Anliegen des Server Frühe Neuzeit war, schwer zugängliche Quellenbestände zu erschließen, sind zudem digitalisierte Register ausgewählter Hexentraktate in der Datenbank zu finden.

Für den Bereich der Hexenforschung konnten wichtige Kooperationspartner, darunter der international tätige Arbeitskreis interdisziplinäre Hexenforschung (AKIH) gewonnen werden. Eine intensivere Vernetzung verschiedenster wissenschaftlicher Aktivitäten brachte auch die Zusammenarbeit mit der Mailingliste ›Hexenforschung‹.

Nicht realisierbar war hingegen die digitale Edition des Weyer-Textes. Aufgrund der Ablehnung eines gesonderten Antrags für die aufwändige hypertextuelle Erschließung musste man sich hier auf Kontextinformationen wie eine ausführliche Bibliographie und die Anzeige des Titelblatts beschränken.

Das Themenspektrum des Servers Frühe Neuzeit wurde im Laufe des Jahres 2000 um ein Portal Krieg und Gesellschaft erweitert, das allerdings nicht in vergleichbarer Weise wie das Hexenportal ›befüllt‹ werden konnte. Im Kontext dieses Themas wurde auch die Verbindung zur universitären Lehre erprobt: Ein über zwei Semester am Historischen Seminar der LMU durchgeführter Workshop zum Dreißigjährigen Krieg in München versuchte, die Studierenden im Umgang mit dem Medium Internet vertraut zu machen.[24]

Nicht alle Teile stießen gleichermaßen auf Resonanz: Für die im Rahmen des fachwissenschaftlichen Informationsdienstes implementierte Forschungsdatenbank[25] konnten in den Anfangsmonaten zwar Beiträge von 70 Wissenschaftlern über laufende Forschungsprojekte gewonnen werden, die bald stagnierenden Einträge zeigten jedoch, dass ein nicht institutionell getragenes Forum dieser Art nicht auf breiter Basis angenommen wurde.

Das Rezensionsjournal des Server Frühe Neuzeit erschien unter dem Namen PERFORM im ersten Jahr in sechs Ausgaben und wies für diesen Zeitraum über 80 Besprechungen auf. Die anfangs parallele Verbreitung der Rezensionen über die Mailingliste des Berliner Kooperationspartners H-Soz-u-Kult erschloss dabei von Anfang an einen großen Adressatenkreis. Die Zeitspanne zwischen Erscheinen des Buches und dem Erscheinen der Rezension konnte gegenüber dem Druckbereich merklich verkürzt werden.[26]

Um dem Anspruch auf Seriosität und den Nutzungskonventionen des Publikums Rechnung zu tragen, bemühte man sich um die Wahrung tradierter Formen (einfache, beständige Netzadresse, periodisches Erscheinen in ›Heften‹, gegliedertes Inhaltsverzeichnis, geschlossene Präsentation eines Beitrags auf einer Seite, pdf-Version zum Ausdruck, Hilfe zur Zitierform).

Entgegen der ursprünglichen Konzentration auf die Präsentation ›eigener‹ Inhalte auf dem Server Frühe Neuzeit, legte es der von Nutzern geäußerte Wunsch nach Orientierung im Dschungel der Internetangebote nahe, auch kommentierte Linksammlungen und ausführlicher rezensierte Linkempfehlungen aufzunehmen.

Der Aufbau des Server Frühe Neuzeit wurde von Anfang an von einer intensiven Öffentlichkeitsarbeit flankiert – Maßnahmen, die sich gerade in der Rückschau als ausgesprochen wichtig erwiesen haben, da die Akzeptanz der Internet-Projekte nicht zuletzt durch ihre Bekanntheit befördert wurde. Zu den Werbemaßnahmen sind eine Reihe von Vorträgen der Projektmitarbeiter auf Tagungen und vor Arbeitskreisen, Publikationen, das Verteilen von Flyern, die Präsentation auf Historikertagen und das monatliche Verschicken eines Newsletters zu zählen. Diese Aktivitäten ergänzten das Bemühen, über Kooperationen die Einbettung in die bestehende Forschungslandschaft und den etablierten Wissenschaftsbetrieb zu erreichen. Die in unterschiedlicher Intensität konkretisierte Zusammenarbeit pflegte der Server Frühe Neuzeit bald mit Forschungsinstitutionen (zum Beispiel dem Institut für Europäische Geschichte und dem Herder-Institut), wissenschaftlichen Arbeitskreisen, Universitätsseminaren, Web-Initiativen und einzelnen Wissenschaftlern.

