TONI BERNHART: ADFECTION DERER CÖRPER - EMPIRISCHE STUDIE ZU DEN FARBEN IN DER PROSA VON HANS HENNY JAHNN. WIESBADEN: DUV 2003. [PREIS: 44,90 EUR]

Die Prosa von Hans Henny Jahnn zeichnet sich durch einen imposanten Umgang mit Farbphänomenen aus. Es ist das Projekt von Toni Bernhart, der Verwendung von Farbwörtern in Jahnns Werk mit einem statistischen Instrumentarium nachzuspüren. Dabei werden »nicht die chromatischen Qualitäten Rot, Gelb oder Lila, sondern einzig die Häufigkeiten eines Wortes rot, gelb oder lila«, also die formalen Struktureigenschaften, berücksichtigt (S. 40). Die Studie verfolgt einen empirischen Ansatz, sie steht in der Tradition einer exakten Literaturwissenschaft, wie sie in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts propagiert wurde. Methodische Basis ist die intersubjektive Nachprüfbarkeit empirisch gewonnener Daten, die durch eine grundsätzliche Wiederholbarkeit des Versuches gewährleistet wird. Erst die Quantifizierung, so bereits Wilhelm Fucks, ermögliche Objektivität und Exaktheit. Die statistische Analyse mache dabei auf Sachverhalte und Zusammenhänge aufmerksam, »die bei rein qualitativ orientierten Ansätzen nicht ins Auge springen, weil sie scheinbar belanglos sind« (S. 44).

Auf der Suche nach einer Liste der zu untersuchenden sprachlichen Farbphänomene greift Bernhart zunächst auf die linguistische Universalienforschung von Brent Berlin/Paul Kay zurück, die ein hierarchisches Modell zum Vorkommen von Farbwörtern in 78 Sprachen entwickelt und eine Liste von elf »basic color categories« ermittelt haben (S. 8f.).[1] Bernhart kontrastiert diesen Ansatz mit der relativistischen Arbeit Lehmanns, nach der die expliziten Farbwörter nur die Hälfte des sprachlichen Farbrepertoires ausmachen.[2] Zwar werde Lehmanns differenzierte Sicht auf sprachlich realisierte Farbphänomene eher Kontext- und Objektabhängigkeiten gerecht, wo jedoch Berlin/Kay verkürzten, fordere Lehmanns Ansatz eine kaum zu bewältigende Komplexität ein; Bernhart will sich aus Praktikabilitätsgründen auf eine kurze Liste von Farbwörtern beschränken. Das Wortfeld werde zu groß, wenn man Wörter betrachte, die kontextabhängig ein Farbname sein können (›Cherry‹). Zwar ist der Einwand ernst zu nehmen, Farbeindrücke könnten auch durch andere Mittel als Farbwörter evoziert werden (wie etwa ein »wolkenloser Himmel« den Farbeindruck Blau), doch ist die Beschränkung auf eine kurze Liste Voraussetzung für die Operationalisierbarkeit einer empirischen Untersuchung, wenn man ein großes Korpus anhand eindeutiger Sprachentitäten analysieren will.

Zur abschließenden Klärung der Liste der zu untersuchenden Farbwörter befragt Bernhart elf Lexika von Adelung 1775 bis Wahrig 1994. Aufgrund der Lexikoneinträge wird Indigo gestrichen, Violett, Rosa und Lila werden beibehalten, so dass Bernhart mit einer Liste von 13 Farben arbeitet: Blau, Braun, Gelb, Grau, Grün, Lila, Orange, Purpur, Rosa, Rot, Schwarz, Violett und Weiß. Bernharts Diskussion der farbtheoretischen Ansätze – behandelt werden auch Farbkataloge von Leonardo da Vinci, Goethe, Schelling, Schopenhauer, Kandinsky und Wittgenstein – stellt die vorliegende empirische Studie in einen umfassenden Kontext. Zur Ermittlung der Liste der zu untersuchenden Farbetyma wäre es alternativ auch möglich gewesen, rein heuristisch vorzugehen und alle Simplizia zu berücksichtigen, die zur Schaffenszeit des Autors primär für eine Farbe Verwendung finden und die im Jahnn-Korpus vorkommen.

