Quantitativ-statistische Dramenanalyse: Welche Aussagekraft
haben Häufigkeitsverteilungen der Replikenlängen?

Abstract

The main task of this paper deals with the exploration of frequency distributions of speech lengths. Initial investigations aimed at authorship questions and tried to contribute seriously to the recently flared up Marlowe-Shakespeare debate. Distribution curves were compared and checked by chi-square tests relying on text corpora by Marlowe, Shakespeare, and other contemporaries. The all-all text curves showed congruence between Marlowe and Shakespeare, but also conformity between Marlowe/Shakespeare and their contemporaries. Single text vs. all text curve relations resulted in cross-overs when Marlowe texts fitted better into the Shakespeare canon up to 1599 and Titus Andronicus was closer to the Marlowe range. The overall result was more than clear. Frequency distributions of speech lengths could not contribute to authorship questions.

However, as an indication of style changes, the maxima values in their reduction from nine to four words opened up a totally different artistic and aesthetic concept which started around 1599 and marked the beginning of British drama in its own right after the process of incorporation of Roman plays and antique mythology. The stylistic shift certainly occurs in the wider context of rhetorical speeches and dramatic actions, as rhetoric and declamations receded and were replaced by refined acting using the spatial dimensions of the stage and speeding up events by shorter speeches. Whereas before monologues had to be seen within the framework of rhetorical devices that kept actors rambling and lamenting they now appeared as functional components of plays, adding to the aesthetic values of varietas and copia – or variety and abundance thus bearing witness to the process of commercialization and of cultural establishment of the literary genre drama at the turn of the century. All quantitative dates were derived from IDAP [1].

Das 21. Jahrhundert verzeichnet in seinem ersten Jahrzehnt ein verstärktes Interesse an der Frage der Shakespeare-Autorenschaft. Veröffentlichungen und Meinungen erreichten die Öffentlichkeit über das Internet, aber auch durch Buchpublikationen von bekannten und ausgewiesenen Autoren wie Frank Kermode, Joseph Sobran, Stephen Greenblatt, James Shapiro, Brenda James, William Rubinstein, Samuel Blumenfeld, Daryl Pinksen und Bastian Conrad, um nur einige zu nennen. [1] Es ist anzunehmen, dass der interessierte Leser der argumentativen Kraft und Stringenz der Darstellungen einigermaßen verwirrt gegenüberstehen muss, werden doch immer wieder Edward de Vere (17th Earl of Oxford), Sir Henry Neville, Christopher Marlowe und Shakespeare selbst als Autoren des dramatischen Werks apostrophiert.

Es ist hier nicht der Ort, die lange Liste der Argumente, die alle Anti-Stratfordianer gegen ›that merchant of Stratford‹ vorbringen, zu reproduzieren, aber bemerkenswert ist doch, dass alle Argumentationsansätze einen jeweils respektablen Ausgangspunkt besitzen. Edward de Vere wird von Sobran als der eigentliche Shakespeare angesehen, weil seine biographische Situation und sein gesellschaftlicher Hintergrund am besten mit den Inhalten und Strukturen der Sonette korrespondieren. Neville hat alle Vorteile und die Erziehung der adeligen Oberschicht sowie seine Kenntnis des Hofes, die ihn zu einem ausgezeichneten Kandidaten machen, nicht zu vergessen der von Brenda James dechiffrierte Code, der im Vorwort zu den Sonetten auf den wirklichen Dichter verweisen soll. Shapiro legt den Schwerpunkt seiner Argumentation auf den Schauspieler Shakespeare und zeigt, wie Innovationen in die Dramen Eingang finden, die aus Spannungen innerhalb der Theatertruppe erwachsen (Will Kempe) oder ästhetischen Überlegungen entspringen, die mit dem neu errichteten Globe Theatre zu tun haben. Die umfassendste Studie, die Marlowe als Autor der Shakespere-Texte sieht, ist als Wälzer von fast 700 Seiten in deutscher Sprache erschienen und stammt von Bastian Conrad, einem Neurologen aus Göttingen, der seit seiner Emeritierung in München lebt. Sein Hauptargument ist durchaus gewichtig: Obwohl Marlowe und Shakespeare gleich alt sind, gibt es keine frühen Schriften des jungen Shakespeare. Er beginnt nicht als Lehrling, sondern gleich als Meister seines Faches genau zu dem Zeitpunkt, als Marlowe 1593 offizieller Lesart zufolge zu Tode kommt. Zusammen genommen bilden die Textkorpora von Marlowe und Shakespeare nach seiner Meinung eine konsistente Einheit intellektueller Fähigkeiten und Entwicklungen, Argumente die nur kurz zuvor von Blumenfeld und Pinksen propagiert worden waren und fast auf jeder Marlowe-Homepage nachgelesen werden können.

