Archivierung und virtuelle Edition –
Arnold Schönbergs Nachlass als offenes Archiv

Abstract

With digitalization and publication of the heterogenous extant sources of the Arnold Schönberg legacy, a multitude of methodically formulated questions are being raised that serve as examples of interest for similar collections. The virtual presentation of the music and text manuscripts, letters, works of visual art, calendars, diaries, historical documents, programms, reviews, first editions, photographs, as well as audiovisual sources brings together both archival and editorial concerns. The attempt has been made since 1998 on the website of the Arnold Schönberg Center in Vienna to bundle the media formatting possibilities of these sources with a variety of technological strategies, so that the user can both reflect on unique things of the legacy, as well as see their contextual relevance. How these intermediate Internet databases, static websites, digital facsimiles, as well as music and spoken word audio files present a synopsis of one of the most unique œuvres of the cultural history of the 20th century is the topic of this contribution. A main focus lies on the presentation of the source and facsimile database of letters as well as on the online Critical Complete Edition of Arnold Schönberg’s Writings.

Kulturelle Identität ist in Quellen eingeschrieben, deren historische Bedeutung und Wertigkeit durch die Bewahrung in Archiven dokumentiert wird. Die Errichtung von Archiven als Sammelstätten unikater Objekte, welche als Teil einer Überlieferungsgeschichte fungieren, reflektiert die (kultur-) historischen und -soziologischen Präferenzen bestimmter Epochen und Zeitströmungen. Charisma und Verführungskraft des Archivs können auf die Authentizität und Einzigartigkeit der dort aufbewahrten medialen Träger zurückgeführt werden. Die Diskrepanz des Archivs basiert jedoch auf einer ideell unendlichen Zeitperspektive als Auftrag und Legitimation bei gleichzeitiger medialer Endlichkeit. Die Gratwanderung besteht darin, sowohl den konservatorischen Auftrag wahrzunehmen als auch die Quellen in einer möglichst effizienten Form zugänglich zu machen. Aufgrund der avancierten technischen Möglichkeiten im digitalen Zeitalter ist es nunmehr möglich, beide Interessen gleichermaßen zu vertreten: Das Digitalisat birgt als nachbearbeitbares Hightech-Faksimile sowohl die Qualitäten der Schutzverfilmung als auch philologische Nutzbarkeit. Durch die Massendigitalisierung von Nachlassdokumenten und Manuskripten sowie deren zeitlich und örtlich uneingeschränkten Zugang über das Internet erreichen die Basisbedingungen für die Musikforschung nunmehr eine neue Dimension.

Die Anforderungen der wissenschaftlichen Arbeit an Arnold Schönbergs Nachlass, den Kompositionen auch ein bedeutendes Bildnerisches Œuvre sowie eine Vielzahl von schriftstellerischen Werken überliefert, schließt optimale Konservierung und inhaltliche Erschließung gleichermaßen ein. Die Materialien werden mittels aktuellster Methoden aufgeschlüsselt, mit einer möglichst flächendeckenden Digitalisierung aller verfügbarer Quellen –auch jener außerhalb des Nachlasses liegender – und über die Website des Arnold Schönberg Center publiziert.

1. Korrespondenz

Der österreichische Komponist, Maler, Schriftsteller, Theoretiker und Pädagoge Arnold Schönberg (1874–1951), der nach seiner Emigration 1933 in den USA lebte, verfügte im Jahr 1951, seine gesamte Korrespondenz – die an ihn gerichteten Briefe im Original sowie jene von ihm verfassten Briefe in Form von Entwürfen beziehungsweise Durchschlägen – nach seinem Tod in der Library of Congress in Washington aufzubewahren. Die Sammlung gibt nicht nur über seinen künstlerischen und biographischen Werdegang Auskunft, sondern legt auch beredtes Zeugnis von einem halben Jahrhundert Kultur- und Geistesgeschichte ab, in dem Albert Einstein, Wassily Kandinsky, Oskar Kokoschka, Thomas Mann, Karl Kraus, Gustav Mahler und Richard Strauss gleichermaßen »federführend« waren und mit Arnold Schönberg substantiellen Gedankenaustausch pflegten. Verlagskorrespondenz, Werkanalysen, Weihnachts- und Geburtstagsgratulationen seiner Schüler und Freunde, Kostenvoranschläge für Mobiliar, Patentschriften, Geburtsanzeigen, Kondolenzschreiben, Leserbriefe und Urlaubsberichte finden sich neben Tantiemenabrechnungen, Probenplänen, Gerichtsunterlagen oder auch Aufzeichnungen über Schönbergs Telefonate.