Das betrachtete Korpus besteht aus zehn Romanen und Erzählungen Jahnns[3], kürzere Texte wie etwa Briefe gehen mit Blick auf die Häufigkeit der Farbwörter und die Anforderungen an die statistischen Techniken nicht in die Untersuchung ein. Bernharts Versuchsanordnung sieht zunächst die Zählung aller Farbetyma ungeachtet ihrer Wortart, Flexionsform et cetera vor. In einem zweiten Schritt werden die Fundstellen näher beschrieben, es werden etwa die weiteren Bestandteile eines Kompositums notiert sowie Aspekte wie Prä- oder Suffigierung, Negation, Gradation, Wortart, Satzgliedfunktion et cetera. Protokolliert wird, welchen Entitäten die Farben zugeordnet sind (›graues Schiff‹).

Das zweite Kapitel bietet eine minuziöse statistische Beschreibung der Verteilung der Farbetyma im Jahnn-Korpus. Bezogen auf die Gesamtwortzahl bilden die Farbetyma einen Anteil von 3‰, sprachliche Farbforschung ist also »die Erforschung von Marginalien« (S. 65). Zunächst wird die Farbdichte errechnet, die Frequenz aller Farbetyma pro Werk. Ein Zusammenhang zwischen Farbdichte und Werkumfang oder Werkchronologie besteht nach Ausweis von Rangkorrelationskoeffizienten nicht. Die Häufigkeitsverteilung der einzelnen Farbetyma bei Jahnn ist statistisch verwandt mit dem universalistischen Modell von Berlin/Kay. Schwarz, Weiß und Rot stehen dort wie bei Jahnn an der Spitze, ein Phänomen, das nicht autorspezifisch ist. Dagegen nimmt Grau, das bei Jahnn besonders häufig vorkommt, eine Sonderstellung ein. Im Jahnn-Œuvre ist Die Niederschrift I ein für Jahnn besonders typischer Text, das Holzschiff dagegen korreliert weder signifikant mit dem übrigen Œuvre noch mit dem Berlin/Kayschen Modell. Ein Vergleich mit anderen Farbforschungsstudien, die ihrerseits auf 31 Einzelkorpora beruhen, offenbart eine Sonderstellung bei Blau, Braun und Grau bei Jahnn.[4] Korrelationskoeffizienten zeigen: Jahnns Farbgebung ähnelt der Berlin/Kayschen Verteilung weniger als die meisten übrigen literatursprachlichen Korpora – ein Indiz für die Sonderstellung von Jahnns Farbgebrauch.

Bernhart konstruiert einen ›Supertext‹, der aus allen Werken Jahnns in chronologischer Folge am Stück besteht. Innerhalb des Supertextes zeigt sich eine abnehmende Farbdichte – entgegen dem vorhergehenden Befund, dass die Werkchronologie statistisch nicht mit der Farbdichte korreliere. Bernhart folgert, Jahnn würde mit zunehmenden Alter weniger Farben verwenden, als Deutung wird angeboten: »...mit seiner fortschreitenden handwerklichen Fertigkeit nehmen die Farben ab« (S. 97). Problematisch bei der Konstruktion des Supertextes ist die ungleiche Länge der Einzeltexte. Dürften es mit Blick in Tabelle 2.1.B gerade die kurzen Texte Nacht aus Blei und Bornholmer Aufzeichnungen sein, die einer Korrelation zwischen Farbdichte und Chronologie entgegenstehen, so werden die beiden kurzen Texte via Supertextkonstruktion zwischen den längeren marginalisiert – statistisch etwas bedenklich.

Neben der Analyse der empirischen Verteilung ermittelt Bernhart eine Formel für die theoretische Verteilung der Farbwörter: f’=e-0,5983x+7,2043. Dass die empirische Verteilung der Farben durch eine Funktion beschrieben werden könne, spreche für eine strukturelle Geordnetheit von Jahnns Farbsystem. Das Jahnnsche Farbsystem sei zufallsverteilt und mathematisch prognostizierbar (S. 103). Die statistischen Fragen werden im zweiten Kapitel so knapp behandelt, dass es nicht immer leicht ist, ihre Anwendbarkeit und Anwendung nachzuvollziehen. Einem Philologen, der sich zwar nicht mit statistischen Details, jedoch mit den Ergebnissen auseinandersetzen möchte, wird wenig Hilfestellung geboten. Hier würde der Leser von einer ausführlicheren Dokumentation profitieren.[5]