Ausbau: vom Server Frühe Neuzeit zum historicum.net

Nach der Anlaufphase in den Jahren 1999 bis 2001 stellte sich die Frage nach der Weiterentwicklung und Fortführung des Projekts über den Förderungszeitraum hinaus. Die wichtigste strategische Weichenstellung erfolgte mit der Entscheidung, den Frühneuzeit-Server zu einem Epochen übergreifenden Portal auszubauen, das unter dem Namen historicum.net – Geschichts- und Kunstwissenschaften im Internet im September 2001 den Server Frühe Neuzeit ablöste beziehungsweise in ein umfassenderes Ganzes einband. Schon dem Titel ist zu entnehmen, dass die inhaltliche Expansion nicht nur die geschichtswissenschaftlichen Epochen betreffen sondern auch die disziplinären Grenzen überschreiten sollte.[27]

Gleichzeitig wurden die Projekte magi-e – Magisterarbeiten elektronisch und sehepunkte – Rezensionsjournal für die Geschichtswissenschaften auf den Weg gebracht, die zwar mit dem historicum.net verbunden, jedoch eigenständige Teile geblieben sind. Auch das Rezensionsjournal wurde nun – anders als sein Vorgänger PERFORM – epochal übergreifend angelegt.[28]

Im Laufe der vergangenen drei Jahre konnte das historicum.net sukzessive ausgebaut werden. Es traten sowohl allgemeinere Rubriken wie Aktuelles, Forschung, Literatur und Lehre hinzu, die als breiter angelegter Informationsdienst zu verstehen sind, als auch inhaltlich konzentrierte Angebote wie die als kommentierte Linklisten realisierten Länderportale sowie weitere Themenportale.[29] Letztlich hat sich aber gezeigt, dass der Anspruch, der mit dem Namen historicum.net postuliert wurde, bislang nur bedingt erfüllt werden konnte. Zwar wurde das Angebot insgesamt um einige zeitgeschichtliche und kunstgeschichtliche beziehungsweise Epochen übergreifende Elemente erweitert, de facto liegen der Schwerpunkt und das Gros der Inhalte aber nach wie vor im Bereich der Frühen Neuzeit.

Als eigenständiger Baustein unter dem Dach des historicum.net trat 2002 das E-Journal zeitenblicke[30] hinzu, das Beiträge zu verschiedenen Schwerpunktthemen in periodisch erscheinenden Ausgaben versammelt. Mit der klassischen Aufsatzliteratur konnte somit ein wichtiges Element der wissenschaftlichen Kommunikationskultur auf dem Server integriert werden.

Der Server Frühe Neuzeit / historicum.net griff von vornherein auf Modelle des verteilten Arbeitens – koordiniert von einer Hauptredaktion – zurück, da Inhalte in umfassendem Maße von Einzelnen weder zu erbringen sind, noch dies der Idee einer Plattform der fachwissenschaftlichen Kommunikation gerecht würde. Hierbei wurden verschiedene Formen der Zusammenarbeit erprobt: Zum einen der Aufbau und die sowohl inhaltliche als auch technische Betreuung einzelner Teile durch ›externe‹ Redakteure, zum anderen Konzeption und Content-Erstellung durch externe Betreuer, während die technische Umsetzung von der Hauptredaktion übernommen wurde. Es hat sich gezeigt, dass das Verfahren des verteilten Arbeitens durchaus entscheidende Vorteile hat, doch sollen auch die Schwierigkeiten nicht verschwiegen werden: So kann die Abgabe von Kompetenzen einen Verlust an Kontrolle über das Gesamtkonzept und damit unter Umständen die Aufgabe einheitlicher Strukturen und Gestaltungsmerkmale mit sich bringen.