Um diese bislang großteils unpublizierten Dokumente einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen zu können, führte das Arnold Schönberg Center in Kooperation mit Belmont Music Publishers, Los Angeles, und der Library of Congress, Washington D.C., 2003/04 ein Digitalisierungsprojekt der Schönberg-Korrespondenz durch, welches bis Frühjahr 2006 die Veröffentlichung der kompletten Sammlung (35.000 Scans) als Farbfaksimiles im Internet vorsieht. Sämtliche Korrespondenzstücke wurden zunächst in 300dpi und 24bit Farbtiefe digitalisiert und als tif-Files auf DVDs archiviert. Die bereits existierende, 21.000 Einträge verzeichnende Quellendatenbank wird nunmehr mit Links zu den Scans ergänzt, die in ihrer Auflösung qualitativ dem Internetstandard angepasst sind (200dpi, jpg-Files). Das ambitionierte und weltweit bislang umfangreichste Digitalisierungsprojekt eines Musikerbriefwechsels wurde durch das Arnold Schönberg Center, Belmont Music Publishers und die Avenir Foundation, Wheat Ridge/Colorado, finanziert.

Die Korrespondenzdatenbank[1] stellt ein für die Schönberg-Forschung unverzichtbares Rechercheinstrument dar, zumal ein Großteil der Briefe von und an Schönberg noch nicht publiziert wurde. Neben dem Angebot von Scans der Briefe bietet die Datenbank (s. Abb. 1) Informationen zu folgenden Kriterien: Briefschreiber und -empfänger, Firmennamen, Datierung, Datum des Poststempels, Adressen, Städtecodes, Briefbeilagen, Standort und Signatur, Publikationen. Ein Teil der Briefe von Schönberg ist zudem als Transkription mit der Möglichkeit der Volltextsuche verfügbar. In einem weiteren Schritt wird angestrebt, den digitalisierten Bestand der Library of Congress durch Scans der mehrere tausend Seiten umfassenden und weltweit verstreuten originalen Schönberg-Briefe aus privaten und öffentlichen Sammlungen sowie aus eigenem Bestand zu ergänzen.
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Abb. 1: Datenbank des Arnold Schönberg Archivs

2. Schriften

Die Schriften Schönbergs stellen neben seinem umfangreichen kompositorischen Œuvre wertvolle Dokumente für die Musik-, Geistes- und Kulturgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar, sind aber auch für die Exilforschung und somit für die Zeitgeschichte von hoher Bedeutung. Sie geben Zeugnis von den mannigfaltigen Interessen dieser eminenten Künstlerpersönlichkeit – auch hinsichtlich Ästhetik, Politik und Religion. Arnold Schönberg, der sich als Multitalent in allen ihm erreichbaren kunst- und geistesorientierten Landschaften intensiv betätigte, sprengte mit seinem Ausdrucksbedürfnis alle gewohnten Normen, um seinerseits als Schrittmacher eines Jahrhunderts normbildend zu werden. Hierarchische Ordnungen aus den Angeln zu heben, mit überkommenen Traditionen radikal zu brechen, festgefahrenen Strukturen eigene Entwürfe entgegenzusetzen, sah Arnold Schönberg als sein künstlerisches Ziel. Wie in einem Zeitraffer, einer auf kompositorischem Gebiet beinahe extatischen Progression gleich, schuf er gegen jede logisch erscheinende Stilentwicklung und Dramaturgie, schrieb sich Einengungen mit jedem neuen Werk noch radikaler aus dem künstlerischen Bewusstsein. Blickt man zurück auf das Wiener Fin-de-Siècle, den Wiener Jugenstil, den Wiener Expressionismus und die Wiener Psychoanalyse als progressive Tendenzen in einem kurzen sukzessiven Nebeneinander und eingebettet in das politische Klima einer zu Ende gehenden langen Epoche der Habsburgermonarchie, so ragt Schönberg mit seiner Schule in einem stilsicher und folgerichtig agierenden, stets die Präsenz des Eigenen auslotenden Individualitätsstreben als über die eigene Gegenwart Bedeutung erlangend, nachhaltig heraus.