Das dritte Kapitel analysiert mustergültig die semantischen Differenzierungen der einzelnen Farbetyma durch Komposition, Gradation, Negation, Antikisierung und syntagmatische Bildung. Drei Fünftel der Farbetyma werden nicht weiter differenziert, das häufigste Mittel zur Differenzierung ist die Komposition. Braun, Grau, Lila, Schwarz und Weiß neigen eher dazu, ohne Differenzierung vorzukommen. Blau und Grün sind auffallend oft differenziert, dies sei sowohl als »hohes Differenzierungspotenzial« dieser Farben zu interpretieren als auch als »lemmatische und semantische Instabilität« (S. 109).

Die Vielzahl der sprachlichen Farbdifferenzierungen führt zu der Annahme, »dass der deutschen Sprache eine schier endlose Menge an farblichen Gestaltungsmöglichkeiten eigen ist« (S. 179). Kombinationen von Blau und Gelb sowie Rot und Gelb werden eher gemieden, gerne kombiniert Jahnn spektral nah beieinander liegende Farben. Viele Farbpaare stehen in alphabetischer Reihenfolge. Grau steht »deutlich öfter an erster Stelle« und spielt »eine semantisch determinierende Rolle« (S. 134), Grün und Rot, die häufig im zweiten Glied einer Kombination zu finden sind, sind semantisch eher determiniert. Beachtliche Aussagen über das Kombinationsmodell werden möglich: Deutlich häufiger sind Komposita, bei denen das Farbetymon in Zweit- als in Erststellung steht. Die vordere »Andockstelle« der Farbetyma sei stabiler, dafür weniger variabel als die hintere (S. 155). Steht das Farbetymon in Erststellung, werden überwiegend Adjektive und Verben zur Kompositabildung herangezogen, steht es in Zweitstellung, bestehen die Komplemente zu drei Vierteln aus Substantiven.

In Vergleichen und Komposita verwendet Jahnn zur Differenzierung der Farben häufig Begriffe, die auf den menschlichen oder tierischen Körper referieren (S. 172), ein Vergleich mit dem Oksaar-Korpus[6] legt nahe, dass es sich dabei um eine autorspezifische Besonderheit handelt, auch wenn dieses Korpus »für eine quantitativ repräsentative Interpretation möglicherweise zu klein« sei (S. 108). Als Autorspezifikum bleibt die Sonderstellung von Grau herauszuheben: Grau wird niemals negiert.

Das vierte Kapitel untersucht Wortarten und Satzgliedfunktionen der Farbetyma. Farbadjektive machen unter den Wortarten mit 78% den größten Teil aus, »Adjektivität“ sei eine Basiseigenschaft der Farben. Autorspezifisch auffällig hoch ist der Anteil der Farbadjektive und Farbsubstantive in Appositionen und Ellipsen (9%), der Anteil der Verben ist mit 3% im Verhältnis dazu vergleichsweise klein (S. 186). Zur Bildung von Farbverben werden lediglich die Farben Braun, Gelb, Grau, Grün, Rot, und Schwarz verwendet. Die Farbe Rot wird überwiegend in Farbverben und Verbalphrasen mit ›werden‹ verwendet, ihr sei daher ein prozessorientierter Charakter zu Eigen (S. 199). Während sich die meisten Wortarten gleichmäßig über das Jahnn-Korpus verteilen, nehmen Appositionen und Ellipsen mit dem Holzschiff ab, eine Zäsur, die die Frühwerke vom übrigen Werk unterscheidet und signifikant für den Abkehr vom expressionistischen Stil sei (S. 190).

