Herstellen von Verknüpfungen – Zur elektronischen
Edition und zum elektronischen Edieren
von Immanuel Kants Schriften und Vorlesungen

Abstract

The academy-edition of Immanuel Kant’s writings is the general reference edition for philological and philosophical investigation concerning Immanuel Kant. The first three sections (works, correspondence and handwritten remains) have been digitized and serve as the basis for an electronic edition which is freely available at <http://www.ikp.uni-bonn.de/kant>. The fourth section (lectures) is still work in progress. In this paper, we describe the academy-edition, the electronic edition and the computer-assisted edition of the lectures. We explicate problems regarding the arrangement and documentation of Kant’s texts, and – in this context – we explain the importance of hyperlinking texts and other documents for the proper editing and interpretation.

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Die Akademie-Ausgabe der Schriften Immanuel Kants

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Die Kant-Ausgabe der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften [1] markiert in Konzeption und Durchführung eine Scheidegrenze in der Geschichte neuzeitlicher Editionen. [2] Das bis heute Kant´s gesammelte Schriften betitelte Gesamtwerk sollte, wie sein Inaugurator Wilhelm Dilthey im 1902 erschienenen Vorwort ausführt, die »ganze geistige Hinterlassenschaft« (I: v, viii) des Philosophen Immanuel Kant (1724–1804) umfassen. Das methodische Ziel der Ausgabe wurde als ›Entwicklungsgeschichte‹ eines einzelnen Denkers gefasst, die ihrerseits die »unentbehrliche Grundlage für die Geschichte des menschlichen Geistes« (I: viii) darstellen sollte. Ursprünglich war geplant, die Ausgabe binnen zwölf Jahren fertigzustellen. Dieser Zeitplan konnte aus personellen und sachlichen Gründen nicht eingehalten werden. Im Gegenteil ist die Arbeit bis heute noch nicht abgeschlossen – der letzte auf den ursprünglichen Plan zurückgehende Band 26 mit den Vorlesungen über Physische Geographie steht erst kurz vor der Fertigstellung, und einzelne Teilbände der ersten Abteilung werden derzeit einer grundlegenden Revision unterzogen.

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Die Akademie-Ausgabe ist in vier Abteilungen gegliedert. Die erste Abteilung (Bände 1–9) umfasst Kants Werke, die zweite Abteilung (Bände 10–13) den Briefwechsel, die dritte (Bände 14–23) den handschriftlichen Nachlass inklusive eines sogenannten Opus postumum, und die vierte Abteilung (Bände 24–29) umfasst die Vorlesungen. Die Vierheit der Abteilungen entsprach sowohl der Lebenswelt des Königsberger Professors für Logik und Metaphysik als auch den verfügbaren schriftlichen Dokumenten seines Wirkens. Die methodische Zielsetzung der Akademie-Ausgabe bedingte stets eine historische Aufgabenstellung in den verschiedenen Abteilungen. Eine strikt chronologische Anlage wurde jedoch in keiner der Abteilungen erreicht. Selbst in der Abteilung des Briefwechsels war sie nicht möglich, da auch der amtliche Schriftverkehr und weitere, unverzichtbare Typen von Dokumenten mit zu dieser zweiten Abteilung genommen aber – sinnvollerweise – getrennt vom übrigen Briefwechsel sortiert wurden.

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Die Realisation der Ausgabe oblag der Kant-Kommission der in Berlin ansässigen Akademie der Wissenschaften, die sich auch auf ein Regelwerk für die satztechnische Einrichtung und die Gestaltung der Ausgabe verständigte. Für die Bearbeitung der einzelnen Teilstücke sind in den Anfangsjahren je individuelle privatwirtschaftliche Herausgeberverträge mit anerkannten, meist nicht der Akademie angehörenden Gelehrten geschlossen worden. Sämtliche Abteilungen sind zeitlich parallel bearbeitet worden; es ist nicht gelungen, den vorab zu erstellenden Briefwechsel vor dem Erscheinen des ersten Bandes der Werke (1902) zum Abschluss zu bringen. [3] Die vierte Abteilung Vorlesungen ist in erster Linie wegen der nicht befriedigend aufgeklärten Form ihrer hauptsächlichen Überlieferung [4] und aus Geldmangel in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg eingestellt worden, ohne dass ein Band erschienen ist. [5] Nach dem Abschluss der dritten Abteilung mit Band 23 (1955) hat die damalige Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin den ursprünglichen Plan wieder aufgegriffen und mit den Vorarbeiten zur Ausgabe der Vorlesungen begonnen. [6] Anschließend ist die Abteilung in die Obhut der Göttinger Akademie der Wissenschaften gelangt, die beginnend mit dem Jahr 2002 im Rahmen des Akademien-Programms die Fortführung und Beendigung der Arbeiten an die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften weitergereicht hat.

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Insbesondere ist die dritte Abteilung Handschriftlicher Nachlass durch Ereignisse des Zweiten Weltkrieges erheblich geschädigt worden; zahlreiche Originale vor allem der Königsberger Staats- und Universitätsbibliothek sind verschollen, wenn nicht verloren. Gleichwohl sind die bei weitem umfänglichsten Dokumente für die Bände 15 bis 18 der Ausgabe in der Universitätsbibliothek Tartu in Estland erhalten. Hinzukommen weitere, nach 1945 neu aufgefundene Handschriften zu den Abteilungen II, III und IV, die bislang nicht in die Ausgabe integriert sind. [7]

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Rückblickend lässt sich sowohl sagen, dass eine arbeitsteilige Organisation die Ausgabe erst ermöglicht hat, als auch feststellen, dass die sich daraus ergebende Aufgabe einer permanenten Koordination der Teilbereiche zu keinem Zeitpunkt in zufriedenstellender Weise erfüllt wurde. Die sichtbarsten Zeichen einer fehlenden Gesamtkoordination sind die folgenden: [8] Erstens war eine zusammenfassende Bibliographie [9] der Drucke nicht vorgesehen. Zweitens waren die Recherchen zur Überlieferung des handschriftlichen Nachlasses nicht hinreichend. Drittens wurden Indizes und Register nur in Band 13 für die zweite Abteilung Briefwechsel realisiert; die notwendige und in Aussicht genommen Übersicht zu den in der dritten Abteilung edierten Handschriften ist als Folge verschiedener Umstände nicht erfolgt. [10] Der erstmals unter Verwendung datentechnischer Verfahrensweisen bearbeitete, 1997 erschienene Band 25 Vorlesungen: Anthropologie allerdings enthält ein ›Literaturverzeichnis mit Registerfunktion‹ und ein ›Personenverzeichnis‹ (1565 ff).