Eine Kritische Gesamtausgabe der Schriften Arnold Schönbergs wird nun erstmals mit Unterstützung des österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF, Wien) sowie Sponsoren aus den USA am Arnold Schönberg Center unternommen. Das zusammen mit der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien zunächst über einen Zeitraum von drei Jahren durchzuführende Projekt ist der Erarbeitung der Grundlagen der Edition gewidmet (Erfassung aller Texte, Lesarten, Alternativtexte, Unterscheidungen der originalen Textgrundlagen von Zusätzen anderer Hand, Dokumentation, Kommentar), welche nicht nur als gedruckte Ausgabe, sondern in erster Linie als Online-Ausgabe beziehungsweise -Datenbank konzipiert wurde. Der Edition werden zugrunde gelegt: Dichtungen und Kompositionsvorlagen, Glossen, Schriften über Musikkritik, -ästhetik, -analyse, -theorie, Philosophie, Religion, Judentum, Politik, Zeitgeschichte, Musikpädagogik, weiters Schönbergs Vorträge, Interviews, offene Briefe, Denkschriften, Gutachten, Tagebücher und Lehrwerke. Texte werden grundsätzlich in sämtlichen Fassungen mitgeteilt, das schließt auch vom Autor überwachte Übersetzungen mit ein. Die Schriften liegen zu etwa 60% in deutscher und 40% in englischer Sprache vor.

Arnold Schönberg übte sich nicht nur in der Kunst der Komposition, sondern auch in der Kunst des Hinterfragens. Er selbst nannte dies ein »System aus Werken herausfinden«.[2] Sobald er eines Sprichwort, einer These, eines Alltagsgegenstandes, eines Klangs, eines Phänomens, einer Form, einer Maschine oder eines Naturereignisses gedanklich habhaft wurde, begann er dessen Funktionalität und Logik zu hinterfragen. Dieser Prozess führte in nicht wenigen Fällen zu Polemiken, zu Verbesserungsvorschlägen oder Neuschöpfungen, festgehalten als Text, Zeichnung oder Objekt. Das Sendungsbewusstsein bahnte sich hierbei oft die ausgefallensten Wege. Im eigenen Schaffen sei laut Schönberg die »Logik mit 1000 Mitteln«[3] anzustreben. Der Antrieb diese Logik durchzusetzen, führte ihn von seinem Heimatterrain, der Musik, auf nähere und ferner gelegene Terrains. Beschritte man diese Gebiete, stieße man auf folgende Ortstafeln: Pädagogik, Linguistik, Physik, Militaristik, Innenarchitektur, Maschinenbau, Elektrotechnik, Tischlerei, Verkehrswirtschaft, Ökonomie, Straßenwesen und Städtebau, Medizin, Mathematik, Sportwissenschaften, Gartenbau, Humanbiologie, Meteorologie, Verhaltensforschung und Veterinärkunde. Es mag daher kaum erstaunen, dass die Herausgeber[4] bei der Ordnung der Materialien für die Gesamtausgabe von circa. neun Laufmetern eng geschichtetem Papier ausgehen müssen. Diesem Grundtextkorpus ist als Beiordnung anzuempfehlen, was sich aus weiteren reich bestückten Nebenschau­plätzen ergibt, die als »Mitkonstitution« des Schönberg-Nachlasses Relevanz haben.

Man kann sich bei der Definition »Schönberg-Schriften« nicht nur auf die aus der Literaturwissenschaft abgeleiteten Textsorten zurückziehen und nur eine klar definierte Reihe von Textsorten zulassen, beziehungsweise andere (in einer Brief- oder musikalischen Gesamtausgabe edierte), zum Beispiel (offene) Briefe oder Kompositionsvorlagen sowie Programme zu Kompositionen, aussparen. Als Schönberg-Schrift wird von den Herausgebern vor einer endgültigen Auswahl zugelassen, was nicht als musikalisches Notat in einem kompositorischen Werkzusammenhang steht, sondern als Sprachtext notiert beziehungsweise in akustischer Form überliefert ist. Als Text wird hierbei angesehen, was semantisches Potential hat, generell: Realisierungen von Text, die eine sinnfällige Relation aufweisen. Bei Schönberg hat man von einem 3.500 Titel zählenden Schriften-Katalog auszugehen.