Das fünfte Kapitel untersucht die Entitäten, die den Farbausdrücken zugeordnet sind, da das Zeigen auf den Farbträger eine der Funktionen der Farbausdrücke sei (S. 229). Jahnn ordnet Farbausdrücke besonders häufig den Begriffen ›Gesicht‹, ›Haar‹, ›Auge‹, ›Haut‹, und ›Mann‹ zu. Zuordnungen auf weibliche menschliche Körper fehlen weitgehend; die Merkmale [+HUM] und [+MASK] sind »integrative Bestandteile der Farbsemantik« (S. 261). Wenn auf Auge und Gesicht besonders häufig rekurriert wird, könnte das konzeptuell begründet sein: »Das Auge ist das Sehorgan, das Gesicht der Ausdruck und das Fanal des menschlichen Individuums« (S. 246). Zuordnungen zum Menschen sind im Holzschiff, im Epilog und in der Nacht aus Blei ausgesprochen häufig. Diese Texte sind durch ihre gemeinsame thematische Fokussierung auf erste Liebe und Erwachsenwerden verbunden, sie stellen die pubertäre Aufmerksamkeit auf den Menschen und seinen Körper in den Vordergrund (S. 263). Diachron betrachtet ergibt sich, dass mit der Zunahme der Farbigkeit des Menschen die Farbigkeit der Natur abnimmt.

Das sechste Kapitel bietet wichtige Einblicke in Jahnns Farbsemantik. Da von Jahnn nur wenige Selbstaussagen vorliegen, gruppiert Bernhart die Entitäten, die den Farben zugeordnet sind, in sieben verschiedene Farbträgergruppen (Menschenwelt, Tierwelt, Pflanzenwelt et cetera). Eine Korrelationsanalyse zwischen diesen Gruppen und den einzelnen Farbetyma zeigt eine deutlich messbare unterschiedliche Kookkurrenz der jeweiligen Farben und Farbträgergruppen. Farben und Farbträgern komme eine unterschiedliche semantische Kompatibilität zu (S. 282).

Konventionelle prototypische Farbträger und übertragene Farbbedeutungen, wie sie in Lexika zu finden sind, werden ebenso vorgestellt wie die wichtigsten Kollokationen zu den jeweiligen Farbetyma. Exemplarisch zu Rot: Feuer und Blut sind prototypische Farbträger für Rot, zu den übertragenen Bedeutungen gehören die ambivalenten Emotionen Liebe und Hass. An der Spitze der Kollokationstabelle steht ›Gesicht‹ mit 6%. Ein auffälliger Befund, da ein rotes Gesicht »kein Normal-, sondern ein Ausnahmezustand« sei, etwa infolge von Witterungseinflüssen oder emotionaler Bewegtheit (S. 315). Auch beim zweithäufigsten Kollokanten ›Auge‹ markiert Röte nicht Prototypisches, sondern eine Anomalie. ›Blut‹ folgt in der Tabelle mit 2,3% überraschend spät. Bernhart nimmt an, die Verbindung von Rot und Blut werde aus ökonomischen Gründen gemieden, da es sich um eine Tautologie handle (S. 316).

Das letzte Kapitel ›Spezielle Sondierungen‹ öffnet die quantitative Analyse besonnen für eine qualitative Analyse anhand von vier Teilaspekten: Die Purpurhaut, das Erröten, ›schwarze‹ Farbsubstantive und Schwarz in der Nacht aus Blei werden detailliert ausgeleuchtet; die empirisch gewonnen Erkenntnisse erlauben eine weiterführende Textinterpretation auf gesicherter Grundlage.

So verteilen sich die ›roten Verbalphrasen‹ (›rot werden‹, ›erröten‹ und ›(sich) röten‹) nicht gleichmäßig über das Œuvre, sie häufen sich im Früh- und Spätwerk – ein Befund, der sich durch überproportionale Verwendung in Perrudija und Epilog erklärt (S. 341f.). Der größte Teil der Farbträger tritt im Singular auf. Nicht eine Pluralbildung existiert für ›erröten‹: ›Erröten‹ kennzeichne somit einen höchst individuellen Vorgang (S. 343). Fast ausschließlich errötet der Mensch (97%), meist der Mann (74%), nur selten die Frau (14%). Damit werde nicht nur die bereits von der Jahnnforschung konstatierte asymmetrische Geschlechterdarstellung bestätigt, sondern auch, dass »quantitative Verfahren relevante und interpretierbare Ergebnisse liefern, indem sie Bekanntes bestätigen.« (S. 345). - Im Sinne von Jannidis ein starkes Argument für die Anwendung statistischer Verfahren.[7] Die Analyse, welche Protagonisten am ehesten zum Erröten neigen, zeigt einen Konnex zwischen physischer und phsychischer Unterlegenheit und Erröten auf: »immer errötet der Unterlegene öfter!« (S. 348). Ursache dafür sei die Scham; Erröten habe damit stets eine Ursache. »Das Erröten-Lassen der Personen ist eine höchst auffällige erzählerische Geste, die in hohem Maße motiviert und intendiert sein muss« (S. 353).