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Es lässt sich nun feststellen, dass es einerseits unumgänglich war, die Ausgabe in Abteilungen und Bände zu gliedern, dass sich andererseits die Aufgabe stellt, die gebotenen Texte auch ›in ihrer Gesamtheit‹ zu erschließen, zu dokumentieren und zugänglich zu machen. Die Anordnung der Texte, wie sie für die Akademie-Ausgabe vorgenommen wurde, ist weder die einzig mögliche noch die einzig interessante. Zweifellos bestehen intensiv und extensiv verschiedenartige Bezüge zwischen den einzelnen Abteilungen; diese Bezüge lassen sich nicht bloß historisch beschreiben sondern auch technisch abbilden. Schließlich wäre es wünschenswert, die Überlieferung der Schriften zu verdeutlichen und zusammen mit den edierten Schriften die jeweiligen Originaldokumente zugänglich zu machen – soweit diese noch vorhanden sind. Es ist naheliegend, wenn nicht unumgänglich, diese Aufgaben mit den Mitteln der Computerphilologie und Texttechnologie anzugehen.

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Das Bonner Kant-Korpus

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Die computergestützte Erschließung der Schriften Kants wurde mit der Arbeit an einem Allgemeinen Kantindex zu Beginn der 1960er Jahre an der Universität Bonn unter Leitung von Gottfried Martin begonnen. Der Kantindex sollte die Akademie-Ausgabe von Kant´s Gesammelten Schriften ergänzen und erschließen. Die Arbeit am Kantindex beschränkte sich auf die ersten drei Abteilungen, das heißt die Bände 1–23 der Akademie-Ausgabe. Die vierte Abteilung Vorlesungen war damals noch nicht über die Planungsphase hinausgelangt; es gab also noch keine Bände aus dieser Abteilung, die für den Kantindex berücksichtigt werden konnten.

[10] 

Für die Erstellung des Index wurde eine damals vollkommen neue Technik angewandt: Die Daten der Akademie-Ausgabe wurden sukzessive digitalisiert, indem sie in Lochkarten gestanzt, dann von einem Rechner eingelesen und auf Magnetband kopiert wurden. Aus den digitalisierten Daten konnten teilautomatisch Indizes erstellt werden. Bereits 1967 wurden ein Wortindex für die erste Abteilung der Akademie-Ausgabe (Bände 1–9: Werke) und ein Sachindex zur Kritik der reinen Vernunft in gedruckter Form veröffentlicht. [11]

[11] 

Die Digitalisierung der Schriften Kants sollte von vornherein nicht allein der Erstellung von Indizes dienen. Sie war darauf ausgerichtet, auch die Grundlage für weitere wissenschaftliche Untersuchungen zu bereiten – zum Beispiel für statistische Auswertungen der Sprache Kants. [12] Die computergestützte Erschließung war sowohl methodisch als auch hinsichtlich ihrer weitergehenden wissenschaftlichen Ziele ambitioniert und fortschrittlich.

[12] 

So fortschrittlich die Methode aber auch war, die Arbeit nahm viel Zeit in Anspruch und erforderte großen manuellen Aufwand. Hinzu kamen nach dem Tode Gottfried Martins 1972 wohl Probleme in der Zusammenarbeit seiner Mitarbeiter, so dass die Arbeiten weiter verzögert, partiell sogar ganz eingestellt wurden. [13] Nichtsdestotrotz wurden sukzessive über die Jahre hinweg alle Bände der Abteilungen I-III digitalisiert. An der Digitalisierung waren verschiedene Personen beteiligt; außerdem kamen verschiedene Techniken – insbesondere neu entwickelte OCR-Techniken – zum Einsatz, und auch die Richtlinien der Datenkodierung wurden mehrfach geändert. Das Ergebnis war ein zwar weitgehend vollständiges, aber heterogenes und zum Teil mit Fehlern behaftetes Korpus der Schriften Immanuel Kants aus den Abteilungen I-III der Akademie-Ausgabe.

[13] 

Die Entwicklung leistungsfähiger, computergestützter Informationssysteme nahm Projekten der Erzeugung gedruckter Indizes, Konkordanzen et cetera einen Großteil ihrer Attraktivität. Anstatt ein elektronisches Korpus für die Erzeugung gedruckter Indizes zu benutzen, kann es direkt mithilfe von Text-Retrieval-Systemen erschlossen werden. Von dieser Möglichkeit wurde Gebrauch gemacht, indem in den 1990er Jahren erst die Bände 1–9 (Abteilung I: Werke) und dann auch die Bände 10–13 (Abteilung II: Briefwechsel) für die Recherche mit dem Programm WordCruncher for Windows aufbereitet und zusammen mit diesem Programm auf CD vertrieben wurden. Ende der 1990er Jahre wurde darüber hinaus eine Web-basierte Schnittstelle zu den Bänden 1–13 installiert.

[14] 

Es galt nun noch, die Schriften des handschriftlichen Nachlasses aus der dritten Abteilung aufzubereiten: Zwischen 2001 und 2005 wurde deshalb das komplette Bonner Kant-Korpus – inklusive den Bänden der dritten Abteilung – im Zuge eines von der DFG geförderten Projekts zur Bereitstellung und Pflege von Kants Gesammelten Schriften in elektronischer Form überarbeitet, einheitlich kodiert und über eine Web-Schnittstelle zugänglich gemacht.

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Der derzeitige Umfang und Zustand des Bonner Kant-Korpus

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Das Bonner Kant-Korpus enthält alle Werke Kants und den gesamten Briefwechsel gemäß den Abteilungen I und II, das heißt den Bänden 1–13 der Akademie-Ausgabe. Das Korpus enthält nicht die Herausgeber-Anmerkungen aus diesen Bänden. Band 13 besteht bis auf einen Brief ausschließlich aus Anmerkungen; dieser Band ist im elektronischen Korpus deshalb nur zu einem kleinen Teil vorhanden. Das Kant-Korpus enthält ferner die Texte der Nachlassbände 14–23 (Abteilung III). Dazu gehören alle Texte Kants, einschließlich der von den Herausgebern eingefügten Anmerkungen und Ergänzungen. Darüber hinaus sind alle Bezugstexte der handschriftlichen Aufzeichnungen mit aufgenommen, soweit sie in der Akademie-Ausgabe abgedruckt sind. – Zur Erklärung: Kant verfügte über mehrere mit Leerseiten ›durchschossene‹ Exemplare von Lehr- oder Handbüchern verschiedener Autoren. In diesen Exemplaren hat Kant Notizen hinterlassen, die sich zum Teil unmittelbar auf den Text der jeweiligen Ausgabe beziehen. Ohne diese Bezugstexte können die Notizen nicht verstanden werden; die Bezugstexte sind deshalb sowohl in die Akademie-Ausgabe als auch in das elektronische Korpus aufgenommen worden. – Die Fußnoten der Herausgeber sind vollständig für die Bände 21 und 22 (Opus postumum) im Korpus vorhanden. Die Fußnoten aus den anderen Nachlassbänden gehören nicht oder nur zu einem kleinen Teil zum Korpus.