Die Materialität schriftlicher Überlieferung kann von einer virtuellen Darstellung nicht abgelöst werden. Ehe jedoch eine endgültige Bandeinteilung der Schriftenausgabe getroffen werden kann, dient die Online-Edition auf www.schoenberg.at der Forschung und einem breiteren Interessentenkreis als erste Orientierungshilfe. Die Online-Fassung der Kritischen Gesamtausgabe der Schönberg-Schriften sieht in einem ersten Schritt die Vermittlung sämtlicher zur Edition herangezogener Quellen als Digitalfaksimiles vor: Manuskripte, Typoskripte, Druckseiten, Zeitungsausschnitte, offene Briefe, Briefe mit Schriftencharakter, Randglossen in Printmedien et cetera Die Beigabe von Faksimiles wird somit zum integralen Bestandteil der philologischen Darstellung. Darüber hinaus werden die zur Kommentierung herangezogenen Dokumente – soweit im Original vorliegend – ebenfalls faksimiliert. Sprachaufnahmen werden als gestreamte Audiofiles im mp3-Format angeboten, von Schönberg sind einige schriftlich nicht dokumentierte Märchenerzählungen sowie eine Reihe von Vorträgen und Ansprachen erhalten.

Die Transkription[5] selbst stellt eine diplomatisch-standgenaue Umschrift der Originalquelle dar, die nach Maßgabe der Möglichkeiten elektronischer Textverarbeitung über den reinen Wortlaut hinaus möglichst viele Informationen des Originals wiedergibt, um dem Leser eine nachvollziehende Entzifferung der in Form von Scans ebenfalls zugänglich gemachten Originale zu ermöglichen. Naturgemäß stößt die typographische Darstellung der Transkription besonders bei Manuskripten an Grenzen, wobei jedoch angestrebt wird, sämtliche Arbeitsschritte der Transkription und alle Entscheidungen des Editors so nachvollziehbar wie möglich zu gestalten. Die räumliche Anordnung des Originals erfährt in der Transkription eine weitestgehend getreue Abbildung, indem Seiten- und Zeilenstruktur, Absätze, Einzüge, auffällige Abstände sowie die Schreibrichtung berücksichtigt werden. Sämtliche weitere Zusätze wie Unter­streichungen, Fettschreibungen, Kursivierungen, Größenänderungen et cetera werden ebenfalls so exakt wie möglich dargestellt. Die diplomatische Transkription schließt auch die Wiedergabe sämtlicher Textfehler mit ein, da Textfehlern hinsichtlich ihrer Beschaffenheit, ihres Kontextes und ihrer Frequenz durchaus wissenschaftliche Relevanz eignet. Hierbei gilt es einige generelle Besonderheiten offen zu legen, die in der Transkription ihre Berücksichtigung finden: Schönberg verwendet auch an Satzanfängen oftmals Kleinbuchstaben anstelle von Großbuchstaben; diese werden entsprechend ihres syntaktischen Kontextes als Versalien transkribiert. Die selten vorkommenden Geminationsstriche werden aufgelöst. Schreibökonomische Verkürzungen von Wörtern und Buchstaben bei eindeutigen Verhältnissen werden orthographisch und grammatikalisch korrekt ergänzt. Dies betrifft in erster Linie die in Manuskripten häufig anzutreffenden Kontraktionen oft wiederkehrender Silben und Endsilbenverschleifungen. Offensichtlich falsche (fehlende oder zusätzliche) Leerzeichen in typographischen Quellen werden in die Transkription nicht aufgenommen. Unter Zuhilfenahme gängiger diakritischer Zeichen werden die verschiedenen Korrekturmechanismen (Einfügungen, Streichungen, Ersetzungen, Umstellungen beziehungsweise Verschiebungen) dargestellt, mit der Zielsetzung, alle Stufen der Textgenese zu dokumentieren und transparent zu präsentieren. Die topographische Präzision dieser intern als »Primärtranskriptionen« bezeichneten Texte wird durch ein Portable Document Format (pdf) wiedergegeben.