Nicht nur bei der quantitativen Analyse lässt sich der immense Arbeitsaufwand, der der Studie zugrunde liegt, bestenfalls erahnen: Da keine digitale Fassung der Jahnn-Prosa zur Verfügung stand, ermittelte Bernhart alle Belege in mehreren Lesegängen, ein Computer kam erst zur Datenspeicherung und -analyse zum Einsatz. So sehr es auch wünschenswert wäre, das überzeugende methodische Konzept auf andere Autoren zu übertragen, so wird doch der notwendige Aufwand ein Hemmschuh sein. Sind digitale Texte verfügbar, so könnte zumindest das Auffinden von Farbwörtern erheblich ökonomischer betrieben werden, auch wenn Bernharts filigrane Fundstellenbeschreibung bereits bei der Datensammlung Aspekte notiert, die nicht vollständig automatisiert erfasst werden können (etwa die Ermittlung des Farbträgers). Ein Computereinsatz würde aber nicht nur die Datensammlung zumindest teilweise beschleunigen; er würde auch die Untersuchung weiterer Fragestellungen ermöglichen, etwa eine Kookkurrenzanalyse, wie sie Winfried Lenders und Gerd Willée beschreiben.[8]

Computereinsatz könnte auch dort eine Entscheidungshilfe sein, wo fraglich ist, ob ein Befund autor-, textsorten- oder sprachspezifisch ist. Ein digitales Korpus, das etwa literarische Texte der gleichen Epoche enthält, könnte die Jahnn-Spezifika belastbarer darstellen als der Rückgriff auf die Forschungsergebnisse von Dritten, die auf der Basis heterogener Korpora eigene Fragestellungen bearbeitet haben. So stellt Bernhart fest, Jahnn habe in den beiden ersten Fünfteln seiner Texte überdurchschnittlich viele Farbetyma eingesetzt. Als Erklärungsversuch schlägt Bernhart vor, farbliche Schilderungen könnten »eingangs viel eher vonnöten sein als etwa in der Mitte oder am Schluss« (S. 97). Der Leser solle durch konzentrierten farblichen Input in die Textwelt eingeführt werden. Allerdings müsse eine Interpretation »mangels repräsentativer Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Autoren« ausbleiben (Ebenda).[9]

Bemerkenswert an Bernharts Arbeit ist, dass sie in vielen Punkten die interpretierende Wissenschaft durch quantitative Belege empirisch absichert. Zudem erschließt sie wichtige Einsichten in Jahnns Farbsemantik sowie in die sprachliche Struktur des Farbeinsatzes. Die umfangreiche Datenanalyse, die eine enorme Zahl an Einzelbeobachtungen hervorbringt, macht Bernharts Arbeit zu einer reichen Fundgrube für die Jahnn-Forschung. Große Besonnenheit zeigt Bernhart, wenn er ein Erklärungsangebot für einen statistischen Befund formuliert: Hier wird überdeutlich, dass mit dem Eintritt in die Thesenbildung der sichere Boden der Datenanalyse verlassen wird.

Grundlegende Bedeutung kommt aber – mehr noch als den Erkenntnissen für die Jahnn-Philologie – der methodischen Anlage der Arbeit zu. Mit großem Perfektionismus entwickelt Bernhart das Forschungsdesign und diskutiert Voraussetzungen und Implikationen, auf deren Grundlage die vorbildliche Durchführung der ›Versuche‹ sowie eine akribische wie detailgenaue Datenanalyse möglich wird, so dass Lutz Danneberg im Geleitwort zu Recht von einem »Lehrstück« spricht, das exemplarische Bedeutsamkeit gewinne (S. VII).