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Die einzelnen Zeichen des Korpus sind in UTF-8 kodiert. Auf Nicht-ASCII-Zeichen – dazu gehören beispielsweise Umlaute, ß, aber auch griechische Buchstaben – wird mittels Gegenstandsreferenzen verwiesen. Das Korpus ist in XML kodiert; die Kodierung orientiert sich an den Ausgangsdaten: Vorhandene Markierungen wurden nach XML übersetzt; es wurde Wert darauf gelegt, dass im Zuge der Umkodierung keine Information verloren ging. Fehlende oder nicht durchgängig vorhandene Markierungen wurden ergänzt. Dies betraf insbesondere die Kodierung der handschriftlichen Aufzeichnungen aus den Bänden 14–19. Die Kodierung der Ausgangsdaten war nicht am TEI-Standard orientiert – und konnte auch nicht am TEI-Standard orientiert sein, weil dieser zur Zeit der ersten Kodierung noch nicht existierte –; dementsprechend sind auch die auf den Ausgangsdaten basierenden, derzeitigen XML-Daten nicht TEI-konform. Eine Transformation in eine Kodierung, die den TEI-Richtlinien genügt, ist möglich, allerdings aufwendig.

[18] 

Die XML-Kodierung reflektiert die Textstrukturen: Überschriften, Paragraphen, Randtexte, Briefe, handschriftliche Notizen et cetera sind als solche ausgezeichnet; Schriften Kants werden von Einfügungen der Herausgeber unterschieden. Die gedruckte Akademie-Ausgabe kann aufgrund der XML-Kodierung rekonstruiert werden: Seiten- und Zeilenwechsel sind angegeben, und Besonderheiten im Druckbild, wie Wechsel der Schrifttypen, Kursivdruck und so weiter sind markiert. Schließlich sind Eigennamen und fremdsprachige Stellen mit Angabe der jeweiligen Sprache markiert. [14]

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Die Umwandlung und Anpassung der Daten, respektive ihrer Kodierung wurde halbautomatisch vorgenommen. Regelmäßige Modifikationen wurden mithilfe von Perl-Scripts durchgeführt. Außerdem wurde ein VIM-Editor [15] so konfiguriert, dass komplexe Markierungen mithilfe einfacher Tastenkombinationen eingefügt werden konnten. Die Bearbeitung mit dem VIM-Editor erforderte, dass der jeweilige Bearbeiter die Daten am Bildschirm nach falschen oder fehlenden Markierungen durchsuchte, um diese dann zu korrigieren respektive zu ergänzen. Zur Kontrolle und abschließenden Korrektur der Daten wurden wiederum diverse Perl-Scripts geschrieben.

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Die Nutzung des Korpus

[21] 

Das Bonner Kant-Korpus ist die Datenbasis einer elektronischen Edition der Schriften Immanuel Kants gemäß den Abteilungen I-III der Akademie-Ausgabe: Es wurden erstens verschiedene Anordnungen der Kant-Schriften erzeugt und im WWW zugänglich gemacht; zweitens wurden die Schriften durch die Installation einer Suchmaschine und die Bereitstellung eines Personenindex durchsuchbar gemacht; und drittens wurden aufeinander Bezug nehmende Stellen der Schriften Kants durch Hyperlinks verknüpft. Die elektronische Kant-Edition ist im WWW unter [2] frei zugänglich.

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Anordnung und Darstellung der Texte

[23] 

Die Texte wurden auf verschiedene Weisen angeordnet. Die erste Anordnung folgt der Akademie-Ausgabe: Wir haben ein Gesamtverzeichnis der Bände 1–23 erstellt; über dieses gelangt man zu den Inhaltsverzeichnissen der Einzelbände und über diese wiederum zu den entsprechenden Schriften. Für jede – respektive fast jede (siehe unten) – Druckseite der Akademie-Ausgabe, wurde eine druckähnliche, zeilengetreue HTML-Seite erzeugt. Diese Seiten sind zum einen mit den Inhaltsverzeichnissen verknüpft, zum anderen ist jede Seite mit der ihr vorhergehenden und der ihr nachfolgenden Seite verknüpft, so dass ›geblättert‹ werden kann.

[24] 

Die HTML-Seiten sind als Tabellen aufgebaut. In der von links aus gesehen ersten Tabellenspalte stehen die Zeilennummern der in der zweiten Spalten stehenden Textzeilen. In der dritten Tabellenspalte stehen – soweit vorhanden – Randtexte oder Verknüpfungen (Hyperlinks) zu relevanten Bezugstexten.

[25] 

Wörter, die in der gedruckten Ausgabe durch einen Zeilenumbruch getrennt sind, werden in der elektronischen Edition nicht getrennt, sondern stehen vollständig in der Zeile, in der sie in der gedruckten Ausgabe beginnen. Deutschsprachige Texte von Kant sind in der Akademie-Ausgabe in Fraktur gedruckt, und für fremdsprachige – zum Beispiel lateinische oder französische – Texte und Textstellen werden lateinische Lettern (Antiqua) verwendet. In der elektronischen Edition werden alle Texte – auch die deutschsprachigen – in lateinischen Lettern dargestellt. Hervorhebungen im Druckbild wurden aus der Akademie-Ausgabe weitgehend übernommen. So werden Stellen, die in der Akademie-Ausgabe kursiv gedruckt sind, auch in der elektronischen Ausgabe kursiv wiedergegeben. Darüber hinaus werden allerdings auch Eigennamen und Textstellen, die in der gedruckten Ausgabe in Antiqua gesetzt sind, kursiv angezeigt. Handschriftliche Aufzeichnungen, die Kant durchgestrichen hat, werden in der gedruckten Ausgabe in eckige Klammern gesetzt; in der elektronischen Edition erscheinen sie wieder durchgestrichen. Da sie bloß einfach durchgestrichen sind, sind sie gleichwohl gut lesbar.