Einen Sonderfall in der editorischen Umsetzung der Primärtexte stellt die Wiedergabe der in Schönbergs Texten enthaltenen Notenbeispiele in analytischen, theoretischen und pädagogischen Schriften dar. Diese sind zum Einen in vielen Fällen vov fremder Hand überliefert (von Assistenten und Schülern exzerpiert) und weisen zum Anderen geringe bis sinnverändernde Abschreibe»fehler« beziehungsweise -auslassungen auf (Akzidentien, Pausen, et cetera). Im gegenwärtigen Stadium der Ausgabe wird im Sinne des Textverständnisses bei Notenzitaten daher formalisierend auf die gängigen Urtextausgaben zurückgegriffen und für eine Originallesung der entsprechenden Stellen auf die mitgelieferten Faksimiles verwiesen. Die im Nachlass überlieferten Lehrmaterialien Schönbergs, die vor allem im Unterricht in Los Angeles Verwendung fanden (Harmonielehre, Kontrapunkt, Formenlehre), werden – obwohl sprachtextreich – aus der Schriften-Ausgabe bewusst ausgeklammert und sollen in einer eigenen Edition zusammen mit einer Beispielsammlung von Prüfungsfragen verhandelt werden.

Erst auf der Basis einer diplomatisch-standgenauen Transkription ist es möglich, einen Text zu erstellen, der gleichermaßen den Anforderungen einer kritischen Edition wie auch jenen einer interessierten Leserschaft genügen kann. Das neue Dokument, das direkt auf der primären Transkription der Originalquelle basiert, präsentiert den edierten Text und stellt ihm den varianten Text gegenüber. Die Auswahl des edierten Textes kann nunmehr auf der Basis der Resultate der Textüberlieferung und der Textentstehung editorisch begründet werden und stellt somit den Bezugstext für den varianten Text dar, der sich in allen weiteren Fassungen einer Texteinheit manifestiert. Zur Offenlegung aller editorischen Eingriffe und zur Dokumentation der Textgenese dient das Variantenverzeichnis, welches als lemmatisierter Einzelstellenapparat erscheint und sämtliche Korrekturvorgänge rückvollziehbar dokumentiert und dergestalt die unterschiedlichen Textschichten erkennbar macht. Fehler, die der Struktur eines Textes widersprechen oder im Zusammenhang ihres weiteren Kontextes keinen Sinn zulassen beziehungsweise diesen verschleiern, werden hierbei formal beziehungsweise inhaltlich emendiert, der Variantenapparat gibt nachvollziehende Auskunft über sämtliche editorischen Eingriffe. Um die Transparenz und Benützbarkeit des wissenschaftlich-kritischen Apparates so groß wie möglich zu halten, wurde Wert auf eine Beschränkung des Vorrats an diakritischen Zeichen gelegt. Der emendierte Text wird schließlich für die Volltextsuche in die Datenbank[6] kopiert.

Neben der Volltextsuche durch alle in der Datenbank enthaltenen Schriften bietet ein nach Sachgruppen, Personen, Daten und Werken gestalteter Index eine weiterführende Suchmöglichkeit. Darüber hinaus werden Quellenbeschreibungen und Kommentare zu den einzelnen Schriften und deren Fassungen angeboten. Noch nicht edierte Texte werden verschlagwortet und als Scans mit der Datenbank verbunden.

Inhaltlich oder stemmatologisch verwandte Texte sind innerhalb der Datenbank verlinkt, auf Briefe rekurrierende Kommentare mit der Korrespondenzdatenbank verknüpft.