Resümiert man die strukturellen und inhaltlichen Entwicklungen seit dem Projektstart Ende 1999, sind verschiedene, teils redundante Suchbewegungen nach geeigneten Formen und Strategien zu erkennen:

1. konzeptionell:

2. inhaltlich: ›tiefes‹ Angebot zu einem Teilgebiet (Server Frühe Neuzeit) versus breites Spektrum (historicum.net)[31]

3. strukturell:

Abb. 2: Screenshot historicum.net (September 2004)

Resonanz: Nutzergruppen und Zugriffszahlen

Das Fachportal visierte von Beginn an eine Zielgruppe über den engeren Kreis der Wissenschaft hinaus an, allerdings ist auch in dieser Hinsicht eine Erweiterung in der Transformation vom Server Frühe Neuzeit zum historicum.net zu verzeichnen. Während der Server Frühe Neuzeit noch stärker auf das fachwissenschaftliche Publikum zugeschnitten war, wandte sich historicum.net vermehrt an die interessierte Öffentlichkeit, an Lehrer, Studenten, Schüler, Journalisten. Da es die digitale Präsentationsform in besonderem Maße ermöglicht, ein Informationsangebot mit verschiedenen Vertiefungsebenen zu gestalten, können disparate Nutzergruppen mit unterschiedlichen Informationsbedürfnissen gleichermaßen berücksichtigt werden. So finden sich etwa im Themenportal Französische Revolution eine Zeitleiste, lexikonartige Kurzbiographien, anschauliches Bildmaterial, aber auch ausführliche Bibliographien und fachwissenschaftliche Aufsätze.

Eine Auswertung der Logfiles des Servers erlaubt es bedingt, auch quantitative Aussagen über die Breitenwirkung, die Nutzergruppen und deren Präferenzen zu machen. Ein erstes Resümee nach zehnmonatigem Betrieb des Server Frühe Neuzeit zeigte für die Monate Mai bis September 2000 ein Mittel der monatlichen Seitenzugriffe bei 41.787 von 2.923 unterschiedlichen Rechnern. In der ersten Hälfte des Jahres 2004 weist das historicum.net etwa die neunfache Summe an Zugriffen auf, während sich die Zahl der unterschiedlichen Rechner etwa verfünffacht hat.[32]

Graphik 1

Neben den Gesamtzahlen ist vor allem die Nutzung der verschiedenen Teilangebote von Interesse. Beim Server Frühe Neuzeit lag der Schwerpunkt hier deutlich bei der Hexenforschung und den Rezensionsjournalen. Im erweiterten Spektrum des historicum.net ist der prozentuale Anteil der Hexenforschung deutlich gesunken, während das Rezensionsjournal sehepunkte mittlerweile den größten Teil der Besucher anziehen kann (vergleiche Graphik 2).[33]

Graphik 2

Das deutliche Übergewicht der Zugriffe bei den Journalen und Themenportalen wie Französische Revolution und Napoleon Bonaparte legt die Vermutung nahe, dass es zum einen die in relativ strenger beziehungsweise traditioneller Form auftretenden Angebote sind, die von Fachwissenschaftlern genutzt werden, zum anderen die ›populäreren‹ Themen, die wahrscheinlich eher auf außerwissenschaftliches Interesse stoßen. Der verhältnismäßig geringe Zuspruch, den die Hexenforschung oder etwa die Geschichte der Juden in der Frühen Neuzeit[34] erfahren, lässt zwei Schlüsse zu:

  1. Da es sich hier um speziellere Themen handelt, ist von einem geringeren Interesse der Öffentlichkeit, aber auch innerhalb der Wissenschaft auszugehen, während das Rezensionsjournal sehepunkte etwa schon aufgrund seiner thematischen Orientierung von vornherein einen viel weiter gefassten potentiellen Nutzerkreis hat.

  2. Eine solche Form der Darstellung und Verbreitung fachlich relevanter Informationen stößt unter Wissenschaftlern (noch) auf wenig Akzeptanz oder ist kaum bekannt. Hier wäre eine genauere Analyse von Nutzungsverhalten und Informationsbedürfnissen innerhalb des Fachs wünschenswert.