[1] 

Angesichts der in sich stringenten Projektionen der hier wirkenden Koriphäen taucht natürlich die Frage auf, ob es einen wissenschaftlichen Bereich gibt, der auf unzweifelhafter Objektivität gründet, und in meiner Sicht könnten die Texte selbst in ihren quantitativen Dimensionen einen Ansatz anbieten. Dies führt uns zu Wilhelm Fucks zurück, den früheren Direktor des Kernforschungszentrums in Jülich, der in den späten sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts stilometrische Untersuchungen durchführen ließ, in denen die Häufigkeitsverteilung von Satzlängen verschiedener Autoren bestimmt wurde [2]. Eine Probe von 2000 Sätzen wurde als ausreichende Menge gesehen, um die Verteilungskurve des Gesamtwerks eines Autors zu erstellen. Statistisch gesehen kommen Wahlvorhersagen auch heute noch mit dieser Grundgesamtmenge an Daten aus. Fucks ordnete dann den Verteilungskurven verschiedener Autoren Distributionstypen zu, die in den Naturwissenschaften gebräuchlich sind. Er glaubte, dass Fragen der Autorenschaft in dieser Weise beantwortet werden könnten, da Goethe doch deutlich unterschieden war von Adenauer.

Als dieser Ansatz auf die quantitative Dramenanalyse und die Replikenlängen übertragen wurde, wurde aber sehr schnell klar, dass die Entsprechung von etwa 2000 Sätzen, nämlich die Menge von etwa drei Dramentexten keine Verteilungskurven zur Folge hatte, die den Stil eines Dramatikers repräsentierten. Im Gegenteil, nicht eine einzige Kurve eines Dramas wiederholte sich. Jede war für sich genommen einzigartig. Allerdings zeigte sich, dass die prozentuale Verteilungskurve des Gesamtwerks eines Autors durchaus aussagekräftig war, so zum Beispiel bei Shakespearetexten, die eine Verteilungskurve mit zwei Maxima zur Folge hatten. Da Statistiker davon ausgehen, dass möglicherweise zwei unterschiedliche Populationen die beiden Maxima hervorbrachten, wurde heuristisch eine Aufteilung der Texte in zwei Gruppen vorgenommen, deren jeweilige Verteilungskurve eindeutige Merkmale aufwies. Bereits die tabellarische Übersicht der Replikenlängen, die in den Texten am häufigsten Verwendung fanden, gliederte die Dramen in solche, die vor 1599 und ab 1599 entstanden [3].

[2] 

Dramen, entstanden vor 1599

Worte

ab 1599

Worte

The Two Gentlemen of Verona

9

Julius Caesar

4

The Taming of the Shrew

9

As You Like It

6

King Henry VI, 2

9

Hamlet

4

King Henry VI, 3

9

Twelfth Night

4

King Henry VI, 1

9

Troilus and Cressida

4

Titus Andronicus

9

Measure for Measure

4

Richard III

9

Othello

4

The Comedy of Errors

9

All’s Well That Ends Well

4

Love’s Labour’s Lost

9

Timon of Athens

4

Richard II

9

Macbeth

4

Romeo and Juliet

9

Antony and Cleopatra

4

A Midsummer Night’s Dream

9

Pericles

4

King John

9

Coriolanus

4

The Merchant of Venice

8

The Winter’s Tale

4

King Henry IV, 1

9

King Lear

4

The Merry Wives of Windsor

4

Cymbeline

4

King Henry IV, 2

6

The Tempest

4

Much Ado About Nothing

6

King Henry VIII

3 / 4

King Henry V

6

The Two Noble Kinsmen

4

[3] 

Tabelle 1: häufigste Längen von Repliken vor und ab 1599 (Auflistung entsprechend der vermuteten Entstehungszeit,
siehe Shakespeare Handbuch [4])

[4] 