[26] 

Die druckähnlichen HTML-Seiten enthalten die Haupttexte der Akademie-Ausgabe, also alle Texte Kants, sowie die von den Herausgebern eingefügten Überschriften und Anmerkungen. Von den Herausgebern gesetzte Fußnoten wurden nur in die HTML-Versionen der Bände 20–22 aufgenommen. Die Fußnoten der anderen Bände wurden nicht in die HTML-Edition aufgenommen, weil sie entweder nur teilweise oder gar nicht Teil des elektronischen Korpus sind. Außerdem wurden die Bezugstexte aus den Nachlassbänden separat gespeichert; sie befinden sich – anders als in der gedruckten Ausgabe – nicht unter den Kant-Schriften.

[27] 

Es sind nur HTML-Seiten erzeugt worden, für die Daten im Kant-Korpus vorhanden sind. Für leere Druckseiten und für Seiten, die ausschließlich einen Bezugstext enthalten, wurde keine druckähnliche HTML-Seite erzeugt. Diese Entscheidung muss man nicht für optimal halten. Leere Seiten erfüllen in gedruckten Bücher zumindest den Zweck, die Gliederung des Materials anschaulich zu machen – die Trennung zweier Texte durch eine oder mehrere Leerseiten ist in besonderer Weise markant. Solche Gliederungsinformation ist bei der Erzeugung der druckähnlichen HTML-Edition verloren gegangen. Sie kann allerdings mit geringem Aufwand rekonstruiert werden, indem für leere Druckseiten HTML-Seiten ohne Text automatisch erzeugt und in die HTML-Edition integriert werden.

[28] 

Zusätzlich zur druckähnlichen Anordnung und Darstellung der Kant-Schriften wurden alternative Anordnungen und Darstellungen erzeugt, zum Beispiel ein Gesamtverzeichnis aller Briefe aus den Bänden 10–13 und 23. Für die darin aufgeführten Briefe wurden jeweils eigene HTML-Dateien erzeugt. Wir haben damit die an der gedruckten Akademie-Ausgabe orientierte seitenweise Darstellung durch eine briefweise Darstellung ergänzt. Der Vorteil liegt auf der Hand: Die Briefe wurden übersichtlich, in chronologischer Ordnung zusammengefügt. Neu aufgefundene, in der Akademie-Ausgabe bisher nicht abgedruckte Briefe [16] können leicht eingefügt werden, ohne die Ordnung zu verletzen.

[29] 

Bei den Bänden des handschriftlichen Nachlasses ist zwischen den von Erich Adickes (1866–1928) und seinem Nachfolger Friedrich Berger herausgegebenen Bänden 14–19 und den von Gerhard Lehmann herausgegebenen Bänden 20–23 mit den sogenannten Vorarbeiten und Nachträgen zu unterscheiden; die Bände sind sehr unterschiedlich strukturiert. Die von Adickes und Berger herausgegebenen handschriftlichen Aufzeichnungen Kants sind durchnummeriert und in den Bänden 14–19 der Akademie-Ausgabe thematisch und chronologisch sortiert abgedruckt. Zu jeder Aufzeichnung sind ihre Fundstelle und eine oder mehrere mögliche Datierungen angegeben. Wir haben damit begonnen, die Aufzeichnungen ihren Fundorten gemäß anzuordnen: So werden beispielsweise die Aufzeichnungen, die Kant in seinem Handexemplar von Baumgartens Metaphysica hinterlassen hat, zusammengefasst und in eine Teilordnung gebracht: Aufzeichnungen von Seite 1 sind dabei den Aufzeichnungen von Seite 2 vorgeordnet und so weiter.

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Es wäre prinzipiell möglich, die handschriftlichen Aufzeichnungen auch in eine chronologische Ordnung zu bringen. Da die meisten Aufzeichnungen aber mit verschiedenen möglichen Datierungen versehen sind, ergäbe sich schon für relevante Teilmengen der Aufzeichnungen eine unüberschaubar große Anzahl möglicher Anordnungen. Die Erzeugung chronologischer Anordnungen erschien und erscheint uns deshalb nicht praktikabel.

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Durchsuchbarkeit

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Die Daten des elektronischen Kant-Korpus sind durch die Installation der frei verfügbaren Suchmaschine Webglimpse [3] durchsuchbar gemacht. Die Suchmaschine operiert auf einem aus den druckähnlichen HTML-Dateien erzeugten Wortformenindex. Sie ist funktionsmächtig, denn sie ermöglicht die Verwendung regulärer Ausdrücke und die Suche nach Varianten des eingegebenen Suchausdrucks. Sie ist einfach zu bedienen und funktioniert robust. Vorliegende Rückmeldungen von Nutzern der Suchmaschine bezeugen Zufriedenheit mit den angebotenen Leistungen. Meist werden einfache Suchanfragen nach zentralen Inhaltswörtern gestellt. Solche Suchanfragen werden – soweit feststellbar – stets richtig und erschöpfend beantwortet.

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Die Suchmaschine funktioniert gut und erfüllt ihren Zweck. Sie könnte dennoch mittelfristig durch eine Suchmaschine, die direkt auf den XML-Daten operiert, ersetzt werden. Erstens funktioniert derzeit – weil Webglimpse auf den seitenweise kodierten HTML-Daten operiert – nur die Suche nach einzelnen Inhaltswörtern robust; ganze Phrasen werden nicht gefunden, wenn sie durch einen Seitenwechsel unterbrochen werden. Zweitens enthalten die XML-Daten mehr Information als die HTML-Daten; die zusätzliche Information kann zur Verbesserung der Suchergebnisse genutzt werden. Ein Beispiel: Auf Seite 502 von Band 14 steht eine Aufzeichnung Kants über die Grundstoffe von Vitriolsäure und Salpetersäure. »Salpetersäure« ist dabei nicht ausgeschrieben; hinter »Salpeters« folgt ein Auslassungsstrich, mit dem auf die über dem Strich stehende Endung »säure« (oder »äure«) aus »Vitriolsäure« rekurriert wird. Wenn man nun die HTML-Version von Band 14 nach »Salpetersäure« durchsucht, dann erhält man kein Suchergebnis, weil in den HTML-Daten zwar »Salpeters« auftaucht, das Wort »Salpetersäure« aber nur implizit vorhanden ist. Die XML-Daten enthalten die Information über den durch die Auslassungszeichen abgekürzten Text. Mit den XML-Daten kann es daher ermöglicht werden, dass »Salpetersäure« gefunden wird, obwohl das Wort nur abgekürzt im Text steht.