Als Beispiel der Online-Darstellung einer edierten Schrift sei der Text »Stellung zum Zionismus« angeführt, den Schönberg 1924 in Auftrag von Rudolf Seiden als Sympathie-Erklärung für die zionistischen Bestrebungen verfasste. Die für den Kommentar herangezogenen Dokumente sind als Farbfaksimiles abrufbar (s. Abb. 2), eine weitere Quelle zum Text als Link zu einem anderen Datensatz. Die eingegebenen Begriffe in der einfachen (Titel, Volltext, Index) sowie komplexen Suchmaske (jedes einzelne Feld) werden markiert. Die Ausgabeanzahl der Treffer kann zwischen 200, 500, 1000 oder allen Fundstellen vom Benutzer selbst modifiziert werden. Die Trefferliste enthält neben der Datensatznummer die Signatur, den Titel der Schrift, das Datum der Entstehung und ein Erstzeilenincipit. Faksimile und Transkription der Schrift können unabhängig voneinander oder zusammen aufgerufen werden. Die Ausgabe sieht die parallele Bildschirmdarstellung von Digitalisat und pdf vor (s. Abb. 3), bei mehrseitigen Schriften kann der Benutzer jeweils die nächste Seite aufrufen.

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Abb.2 : Faksimile zu »Stellung zum Zionismus«

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Abb. 3: Parallel Darstellung von Scan und pdf

Eine besonders lohnende Verwendungsmöglichkeit der Datenbank ist jene der Einträge für Glossen. Schönbergs Bibliothek enthält mehrere hundert glossierte Bücher, Noten und Zeitschriften, welche im digitalen Format (Mitteilung des Basistextes) weit umfangreicher als in der Edition (Transkription der Annotationen) dargestellt werden können. Auch Grenzfälle der Textkonstitution (etwa Listen, Dokumente, Interviews) beziehungsweise Texte ungesicherter Autorschaft finden in die Datenbank einen unproblematischeren Eingang als in eine Druckausgabe. Die virtuelle Schönberg-Ausgabe wird nach Abschluss des Projektes die sehr schwierige Frage der physischen Bandeinteilung zumindest soweit erleichtern, als der Benutzer je nach Verwendungszweck eine eigene Bandeinteilung (chronologisch, inhaltlich, nach Gattungen) im Sinne eines »Book on Demand« treffen kann. Die endgültige Konzeption der Kritischen Gesamtausgabe der Schriften Arnold Schönbergs insbesondere in Hinsicht auf die Einteilung der einzelnen Bände wird erst nach der vollständigen Sichtung sämtlicher Quellen und deren möglichst lückenloser Vernetzung in der Internet-Datenbank erarbeitet werden. Ehe die Online-Edition und das Werkverzeichnis der Schriften abgeschlossen sind, werden dem Benutzer vorab ein Verzeichnis der Schriften sowie ein Verzeichnis der annotierten Bücher und Zeitschriften im Nachlaß Arnold Schönbergs als pdf-Dokument angeboten.

3. Musikmanuskripte

Die tausende Seiten umfassende Sammlung von autographen Musikmanuskripten stellt den wertvollsten Teil des Bestandes am Arnold Schönberg Center dar. Parallel zum Digitalisierungsprojekt des Archivs werden autographe Manuskripte nach modernsten Methoden präventiver Papierkonservierung beziehungsweise -restaurierung behandelt und gelagert. Berücksichtigt werden bei der Digitalisierung alle für den Kompositionsprozess maßgeblichen Quellen, von den ersten musikalischen Skizzen und Niederschriften bis zu Reinschriften beziehungsweise Stichvorlagen, aber auch Korrekturexemplare von Früh- und Erstdrucken. Basierend auf der nach Gattungen geordneten Struktur der in Berlin unternommenen Gesamtausgabe der musikalischen Werke wird die Archivordnung auf der Website mit einem interaktiven Werkverzeichnis[7] verschränkt, jedes Werk wird hierbei mit den in den Kritischen Berichten zur Gesamtausgabe verwendeten Sigla und kurzen Quellenbeschreibungen ausgestattet. Anders als in der werkeditorisch konzipierten GA (Skizzen sind hier im chronologischen Werkzusammenhang dargestellt) werden auf www.schoenberg.at die ursprünglichen Quellenbezüge anschaulich gemacht. Die Struktur der von Schönberg über vier Jahrzehnte geführten Skizzenbücher etwa ist mittels Illustration der Lagenordnungen mit zu Scans verlinkten Seitenzahlen/Archivnummern dargestellt. Ergänzt wird die Quellendarstellung durch Angaben zu Aufführungsdauer, Entstehungszeit und Erstveröffentlichung des Werkes, Hinweisen zur Uraufführung sowie aktuellen Ausgaben und Aufnahmen. Die Werke sind ungekürzt mittels gestreamten Audiofiles anhörbar. Werkeinführungen und Analysen des Komponisten selbst geben Einblick in die Genese und Struktur der Kompositionen. Die bis dato noch statisch geführten Seiten sollen 2006 ebenfalls in eine Datenbank integriert werden, deren Aufbau und Erscheinungsbild jener von Schubert Online[8] gleichen soll, einem in Kürze zu veröffentlichendem Vorzeigeprojekt des Online Content Management System for Vienna Music Institutions.