Gerne wird die Interaktivität des WWW als einer seiner Vorzüge herausgestellt. Zeitweilige Versuche, über ein Forum diese Potenz verstärkt zu nutzen und den Seitenbesuchern die Möglichkeit zu geben, eigene Ideen und Projekte darzustellen, erwiesen sich trotz Werbemaßnahmen als relativ erfolglos. Anders als etwa in der amerikanischen Wissenschaftskultur üblich, scheinen sich deutsche Historiker eher davor zu scheuen, mit ›unfertigen‹ Äußerungen an die (Web-)Öffentlichkeit zu treten. Ungeachtet dieser Zurückhaltung hat das Internet insgesamt ein erhebliches Mehr an Transparenz in die Wissenschaft gebracht – auch dies ein Faktor, der die Koordinaten der Fachkommunikation verschiebt.

In diesem Zusammenhang sei noch ein letzter Punkt angesprochen: Durch die einfache Zugänglichkeit der im Netz verbreiteten Informationen wird eine breite Brücke zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit geschlagen. Eine damit verbundene Popularisierung geschichtswissenschaftlicher Forschung und Inhalte kann selbst wiederum als Produkt des erweiterten Kommunikationsraums interpretiert werden, der somit neue Formen von Wissen beziehungsweise von Wissensvermittlung generiert.[35] Gerade die unter einen stärkeren gesellschaftlichen Rechtfertigungsdruck geratenen Geisteswissenschaften könnten dies als Chance begreifen, Präsenz zu zeigen und ihre Relevanz zu demonstrieren.

Dass der direkte Kontakt zur Öffentlichkeit tatsächlich stattfindet, offenbart sich unter anderem in E-Mails an die historicum.net-Redaktion wie »Hey, ich muss morgen ein Referat über die Französische Revolution halten. Kannst Du mir bitte schnell folgende Fragen beantworten...«.

Fazit I: Probleme und Mängel

Trotz aller an den Nutzerzahlen ablesbaren Erfolge sind doch einige grundsätzliche Probleme und Mängel nicht zu übersehen.

Akzeptanz: Da Internet-Angebote wie historicum.net nur als funktionierendes Element des wissenschaftlichen (und außerwissenschaftlichen) Kommunikationssystems bestehen können, ist ihr Erfolg wesentlich von der Akzeptanz der Fachvertreter abhängig. Hier galt (und gilt) es, massive Vorbehalte durch Überzeugungsarbeit und vor allem durch Qualität zu überwinden. Zum Teil berechtigte Einwände wie der Hinweis auf fehlende Beständigkeit und das noch ungelöste Problem der Langzeitarchivierung, aber auch die Angst vor Plagiaten und das mangelnde wissenschaftliche Renommee der elektronischen Veröffentlichungen kennzeichnen diese Problematik.[36] Da in der geisteswissenschaftlichen Fachkommunikation nicht allein die möglichst schnelle Verbreitung von Forschungsergebnissen im Vordergrund steht, sondern ebenso die über einen entsprechenden Publikationsort zugewiesene Wertigkeit, spielt dieser Punkt eine wichtige Rolle.

Bedeutete das vor allem für sehepunkte und zeitenblicke anfangs ein zähes Werben um Beiträger und Bangen um die Füllung der Ausgaben, so zeigt sich mittlerweile die gestiegene Akzeptanz nicht nur an den Nutzerzahlen, sondern an der Tatsache, dass nun auch renommierte Wissenschaftler als Autoren gewonnen werden können. Hier wirkte sich sicherlich - neben der Vernetzung und Reputation der Herausgeber – die bewusst den konventionellen, gedruckten Pendants nachempfundene Gestaltung der E-Journals positiv aus. Auch in anderen Bereichen des historicum.net mussten Mittel gefunden werden, Unsicherheiten zu überwinden und die Einbindung in den wissenschaftlichen Kommunikationsprozess zu gewährleisten, wie beispielsweise durch die Angabe von Zitierhinweisen.

Finanzierung und Institutionalisierung: Wie viele wissenschaftliche Projekte stehen auch die Internet-Initiativen vor dem Problem, wie sie sich über die Anschubfinanzierungen der Forschungsförderung hinaus langfristig verstetigen können. Ohne entsprechende institutionelle Anbindung oder Verfestigung, eine Infrastruktur und Stellenkontingente sind die meisten Einzelinitiativen zum mehr oder weniger schnellen ›Tod im Netz‹ verurteilt.