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Eine Voraussetzung für die effektive Benutzung einer Suchmaschine ist, dass der Nutzer weiß, wonach er sucht. Ein Index hingegen kann selbst dann zur Durchsuchung von Daten gebraucht werden, wenn der Nutzer noch keine voll spezifizierte Suchanfrage stellen kann. Ein Index gibt einen Überblick darüber, was überhaupt gefunden werden kann. Wir haben den im Jahr 1969 erschienenen Personenindex zu Kants gesammelten Schriften [17] digitalisiert, in HTML kodiert und über das WWW zugänglich gemacht. Es handelt sich dabei um einen Index aller Personen, die Kant – gemäß Akademie-Ausgabe – erwähnt hat. Allen Personennamen sind Verknüpfungen zu den Stellen, an denen die jeweilige Person genannt wird, zugeordnet. Der Personenindex gibt also einen Überblick über alle von Kant erwähnten Personen.

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Verknüpfungen

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Schließlich wurde damit begonnen, die Kant-Texte zu einem Hypertext zu verbinden. Wir haben erstens thematisch zusammenhängende Texte und Textstellen verknüpft. Wieder ein Beispiel: In Band 7 der Akademie-Ausgabe befindet sich Kants Werk Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, und in Band 15 sind Kants handschriftliche Notizen zur Anthropologie versammelt. In Band 15 sind die Notizen in Anlehnung an das Inhaltsverzeichnis des Werkes gemäß Band 7 sortiert; sie können deshalb den Abschnitten des Werkes zugeordnet werden. Diese Zuordnung haben wir vorgenommen, indem wir die Notizen mit den ihnen entsprechenden Abschnitten des Werkes wechselseitig durch Hyperlinks verknüpft haben.

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Zweitens haben wir damit begonnen, Anmerkungen, die Kant in den durchschossenen Buchexemplaren hinterlassen hat, mit den Bezugstexten zu verknüpfen. Drittens haben wir die Daten des Opus postumum (Bände 21 und 22 der Akademie-Ausgabe) mit Bildern der entsprechenden Original-Handschriften verknüpft – diese Grafiken wurden von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften freundlicherweise für die Verknüpfungen bereitgestellt. [18] Die im Rahmen der Akademie-Ausgabe erschienene Edition des Opus postumum kann nun mit den Original-Handschriften verglichen werden.

[38] 

Die Ergänzung von Verknüpfungen zu Bildern von weiteren Handschriften und Briefen, sowie die weitere Verknüpfung von handschriftlichen Anmerkungen Kants mit ihren Bezugstexten ist relativ unproblematisch und in erster Linie eine technische Angelegenheit. Die Ergänzung von inhaltlich motivierten Verknüpfungen zwischen verschiedenen Texten Kants fällt hingegen in den Bereich philosophischer Textinterpretation; sie verlangt eine entsprechende Expertise.

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Die Edition der Vorlesungen

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Wie oben schon bemerkt, war zu Beginn der von Gottfried Martin und seinen Mitarbeitern in Bonn durchgeführten Arbeiten am Kantindex die vierte Abteilung Vorlesungen noch nicht über die Planungsphase hinausgelangt. Die aus dem Bau der Berliner Mauer (August 1961) resultierende Situation brachte weitere Verzögerungen mit sich – die durchführende Institution und die weit überwiegende Zahl der handschriftlichen Quellen befanden sich im Ostteil der Stadt; der die Ausgabe tatsächlich tragende Mitar­beiter (Gerhard Lehmann, 1900–1987) lebte im Westteil –, so dass der erste Band der Abteilung (Band 24 der Gesamtzählung) mit den Vorlesungen über Logik [19] erst die Jahreszahl 1966 auf dem Titelblatt trägt. Dieser und die weiteren bis zum Beginn der 1980er Jahre erscheinenden, stets mehrere Teilbände umfassenden Bände 27, 28 und 29 mit den Vor­lesungen über Moralphilosophie und Naturrecht, Metaphysik und Religions­philosophie sowie Kleinere Vorlesungen und Ergänzungen sind technisch und organi­satorisch in herkömmlicher Weise, ohne Verwendung von Computern vorbereitet und realisiert worden. Elektronisch gestützte, daten­technische Verfahrensweisen kamen erstmals bei den 1987 in Marburg begin­nenden Arbeiten an dem 1997 erschienenen Band 25 Vorlesungen über Anthropologie zur Anwendung. Hierbei und hierzu hat eine Aufteilung der durchzuführenden Arbeiten in drei Sektoren stattgefunden: (1) Dokumentieren, (2) Erschließen und (3) Edieren, d. h. Herstellen eines Editionstextes mit doppeltem Apparat, der philologische Anmerkungen von sachlichen Erläuterungen trennt. Die beiden ersten Bereiche Dokumentieren und Erschließen sind – nachdem eine hinreichende Textmasse erreicht war – parallel geführt worden.

[41] 

Die Dokumentation wurde mit einem unmittelbar maschinenlesbaren Daten­satz abgeschlossen, der bei Handschriften [20] eine zeilengetreue Transkrip­tion beinhaltet. Bewusst wurden handelsübliche, unter MS-DOS laufende Personal-Com­puter und das durch einfache Datenstruktur und leichte Handhabung ausgezeichnete Programm Wordstar der Pionierfirma MicroPro eingesetzt. Ausgehend von diesen technischen Gege­benheiten sind in einer kurzen intensiven Phase eigenständiger Entwicklung [21] zwei komplementäre Elemente erzeugt worden: (a) Eine Regel-Menge zur Herstellung der Transkrip­tion, die zugleich die Eigenschaften der resultierenden Datensätze fixiert; (b) ein Pro­grammpaket zur Manipulation der Datensätze.