4. Bildnerisches Werk

Zu den für die Wissenschaft derzeit wichtigsten Projekten des Arnold Schönberg Centers zählen, zumal eine Vielzahl bislang unpublizierter Quellen involviert ist, der virtuelle und nunmehr auch im Druck vorliegende Werkkatalog zu den Bildwerken des Komponisten. Der virtuelle Catalogue raisonné zu Schönbergs rund 400 Werke umfassendem bildnerischen Schaffen bietet nicht nur ein Gesamtverzeichnis aller seiner Gemälde und Zeichnungen mit Abbildungen der Werke, sondern auch eine komplette Zusammenstellung seiner darauf bezogenen Schriften und Äußerungen bedeutender Zeitgenossen. Erstmals werden Schönbergs Ausstellungstätigkeit und deren Medienrezeption umfassend dokumentiert, seine Farben analysiert und neueste Erkenntnisse zu Maltechnik, Werktiteln und Datierungsfragen vorgelegt. Die umfangreiche Korrespondenz mit Malern und über Malerei ist über die Website ebenso abrufbar wie die Korrespondenz zur Organisation von sowie Rezensionen über Einzel- und Gruppenausstellungen. Ein historischer Überblick zu Schönbergs Jahren der Malerei, eine Zusammenstellung der verschollenen Werke, methodische Überlegungen zu Datierung, Werkgruppen und Werktitel sowie Anmerkungen zur Maltechnik ergänzen die Sammlung von Primärtexten.

Die maltechnische Analyse der Werke wurde in Zusammenarbeit mit dem Naturwissenschaftlichen Labor am Kunsthistorischen Museum in Wien durchgeführt. In Anlehnung an schriftliche Quellen (Text/Musik) und deren Überlieferung in zusammenhängenden Skizzen- und Entwurfskomplexen wurde versucht, besondere Merkmale der verstreuten bildnerischen Skizzen hinsichtlich ihres fehlenden »Werkcharakters« philologisch zu analysieren und ursprüngliche Werkzusammenhänge zu rekonstruieren. Die separat gerahmten Blätter eines Zeichenblocks sind daher im Katalog aufgrund ihres codicologischen und inhaltlichen Befundes in möglichst chronologischer Folge nunmehr wieder in einen originären Materialkontext gestellt. Die genaue Untersuchung von Abrisskanten, Farbabdrücken, Zeichenschichtübergängen, Format- und Wasserzeichenkorrespondenzen ließ eine überraschend konzise Aussage hinsichtlich der Werkzusammenhänge der Arbeiten auf Papier zu.