Friedrich Michael Dimpel (Erlangen)

Dr. Friedrich Michael Dimpel
Universität Erlangen-Nürnberg
Institut für Deutsche Philologie
Bismarckstraße 1, Haus B
91054 Erlangen
fhdimpel@phil.uni-erlangen.de

(7. Dezember 2004)


[1] Brent Berlin/Paul Kay: Basic Color Terms. Their Universality and Evolution. Berkely u.a.: University of California Press. [Unveränderter Nachdruck der 1. Aufl. von 1969].
[2] Beat Lehmann: ROT ist nicht »rot« ist nicht [rot]. Eine Bilanz und Neuinterpretation der linguistischen Relativitätstheorie. Tübingen: Narr 1998.
[3] Ugrino und Ingrabanien, Perrudja, Perrudja. Zweites Buch, Bornholmer Aufzeichnungen, Das Holzschiff, Die Niederschrift des Gustav Anias Horn nachdem er neunundvierzig Jahre alt geworden war I, Die Niederschrift ... II, Epilog, Jeden ereilt es und Die Nacht aus Blei.
[4] Dieser Vergleich bezieht auch sprechsprachliche Korpora ein, obgleich Bernhart konstatiert, Farbetyma würden sich hier anders verteilen (S. 89). Ein Detail, das diskutiert werden könnte, obgleich dieses Problem, gesamt gesehen, keinen Einfluss auf die Tendenz haben dürfte.
[5] Die Formeln sind oft ohne Erläuterung in die Fußnoten verwiesen. Eine ausführlichere Dokumentation und Diskussion wäre insbesondere bei der Errechnung der theoretischen Verteilung hilfreich. Kann man bei der Verteilung von Farbetyma in der Sprache von einer Normalverteilung ausgehen? Das ist nicht bei allen sprachlichen Phänomenen der Fall. Vgl. Ted Dunning: Accurate Methods for the Statistics of Suprise and Coincidence. In: Computational Linguistics 19 (1993), S. 61-73.
Problematisch zudem: »Die erste Referenz für die statistischen Berechnungen ist Helmut Richter« (S. 49). Hinter der Referenz »Richter (2000)« verbergen sich Handouts und Mitschrift eines Proseminars, das Bernhart bei Richter besucht hat; bei diesem relativ zentralen Aspekt würde man sich eine allgemein zugängliche Quelle wünschen.
[6] Els Oksaar: Über die Farbenbezeichnungen im Deutsch der Gegenwart. In: Muttersprache 7/8 (1961), S. 207-220.
[7] Fotis Jannidis: Was ist Computerphilologie? In: Jahrbuch für Computerphilologie 1 (1999), S. 39-60, hier S. 53; online unter: <http://computerphilologie.uni-muenchen.de/jahrbuch/jb1/jannidis-1.html> (06.12.2004).
[8] Vgl. Winfried Lenders/Gerd Willée: Linguistische Datenverarbeitung – ein Lehrbuch. Opladen: 1998, S. 142f.
[9] Eine Ad-Hoc-Probe mit neun Farbwörtern und ihren Flexionsformen, die die Mittelhochdeutsche Begriffsdatenbank (<http://mhdbdb.sbg.ac.at:8000/index.html> (09.11.2004) ausgibt, und einem Such- und Zählprogramm konnte im Erec und Iwein Hartmanns von Aue die Tendenz bei Jahnn nicht bestätigen. Bei Hartmann stehen überproportional viele Farbetyma in den letzten drei Fünfteln. Dies sei hier nicht deshalb festgehalten, weil ein Vergleich mit einem mittelalterlichen Autor methodisch erstrebenswert wäre, sondern um die Möglichkeiten basaler computerphilologischer Techniken zu demonstrieren: Zwar ist dieser Schnellschuss oberflächlich und fehleranfällig, aber nach einer Stunde Arbeitszeit lag ein Ergebnis vor, das eine erste Orientierung erlaubt (Farbwörter in je 100 Zeilen: Erec 1-4054: 0,99%, Erec 4055-10135: 1,78%. Iwein 1-3266: 0,55%, Iwein 3267-8166: 0,67%. Die untersuchten Farben waren Blau, Braun, Gelb, Grau, Grün, Purpur, Rot, Schwarz und Weiß.).