Professionalität: Mit der Entscheidung für den Betrieb einer Internet-Plattform sehen sich Wissenschaftler und ihre Mitarbeiter mit Herausforderungen konfrontiert, die sich so bisher nicht gestellt haben: Sie schlüpfen in die Rolle des Verlegers, ohne bei Planung, Design und Technik auf Fachkräfte und eingespielte Routinen zurückgreifen zu können. In diesen Zusammenhang gehört auch ein häufig vernachlässigtes Rechtemanagement – ein Bereich, für den die Wissenschaft bislang allgemein nur wenig sensibilisiert ist. Was ist bei der Publikation von Bildern zu beachten? Welche Rechte haben die Beiträger an ihren Aufsätzen und Lexikonartikeln?[37] Nicht immer müssen die genannten Defizite nach außen hin sichtbar werden, spürbar sind sie allemal, und sei es im großen Zeitaufwand, den der Zuwachs an Aufgaben dem Ungeübten abverlangt.

Struktur und Technik: Die heutige Struktur des historicum.net ist wesentlich gekennzeichnet von seiner eigenen Entwicklungsgeschichte. Der Ausbau des Nukleus Server Frühe Neuzeit zu einem übergreifenden Portal historicum.net unter Integration von weitgehend autonomen Teilprojekten lässt sich teilweise eher als Wuchern, denn als geordnetes Wachsen charakterisieren und erweist sich in mancher Hinsicht als problematisch: für den Nutzer, der sich in der Navigation nicht ohne weiteres zurechtfindet, ebenso wie für die weitere Planung.

Während die Erweiterungs- und Aktualisierungsmöglichkeiten unbestritten zu den großen Stärken des Mediums zählen, bergen sie allerdings die Gefahr in sich, dass auf einem ursprünglichen Grundriss ein Haus sitzt, das nicht mehr zu diesem passt. Auf diese Weise ist die Website im Laufe der viereinhalb Jahre ihres Betriebs auf einige Tausend html-Seiten angewachsen, die aufwändig gepflegt und verwaltet werden müssen.

Fazit II: Zukunftsprofil

Mit den vorgestellten Mängeln sind gleichzeitig im Negativ die Entwürfe für die Zukunft umrissen. Während angesichts der mittlerweile häufig zitierten Zeitschriftenkrise[38] die Alternative des elektronischen Publizierens zunehmend an Akzeptanz und Bedeutung gewinnt, gilt es für historicum.net heute vordringlich, die längere Zeit vernachlässigte technische Komponente in Form von Datenbank- und Content-Management-Systemen zu stärken, effizientere Redaktionsabläufe zu entwickeln und gleichzeitig nach Möglichkeiten der institutionellen Verstetigung und alternativen Finanzierungsmodellen zu suchen. Dabei sind auch Weiterentwicklungen der Informationserschließung und -verarbeitung wie etwa eine standardisierte Metadaten-Auszeichnung, die Einbindung in Literatur-Beschaffungssysteme, die Ausgabe in anderen Datenformaten (zum Beispiel XML) oder die Möglichkeit des Print-on-demand zu berücksichtigen.

Auf der funktionalen Ebene ist eine in den letzten Jahren vollzogene Ausdifferenzierung des ›Marktes‹ der geschichtswissenschaftlichen Internet-Angebote anzuerkennen. So hat sich H-Soz-u-Kult über das Rezensionswesen hinaus unbestritten als Informationsdienst für aktuelle Ankündigungen, Tagungsberichte et cetera etabliert, während verbesserte Suchmaschinen wohl bald die herkömmlichen Linklisten bei der Zusammenstellung von relevanten Internetressourcen obsolet machen werden. Nicht zuletzt diese Entwicklungen müssen historicum.net zur Konzentration auf die Kernkompetenzen des elektronischen Publizierens und der Bereitstellung wissenschaftlich geprüfter Inhalte – und damit zu einer schärferen Profilbildung – führen.