5. Audio-Werkverzeichnis

Aufgrund der verbesserten Übertragungsgeschwindigkeit im Internet ist nunmehr auch die Veröffentlichung audiovisueller Medien über Websites möglich. Auf www.schoenberg.at wird seit 2004 ein repräsentativer Überblick auf historisches und dokumentarisches Archivmaterial ausgestrahlt. Um den Besuchern die Möglichkeit zu geben, ihr Radioprogramm selbst zu gestalten, wurden die Audiodatenbestände thematisch zusammengefasst und sind auch als statische Klangbeispiele mit folgenden Schwerpunkten[9] auswählbar: Dokumentationen, Vorträge, Zeitzeugen-Interviews, Schönbergs Stimme, Lesungen seiner Dichtungen, historische Interpretationen und ein Audio-Werkverzeichnis[10]. Dokumentationssendungen zu Schönbergs Leben und Werk werden in neun Sprachen angeboten. Eine Auswahl von Vorträgen in deutscher und englischer Sprache dokumentiert die am Arnold Schönberg Center seit 1999 veranstalteten internationalen Symposien. Interviews mit und Erinnerungen von Schönbergs künstlerischen und familiären Wegbegleitern, darunter Gertrud und Nuria Schoenberg, Hanns Eisler, Luigi Dallapiccola, Felix Greissle, Leonard Stein und Paul Dessau, werden in der Rubrik »Zeitzeugen« zusammengefasst. Die rund 50 Aufzeichnungen von Schönbergs Stimme[11] umfassen (Rundfunk-)Vorträge, Interviews, Werkeinführungen, Briefdiktate und Erzählungen. Die Sammlung der am Arnold Schönberg Center verfügbaren historischen Aufnahmen der Kompositionen Schönbergs basiert auf den im Nachlass erhaltenen Beständen, wurde jedoch durch seine Erben sowie am Schoenberg Institute in Los Angeles (Vorgängerinstitution des Arnold Schönberg Center weitergeführt. Im Archiv finden sich für die Rekonstruktion einer Aufführungspraxis der Wiener Schule wesentliche Aufnahmen von Schönbergs Dirigaten, die über Webradio ausgestrahlt werden. Eigeninterpretationen sind den historischen Aufnahmen seiner Schüler und Zeitgenossen sowie der unmittelbaren Nachfolger der Wiener Schule gegenübergestellt. In Erweiterung des umfangreichen thematischen und chronologischen Werkverzeichnisses mit Quellenkatalog und Scans der Handschriften sind sämtliche Kompositionen ungekürzt hörbar, darunter die vollendeten Instrumental-und Vokalwerke mit und ohne Opuszahlen, Bearbeitungen sowie eine Auswahl von Fragmenten.

5. Nutzungsmöglichkeiten

Der Zugang zu den auf www.schoenberg.at veröffentlichten Archivalien ist für den Benutzer kostenlos. In einer von Urheberrechtsproblemen uneingeschränkten Umgebung – die Erben fordern progressiv die Veröffentlichung und Nutzbarmachung aller Inhalte des Nachlasses; Schönbergs Hauptverlag, die Wiener Universal-Edition kooperiert in eben jenem Sinne in beispielhafter Weise – wird versucht, dem Forscher, dem Musiker, dem Liebhaber von Schönbergs Werken alle relevanten Inhalte in unbürokratischer Weise zugänglich zu machen. Die Website dient hierbei als Plattform und Veröffentlichungsmedium einer Vielzahl von Texten, Digitalisaten und Audiofiles. Langzeitziel ist, die unter PHP/MySQL erstellten Datenbanken zu Briefen, Musik- und Textquellen, Konzertprogrammen und -rezensionen sowie Fotografien mittels Metaabfragemöglichkeit miteinander zu verknüpfen, um etwa ein Kalendarium der Wiener Schule erstellen zu können.

Therese Muxeneder (Wien)

Therese Muxeneder
Arnold Schönberg Center
Schwarzenbergplatz 6
A–1030 Wien

(25. Januar 2006)

Internetadressen

[1] http://www.schoenberg.at/6_archiv/correspondence/letters_database.htm

[2] http://www.schoenberg.at/6_archiv/texts/database.htm

[3] http://www.schoenberg.at/6_archiv/music/works/compositions.htm

[4] http://www.schubert-online.at/

[5] http://www.schoenberg.at/webradio_options.htm

[6] http://www.schoenberg.at/jukebox.htm

[7] http://www.schoenberg.at/6_archiv/voice/voice.htm


[1]

[1].

[2]

Arnold Schönberg: Fragments V (Arnold Schönberg Center, Wien [T 52.15]).

[3]

Ebd.

[4]

Hartmut Krones, Gerold W. Gruber und Therese Muxeneder.

[5]

Die folgenden Ausführungen basieren auf den Transkriptionsrichtlinien, welche in Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern der Kritischen Gesamtausgabe der Schriften Arnold Schönbergs (Julia Bungardt, Eike Rathgeber und Nikolaus Urbanek) erstellt wurden.

[6]

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[3].

[8]

[4].

[9]

[5].

[10]

[6].

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[7].