[42] 

Leitender Gesichtspunkt war – neben und unabhängig von einem Gewinn an Einsichten in den Gehalt der Texte – der Grundsatz, die Daten als solche möglichst offen zu halten für weitere technische Entwicklungen. Auf diese Weise konnte auch die 1991 veröffentlichte Version 4.40 des WordCruncher der Brigham Young University (Utah) nach wenigen Schritten der Umformung zur Herstellung elektronischer Indizes benutzt werden. So bestand eine identische technologische Basis für die bis dahin in elektronischer Form vorliegenden alten, noch nicht XML-kodierten Bonner Daten (Bände 1–23) und für die neu in Marburg erzeugten Datensätze zur vierten Abteilung der Ausgabe. Die überlieferten Texte zur Vorlesung (Nachschriften) waren damit schon vor dem Beginn der letzten, dritten Phase ›durchsichtig‹ wie nie zuvor.

[43] 

Für den zweiten erschließenden, eher auf den sachlichen Gehalt der Texte zielenden Bereich wurde auf LIDOS [22] als Datenbank zurückgegriffen: Drei separate Datensätze dienten zur Verwal­tung: Hefte für die Textzeugen; Personen für die im Text offen oder indirekt erwähnten Namen und schließlich Lit-an, zur Verwaltung der für die Arbeiten insgesamt eingesehe­nen Literatur und die vorläufige Erstellung von sachlichen Erläuterungen zu den schließ­lich sieben festgelegten Editionstexten.

[44] 

Die Frage, wie – programmtechnisch gesehen – der dritte, abschließende Schritt, die Herstellung der Edition als ganzer, gestaltet werden sollte, war zu Beginn (1987) ohne feste Antwort. Der Versuch, mithilfe von WordStar (7.0) Text und doppelten Apparat sicher zu verwalten, wurde wegen Insta­bilität des Programms und mangels zukunftsoffener Schnittstellen abgebrochen. Es reifte die Einsicht, drei einfache, separate Text-Datensätze anzulegen, die notfalls von Hand miteinander verknüpft werden konnten. [23]

[45] 

Der letzte, noch nicht erschienene, die Akademie-Ausgabe alter Planung abschließende Band 26 mit den Vorlesungen über Physische Geographie bringt durch die Art der Überlieferung und die sachlich zu fordernden Apparate weitere Probleme mit sich. Über zwei, dem Erfahrungserwerb dienende Zwischenschritte – die separate Edition der Vorlesung zur Moralphilosophie [24] und ein von der Fritz Thyssen-Stiftung finanziertes Projekt über Erneute Untersuchungen zu Kants physischer Geographie – ist ein einfach zu handhabendes, auf einer HTML-Kodierung basierendes Verfahren für die Herstellung der zufällig ebenfalls (wie in Band 25: Anthropologie) sieben Editions-Texte entwickelt worden: Ausgehend von einem primären Text (Editionstext) werden – je nach Erfordernis – weitere Textdateien (die nötigen Apparate) verknüpft und mittels geeigneter ›Frame­sets‹ in einem Browser dargestellt.

[46] 

Die in diesem Verfahren verwendeten HTML-Dateien sind automatisch mittels einfacher Programme aus den Wordstar-Dateien erzeugt worden. [25] Ganz ähnlich können unter LIDOS aus den vorhandenen Datensätzen einzelne Textdateien mit sachlichen Erläuterungen oder bibliographische Listen ausge­lesen, nach HTML transformiert und weiterverwendet werden. Die HTML-kodierten Dateien sind unmittelbar für den Drucksatz verwendbar. Das Verfahren wurde bei der Herstellung der 2004 erschienen Vorlesung zur Moralphilosophie bereits angewandt und für die komple­xere Aufgabe der Vorlesung über die Physische Geographie nochmals praktisch erprobt. [26] Das Problem, die erhobenen Daten unter einer einheitlichen Oberfläche mit einer gewis­sen Zukunftsfestigkeit bereitzuhalten, kann somit als im Prinzip gelöst angesehen werden.

[47] 

Anders stellt sich freilich die zu bewältigene Sache selbst dar. Da die Kantische Vorlesung über Physische Geographie einen besonders komplexen Sachverhalt darstellt, der auch unter übergreifenden Gesichtpunkten von Interesse sein kann, sei hierauf mit einem vergleichenden Seitenblick auf die Anthropologie thesen­artig noch einge­gangen:

[48] 

Erstens stellt sich deutlich schärfer als bei den anderen voraufgehenden Disziplinen für die Anthropologie (Band 25) und die Physische Geographie (Band 26) die Aufgabe einer Koor­dination zwischen den drei Abteilungen I (Werke), III (handschriftlicher Nachlass) und IV (Vorlesun­gen). Denn nur für die Anthropologie und die Physische Geographie liegen Texte aus allen drei Abteilungen vor, die historisch abgesichert auf einen einzigen Entstehungskontext zurückgehen: Kant hat bis zum Ende seiner Lehrtätigkeit (Sommer 1796) regelmäßig über Anthropologie (ab Winter 1772/73) und Physische Geographie (ab Sommer 1756) Vorlesungen gehalten, deren Struktur nicht in Form gedruckt vorliegende Lehrbücher als gegeben angenom­men werden kann. Die überlieferten, eigenhändigen Notate sind in den Bänden 14 (1911) und 15 (1913) veröffentlicht worden. Dabei hat – den Prinzipien der Ausgabe gemäß – eine aus heutiger Perspektive seltsam anmutende Auflösung des mit der handschriftlichen Quelle gegebenen Kontextes stattgefunden; die Notate sind in der Akademie-Ausgabe nicht ihren Fundorten gemäß angeordnet. Die Reflexionen ge­nannten Notate werden für die Publikation im Buchdruck chronologisch und systema­tisch neu geordnet.

[49] 

Zweitens wird für die Anthropologie in der Abteilung III auf die Systematik (Gliederung) des von Kant selbst 1798 publizierten Buches über Anthropologie in pragmatischer Hinsicht zurückge­griffen. Die überlieferten Reflexionen werden in erster Linie dieser Gliederung folgend inhalt­lich und in zweiter Instanz zeitlich geordnet. [27] Damit ist sowohl eine chrono­logisch orien­tierte Lektüre der Notate ermöglicht als auch eine implizite Koordina­tion zwi­schen den Abteilungen I und III geschaffen. Über die Inhaltsverzeichnisse beider Bücher (Band 7 und Band 15) lassen sich  
identische Systemstellen ausmachen und die Texte neben­einander lesen (siehe oben).