Zweifelsohne wird das elektronische Publizieren, werden Fachkommunikation und Informationserschließung via Internet weiter an Bedeutung gewinnen. In manchen Bereichen scheint die Integration bereits gelungen – so wird kaum jemand die Ablösung der bibliothekarischen Zettelkataloge durch Web-OPACs bedauern –, auf anderen Gebieten bleibt mit Spannung abzuwarten, welche konkreten Formen sich in welchem organisatorischen Rahmen durchsetzen werden.

Sabine Büttner (Köln)

Sabine Büttner
Universität zu Köln
Historisches Seminar
Abt. Frühe Neuzeit
Albertus Magnus-Platz
D-50923 Köln
sabine.buettner@uni-koeln.de

(7. Dezember 2004)


[1] Vgl. z.B. das DFG-Projekt Perspektiven für den Bezug elektronischer Informationsressourcen in der Bundesrepublik Deutschland. <http://www.epublications.de/> (25.10.2004); Michael Nentwich: Cyberscience. Research in the Age of the Internet. Wien: Austrian Academy of Sciences Press 2003.
[2] Mit Schwerpunkt auf dem Aspekt ›Datenbanken‹ liegt vor: Peter Horvath: Geschichte Online. Neue Möglichkeiten für die historische Fachinformation. Köln: Zentrum für Historische Sozialforschung 1997.
[3] historicum.net <http://www.historicum.net>.
[4] Ursprünglich <http://www.sfn.uni-muenchen.de>, seit 2001 als Subdomain von historicum.net unter <http.//www.sfn.historicum.net>.
[5] Monika Elsner u.a.: Zur Kulturgeschichte der Medien. In: Klaus Merten u.a. (Hg.): Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Opladen: Westdeutscher Verlag 1994, S. 163-187, hier S. 164.
[6] Thomas Stöber: Das Internet als Medium geistes- und kulturwissenschaftlicher Publikation. Pragmatische und epistemologische Fragestellungen. In: PhiN-Beiheft 2 (2004), S. 282-296, hier S. 282.
<http://fu-berlin.de/phin/beiheft2/b2t15.htm> (25.10.2004).
[7] Vgl. zu diesen Faktoren ausführlicher Michael Nentwich: Cyberscience, S. 35f. (Fußnote 1).
[8 ]So konnte etwa Martina Merz für die Teilchenphysiker zeigen, dass die E-Mail-Kommunikation den Gepflogenheiten dieser Teildisziplin aufgrund ihrer ausgeprägten Vernetztheit besonders entgegen kam, ebenso wie die Veröffentlichung in elektronischen Preprint-Archiven. Vgl. Martina Merz: Formen der Internetnutzung in der Wissenschaft. In: Raymund Werle/Christa Lang (Hg.): Modell Internet? Entwicklungsperspektiven neuer Kommunikationsnetze. Frankfurt a. M./New York: Campus-Verlag 1997, S. 241-262.
[9] Vgl. dazu Michael Nentwich: Cyberscience, S. 148ff. (Fußnote 1); Zur Verbreitung von Online-Zeitschriften in den unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen siehe auch Alice Keller: Elektronische Zeitschriften: Entwicklungen in den verschiedenen Wissenschaftszweigen. In: zeitenblicke 2/2 (2003). <http://www.zeitenblicke.historicum.net/2003/02/keller.html> (25.10.2004).
[10] Vgl. dazu Lynn Nelson: Wie alles entstanden ist... Geschichtswissenschaft und Internet in den USA. In: Stuart Jenks/Stephanie Marra (Hg.): Internet-Handbuch Geschichte. Köln u.a.: Böhlau Verlag 2001, S. 1-22.
[11] Vgl. Thomas Zielke: History at your fingertips. Vortrag auf der Mid-America Conference 1992, Paragraph V. <http://www.historicaltextarchive.com/sections.php?op=viewarticle&artid=57> (25.10.2004).
[12] Diese beiden Bereiche sind traditionell zu unterscheiden: die Informationserschließung als klassisches Aufgabenfeld der Bibliotheken, die Publikation von Forschungsergebnissen als Leistung der Wissenschaft (unter Beteiligung von Verlagen); das Internet brachte hier allerdings ein Verschwimmen der Grenzen und Vermischen der Formen mit sich.