[50] 

Anders hingegen Band 25; er enthält – auf der Basis studentischer Nachschriften – sieben Edi­tions­texte aus der Zeit zwischen 1772/73 und 1788/89 in chronologischer Anordnung. Es zeigt sich, dass Systematik, Aufgabenstellung und sachliche Thematik der Vorlesung ganz offensicht­lich einem historischen Wandel unterworfen sind; die in Band 15 gewählte, auf das Jahr 1798 zurückgehende Anordnung der Kantischen Notizen verdeckt diesen Sachverhalt. [28] Merkmale dieses Wandels sind die Termi­no­logie und ein von Kant stets aktualisiertes literarisches Bezugsfeld.

[51] 

Im Hinblick auf sich abzeichnende Weiterentwicklungen in technischer Hinsicht wurde Mitte der 1990er Jahre bewusst auf die sehr aufwendige, notwendig an den Inhalt des Textes anknüpfende Herstellung eines expliziten Zusam­menhangs zwischen Nachlass und Vorlesung verzichtet. WordCruncher-basierte Indizes der abge­schlossenen Tran­skrip­tionen sind etwa zeitgleich mit der Druckausgabe im Inter­net bereit gestellt worden. Die in den Bänden 7, 15 und 25 enthaltenen Nachweise literari­scher Quellen sind auf einem lokalen Rechner in der bereits genannten Datenbank unter LIDOS zusammen­ge­führt worden; das die Druckfassung des Bandes 25 beschließende Literatur-Ver­zeich­nis mit Regi­sterfunktion wurde daraus abgeleitet. Weitere, technische Verknüpfungen existie­ren bis dato nicht.

[52] 

Drittens ist die Physische Geographie innerhalb des Kantischen Oeuvres in mehr­facher Hin­sicht auffällig, ja beinahe paradox: (a) Sie ist die einzige Vorlesung, die vollständig auf eine eigenständige Struktur zu­rückgeht; nur für sie hat Kant mehrfach soge­nannte Einladungsprogramme verfasst. [29] (b) Sie ist aber auch die einzige Vorlesung, deren sachlicher Gehalt in extensiver Weise auf Lektüre des Vortragenden zurückgeht; denn Kant hat auf ihrem Gebiet (die allerersten Anfänge beiseite gelassen) keine eigenständige Forschung betrieben. (c) Seit fast 100 Jahren steht durch Arbeiten von Erich Adickes fest, dass der Text des von Kant in den Jahren 1757–1759 für die Vorlesung abgefassten Konzeptes in Form von Abschriften erhalten ist. Dennoch ist dieser sogenannte Diktat-Text nicht der dritten Abteilung (Handschriftlicher Nachlass) sondern der vierten Abteilung (Vorlesungen) zugewiesen worden. (d) Adickes hat auch gezeigt, dass die 1802 von Friedrich Theodor Rink in Kants Auftrag publizierte Buchfassung ein Kompositum aus unmittelbar Kantischem Diktat-Text, studentischer Nachschrift und eigenständigen Zutaten des Herausgebers [30] ist. Die drei Komponenten sind dennoch deutlich voneinander entfernt: 1758/59, 1774, 1801/02. [31] Dennoch ist die Rinksche Ausgabe innerhalb der Abteilung I (Band 9) im Rahmen der Kant-Ausgabe der Berliner Akademie verblieben.

[53] 

Für den gegenwärtigen Kontext mögen die genannten Punkte hinreichend sein, um zu erläutern, weshalb und inwiefern eine sachgerechte Edition der Vorlesung über Physische Geographie die Abteilungen I, III, und IV umgreifen sollte. Die tatsächliche Abfolge der Arbeiten seit 1900 steht dem jedoch entgegen; die Geschichte ist anders verlaufen. Der an­ste­hende Band 26 der Ausgabe hat damit auch ein jenseits seines inhaltlichen Gegenstands­bereichs liegendes Problem zu lösen: eine sachgerechte Verknüpfung der vorliegenden Daten der Abtei­lungen I und III mit den neuen Daten für Band 26.

[54] 

Resümee

[55] 

Die Akademie-Ausgabe ist nicht irgendeine Ausgabe der Schriften Immanuel Kants sondern die Referenzausgabe für die Kant-Philosophie. Sie ist mehr ein Projekt als eine abgeschlossene Textsammlung; sie ist ›work in progress‹: Erstens sind noch nicht alle Bände erschienen – der letzte, die Ausgabe alter Planung abschließende Band 26 soll 2008 inhaltlich abgeschlossen sein. Zweitens werden bereits erschienene Bände neu überarbeitet – dazu gehören die Kritiken und das sogenannte Opus postumum. [32] Drittens gilt es, neu aufgefundene Texte in die Ausgabe zu integrieren und die ursprüngliche Planung zu erweitern.

[56] 

Es zeigt sich, dass sowohl für die editorische Aufbereitung der Texte als auch für die Rezeption der fertigen Editionen texttechnologische Mittel äußerst hilfreich, wenn nicht unverzichtbar sind. Zum einen sind sie Hilfsmittel für die ›klassischen Formen‹ des Umgangs mit Texten, nämlich die Erstellung von Editionen, Indizes und Registern; wobei die neuen Mittel die Texte effektiver aufschließen als mit traditionellen Verfahren – Indizes et cetera – möglich. Sie erlauben außerdem die problemlose Ergänzung weiterer Materialien (beispielsweise von Neufunden, Revisionen und Faksimiles), die Erzeugung alternativer Anordnungen und auf diese Weise auch die Rekonstruktion ursprünglicher Manuskript-Einheiten aus den Beständen des handschriftlichen Nachlasses. Zum anderen – dies erscheint uns besonders wichtig – können Bezüge zwischen Texten respektive Textstellen durch Verknüpfungen explizit gemacht werden. Verknüpfungen sind für die editorische Arbeit von Bedeutung, weil durch sie Quellen, Texte und Apparate effektiv und übersichtlich einander zugeordnet werden können. Verknüpfungen erleichtern eine kontextsensitive Interpretation der Texte. Derartige Verknüpfungen bilden den Königsweg zur ›Entwicklungsgeschichte‹ des Denkers.

[57] 

Mit dem Bonner Kant-Korpus liegt ein großer Teil der Schriften Immanuel Kants texttechnologisch erschlossen vor. Das Korpus wird intensiv genutzt und fördert insofern die Auseinandersetzung mit Kants Philosophie. Außerdem trägt es zur ›Rationalisierung‹ weiterer Editionsarbeit bei: Für Neueditionen müssen die jeweiligen Texte nicht neu aufgenommen, sondern nur überarbeitet werden; die Arbeitsersparnis ist beträchtlich. [33] Wie die Akademie-Ausgabe ist das elektronische Korpus nicht fertig, sondern ein Projekt, an dem fortlaufend weitergearbeitet werden sollte. Es ist kollaborativ, in Auseinandersetzung mit der Arbeit an der gedruckten Ausgabe zu entwickeln.