[13] Zur Genese geschichtswissenschaftlicher Informationsangebote im Internet vgl. Wilfried Enderle: Geschichtswissenschaft, Fachinformation und das Internet. In: eForum zeitGeschichte 3/4 (2001).
<http://www.eforum-zeitgeschichte.at/set3_01a7.htm> (25.10.2004).
[14] Einen bilanzierenden Überblick über das Spektrum der Angebote Ende der 1990er Jahre gibt auch Gudrun Gersmann: Neue Medien und Geschichtswissenschaft. Ein Zwischenbericht. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 50 (1999), S. 239-249.
[15] Vgl. etwa Christoph Sauer: Vom ›Alten‹ im ›Neuen‹. Zur Bestimmung der Integration früherer Medienentwicklungen in multimediale Textgestaltungen. In: Peter Handler (Hg.): E-Text: Strategien und Kompetenzen. Elektronische Kommunikation in Wissenschaft, Bildung und Beruf. Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang 2001, S. 23-44 sowie Günter Bentele: Evolution der Kommunikation – Überlegungen zu einer kommunikationstheoretischen Schichtenkonzeption. In: Manfred Bobrowsky/Wolfgang R. Langenbucher (Hg.): Wege zur Kommunikationsgeschichte. München: Ölschläger 1987, S. 79-94, hier S. 85. Eine rasche ›Mediensymbiose‹ zwischen gedruckten und elektronischen Publikationsformen konstatiert etwa Stefan Füssel: Geisteswissenschaften und neue Medien. In: Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände und der Deutschen Bibliothek (Hg.): Wissenschaftspublikation im digitalen Zeitalter: Verlage, Buchhandlungen und Bibliotheken in der Informationsgesellschaft. Wiesbaden: Harrassowitz 2001, S. 23ff.
<http://www.ddb.de/produkte/pdf/wisspubl02.pdf> (25.10.2004).
[16] Deutsche Forschungsgemeinschaft: Weiterentwicklung der überregionalen Literaturversorgung. Memorandum. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 45/2 (1998), S. 135-164. <http://www.dfg.de/aktuelles_presse/reden_stellungnahmen/download/memo.pdf> (25.10.2004).
[17] Vgl. Reinhard Rutz: SSG-Programm, Virtuelle Fachbibliotheken und das Förderkonzept der DFG (Vortrag von 1997). In: Bibliothek 22/3 (1998), S. 303-308. <http://webdoc.gwdg.de/ebook/aw/ssgfiwork/rutz.htm> (25.10.2004); siehe auch Sven Meyenburg: Der Aufbau Virtueller Fachbibliotheken in der Bundesrepublik Deutschland. In: Bibliotheksdienst 34/7 u.8 (2000), S. 1229-1235. <http://bibliotheksdienst.zlb.de/2000/2000_07u08_Informationsvermittlung01.pdf> (25.10.2004).
[18] Im Bereich der Geschichtswissenschaften entstanden mit Clio-online (Projektstart: 01.05.2002 <http://www.clio-online.de>[25.20.2004]) und Geschichte Osteuropas (Projektstart: August 2002 <http://www.vifaost.de>[25.10.2004]) weitere Initiativen zu Virtuellen Fachbibliotheken, auch die fächerübergreifend angelegten Fachbibliotheken Anglo-amerikanischer Kulturraum (Projektstart: 01.04.1999,
<http://www.sub.uni-goettingen.de/vlib/history/index.php>) und Kulturraum der Niederlande (Projektstart: 15.06.2000, http://www.nedguide.de/ [25.10.2004]) berücksichtigen geschichtswissenschaftliche Themen. Die Liste der gesamten Virtuellen Fachbibliotheken ist unter <http://www.virtuellefachbibliothek.de/dvf_partner.htm> (25.10.2004) einsehbar.
[19] Vgl. Gudrun Gersmann/Marianne Dörr: Der Server Frühe Neuzeit als Baustein für eine Virtuelle Fachbibliothek Geschichte. In: Bibliotheksdienst 35/3 (2001), S. 283-294.