[1] 
Die institutionellen Zusammenhänge bleiben im Folgenden weitgehend unbeachtet.
[2] 
Eine nicht bloß chronologische Nähe besteht zu: Œuvres de Descartes, ed. Charles Adam / Paul Tannery (Paris 1896–1910), 12 Bde. und Descartes, Correspondance, ed. Charles Adam / Gérard Milhaud (Paris 1936–1963), 8 Bde.
[3] 
In erster Auflage sind die Bände 10 und 11 der Gesamtzählung mit der Jahreszahl 1900 erschienen, Band 12 ist 1902 hinzugekommen; erst die deutlich erweiterte zweite Auflage von 1922 enthielt mit Band 13 auch die nötigen sachlichen Erläuterungen und Nachweise.
[4] 
Es handelt sich nahezu ausschließlich um studentische Manuskripte aus der Zeit nach 1770; das heißt es sind überwiegend Nachschriften der Vorlesungen des ordentlichen Professors, nicht des Privatdozenten.
[5] 
Gleichwohl sind zwei Ausgaben von Vorlesungen realisiert worden, die auf den letzten Leiter der Abteilung, Paul Menzer (1873–1960), zurückgehen: Menzer (1924), Beyer (1937).
[6] 
Lehmann (1961).
[7] 
Dazu Werner Stark (1993); un­ver­zichtbar ist auch Warda (1922).
[8] 
Weitere je unterschiedlich zu erklärende nicht bloß punktuelle, sondern auch konzeptionelle Schwächen sind nach 1945 in der Forschung freigelegt worden – für die Drucke und Teilbereiche des handschriftlichen Nachlasses durch Wilhelm Weischedel und Norbert Hinske (Weischedel 1956–1964), für die Nachschriften der Vorlesungen und weitere Teilbereiche des handschriftlichen Nachlasses durch Werner Stark (beginnend mit Stark (1984). Zu den grundsätzlichen Fragen nach Entstehung und Überlieferung der Nachschriften vgl. Band 25, S. liv ff).
[9] 
Kompensiert durch Warda (1919).
[10] 
Vgl. Band 14 der Akademie-Ausgabe, S. xliv, liv; das Problem wird kompensiert durch Stark (1993: 279ff.)
[11] 
Krallmann/Martin (1967), Martin (1967).
[12] 
Vgl. Lenders (1982).
[13] 
Vgl. ebd.
[14] 
Eine genaue Beschreibung der XML-Kodierung befindet sich in [4]. Vgl. auch [1].
[15] 
Alle Arbeiten wurden unter Linux vorgenommen. Der VIM-Editor ist eine Weiterentwicklung des in UNIX-Systemen stets vorhandenen, gut programmierbaren und für spezielle Probleme adaptierbaren – allerdings für den Standardbenutzer sicherlich unkomfortablen – VI-Editors.
[16] 
Vgl. Stark (1993: 227ff.) und Malter (1988).
[17] 
Holger et al. (1969).
[18] 
Wir wollen die Gelegenheit nutzen, der Berlin-Brandenburgischen Akademie unseren Dank für ihre Unterstützung auszusprechen.
[19] 
In primärer Anknüpfung an die in Band 24 veröffentlichten Texte der Logik-Vorlesungen sind von einer Trierer Arbeitsgruppe unter der Leitung von Norbert Hinske die Arbeiten an einem ge­druckten Kant-Index fortgeführt worden: Hinske (1989). Zu den Verfahrensweisen vgl. Delfosse (2000).
[20] 
Bei nur im Druck überlieferten Texten wurde aus arbeitsökonomischen Gründen auf die Zeilen­treue der Abschrift verzichtet.
[21] 
1987/88; beteiligt waren Bernd Ludwig und Werner Stark.
[22] 
Copyright Doris Land.
[23] 
Tatsächlich ist 1993ff. so verfahren worden; technische Probleme der Satzherstellung (externe Setzerei) verzöger­ten das Erscheinen des Bandes 25 bis in den Herbst des Jahres 1997.
[24] 
Stark (Hg.) (2004)
[25] 
Der Aufwand ist minimal: Wir verwenden einige, Ende der 1980er von Bernd Ludwig entwickelte Programme, sowie ws2html.exe von Andrew Stephenson.
[26] 
Durch einen Probesatz: Zwischen Verlag (de Gruyter) und wissenschaftlichem Editor sind nur wenige Transfer-Regeln nötig, um aus den inhaltlich abgeschlossenen Rohdaten einen fertigen Buchsatz herstellen zu können (externe Setzerei).
[27] 
Die Achillesferse eines derart von den überlieferten Handschriften als solchen abgelösten Vor­ge­hens war die Rechtfertigung respektive Begründung für die chronologische Ordnung. Klarheit sollte und konnte erst der oben erwähnte summarische Bericht zum Beschluss der Abteilung liefern. Dieser ist jedoch nie erschienen.
[28] 
Vgl. die Synopse zu Handbuch, Vorlesung und publizierter Anthropologie in pragmatischer Hinsicht unter [5].
[29] 
1756, 1757, 1765, 1775. – Sämtlich in Abteilung I der Ausgabe veröffentlicht
[30] 
Anhand vorliegender WordCruncher-Indizes der Rink-Edition einerseits und sämtlicher anderer Überlieferungen andererseits ist leicht feststellbar, dass einige Termini nur Rink eigen sind; z. B.: »Anordnung« (im Sinn von Ordnung, nicht Befehl), »durchweg«, »ehedeß«, »Erdgürtel«, »Polarkreis« (anstelle von Polarzirkel) und ebenso die Redewendung »in Betreff«.
[31] 
Nahtstelle ist: Band 9, S. 273 Z. 20 / 21. Der jüngere, nachgeschriebene Text übergibt an den älteren Kantischen. Die späteren Eingriffe des Herausgebers Rink ziehen sich durch das gesamte Werk.
[32] 
Zur Neuedition der Kritiken vgl. Gloyna (2007).
[33] 
Derzeit werden Daten des Bonner Korpus für die Neueditionen der kritischen Hauptwerke und des sogenannten Opus postumum, welche an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften vorgenommen werden, herangezogen.