[20] Kritische Reaktionen auf das neue Angebot blieben nicht aus. Vgl. die Rezension von Klaus Graf: Server Frühe Neuzeit. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 47/2 (2000). <http://www.klostermann.de/zeitsch/osw_472.htm> (25.10.2004);
weitere Diskussionen im Archiv der Mailingliste InetBib
<http://www.inetbib.de/> (25.10.2004).
[21] Neuerwerbungen zur Geschichte der Frühen Neuzeit:
<http://www.sfn.uni-muenchen.de/litd/> (25.10.2004).
[22] Zeitschriftenschau, mit einem Schwerpunkt im Bereich der Frühen Neuzeit: <http://mdz2.bib-bvb.de/~zs/> (25.10.2004).
[23] Aufsatzdatenbank zur Geschichte der Frühen Neuzeit:
<http://mdz2.bib-bvb.de/~zs/aufsaetze/> (25.10.2004).
[24] Die daraus hervorgegangene Web-Präsentation München im Dreißigjährigen Krieg wurde ebenfalls auf dem Server publiziert: <http://www.krieg.historicum.net/themen/m30jk/m30jk.htm> (05.09.2004).
[25] Forschungsdatenbank:
<http://mdz2.bib-bvb.de/~forschdb/index.html> (05.09.2004).
[26] So stammten von den im Jahr 2000 in PERFORM besprochenen Titeln (Bücher und CD-ROMs) 3 von 1997, 27 von 1998, 30 von 1999 und 9 von 2000.
[27] Die Kunstgeschichte ist auf historicum.net vor allem mit dem Rezensions-Journal KUNSTFORM und dem Themenportal Photographie vertreten.
[28] Vgl. dazu Peter Helmberger: Historische Rezensionen im Internet. Entwicklung – Probleme – Chancen. In: Historical Social Research 29/1 (2004), S. 173-185.
[29] U.a. Madame de Pompadour und ihre Zeit, Französische Revolution, Napoleon Bonaparte, Krieg und Gesellschaft, Bombenkrieg 1939-1945.
[30] <http://www.zeitenblicke.de> (25.10.2004).
[31] Eine ähnliche Entwicklung von einem ursprünglich inhaltlich und zeitlich begrenzteren zu einem epochal und thematisch übergreifenden Forum vollzog auch H-Soz-u-Kult, gewissermaßen als Opfer des eigenen Erfolgs; vgl. Rüdiger Hohls: H-Soz-u-Kult: Komunikation und Fachinformation für die Geschichtswissenschaften. In: Historical Social Research 29/1 (2004), S. 212-232, hier S. 228.
[32] Als Vergleichswert wurde das monatliche Mittel von Januar bis August 2004 herangezogen. Der Durchschnitt der monatlichen Seitenzugriffe beträgt für diesen Zeitraum 376.108, die Zahl der unterschiedlichen Rechner 15.833.
[33] Die Graphik stellt die sechs zugriffsstärksten Teilbereiche einzeln dar, alle weiteren sind unter »Sonstige« subsumiert. Die prozentualen Angaben sind auf Basis der monatlichen Mittelwerte von Januar bis August 2004 berechnet.
[34] Die Hexenforschung verzeichnet für den Untersuchungszeitraum Januar bis August 2004 durchschnittlich 8.911 Zugriffe pro Monat (2,4 % des Gesamtvolumens), die Geschichte der Juden in der Frühen Neuzeit (www.juedische-geschichte.de) etwa 2.815 Zugriffe pro Monat (0,75 %).
[35] Vgl. dazu Carsten Kretschmann: Einleitung: Wissenspopularisierung – ein altes, neues Forschungsfeld. In: Carsten Kretschmann (Hg.): Wissenspopularisierung. Konzepte der Wissensverbreitung im Wandel. Berlin: Akademie Verlag 2003, S. 7-21, hier S. 9.
[36] Vgl. auch Klaus Graf: Wissenschaftliches Publizieren mit »Open Access« – Initiativen und Widerstände. In: Historical Social Research 29/1 (2004), S. 64-75, hier S. 72f.
[37] Die Open Access-Bewegung versucht auf diesem Feld ein eigenes Modell für die Wissenschaft zu propagieren, das aber noch keineswegs verbindlich ist.
[38] Siehe dazu Matthias Schnettger: Wohin führt der Weg? Fachzeitschriften im elektronischen Zeitalter. In: zeitenblicke 2/2 (2003). <http://www.zeitenblicke.historicum.net/2003/02/schnettger.html> (25.10.2004).