1599 war das Jahr, in dem das Globe Theatre in Southwark errichtet wurde, und es ist auffällig, dass die am häufigsten verwendete Replikenlänge von 8, 9 und unmittelbar vor 1559 6 Worten auf die Replikenlänge 4 ab 1599 zurückging. (vgl. Abb. 1 bis 3). Abb. 3 ist als Kombination der Abbildungen 1 und 2 beachtenswert. Die grau unterlegte Fläche unterhalb der Kurven bezeichnet die Menge an Repliken, die von rechts nach links gewandert sind. Hier manifestieren sich künstlerische und ästhetische Entwicklungen, die durch einen Rückgang rhetorischer Mittel und deklamatorischer Handlung gekennzeichnet sind und Wert auf ein schnelleres Agieren auf der Bühne mit kürzeren Repliken legen. Programmatisch läßt Shakespeare seine Figur Hamlet zu der eingetroffenen Schauspieltruppe sagen: »Suit the action to the word, the word to the action« (III, ii). Dies entsprach um so mehr seinem künstlerischen Empfinden, da er seit 1599 auch Miteigentümer des Globe Theatre war und ein kommerzielles Interesse am Erfolg seiner Stücke vorhanden gewesen sein dürfte, während die Spielorte vor dem Bau des Globe Theatre stark variierten und unterschiedliche Anforderungen an Theaterstücke bestanden. Ausführlichere Hintergründe finden sich im Shakespeare Jahrbuch 2005.

[5] 

Abb. 1 Verteilungskurven ab 1599

Abb 2 Verteilungskurven vor 1599

Abb. 3 Linksverlagerung

[6] 

Weitere Untersuchungen des Dramenkorpus’ Shakespeares machten deutlich, dass Affinitäten und Ähnlichkeiten von Texten über die Häufigkeitsverteilungen von Replikenlängen bestimmt werden konnten, so zum Beispiel, dass Texte in etwa dem gleichen Zeitraum geschrieben wurden oder ein Genre repräsentierten. Die Texte unmittelbar vor 1599 mit der am häufigsten verwendeten Replikenlänge von 6 Worten wiesen auch deutlich erhöhte Werte bei 4 und 9 Worten Länge auf, spiegelten also die alte Norm von 9 Worten vor 1599 und die neue Norm von 4 Worten ab 1599. [5] Im Fall von As You Like It (siehe Auflistung der Dramen oben) ist sogar die Datierungsmöglichkeit mithilfe der Häufigkeitsverteilung angedeutet, denn inzwischen weist sogar Wikipedia als Entstehungszeit das Jahr 1599 aus.

[7] 

Was die Frage der Autorenschaft angeht, werden Häufigkeitsverteilungen der Replikenlängen einzelner Texte kaum weiterhelfen, und es ist herauszufinden, wie es mit Verteilungskurven aussieht, die aus dem Gesamtwerk eines Dramatikers oder aus einer größeren Anzahl seiner Texte resultieren. Mögliche Übereinstimmungen im Kurvenverlauf, die auf eine Identität der Autoren hinweisen, bedürfen dann jedoch dringend der Ergänzung durch weitere Texte der gleichen Epoche, um auszuschließen, dass allgemein gültige stilistische Merkmale der Zeit abgebildet werden.

Ein solches Vorhaben ist ohne eine Quelle, die entsprechende Texte bereithält, nicht durchführbar. Aus diesem Grund ist die Homepage Shakespeare Statistics über das dramatische Werk Shakespeares hinaus um circa einhundertundzwanzig Texte des elisabethanischen und jakobinischen Theaters sowie zwanzig Texte aus anderen Epochen ergänzt worden. Weitere Texte werden nach und nach für das Internet Drama Analysis Programme (IDAP) konditioniert, analysiert und unter der o.a. URL publiziert. Was die von Conrad aufgeworfene Frage der Autorenschaft der Shakespeare- und Marlowetexte angeht, enthält Shakespeare Statistics quantitative Daten der folgenden Texte Marlowes:

[8] 

Tamburlaine the Great, part 1 (1587)
Tamburlaine the Great, part 2 (1586/7)
The Jew of Malta, (1589/1590)
Massacre at Paris, (1593)
The Tragedy of Dido Queene of Carthage, (1594)
The Tragicall History of the Life and Death of Doctor Faustus, (1594)

[9] 

Tabelle 2: ausgewertete Marlowe-Dramen

[10] 

Nach der Auswahl eines Textes öffnet sich ein Menu, aus dem im Bereich Tabellen der Link Repliken Statistik angeklickt wird. Um die Häufigkeitsverteilung der Replikenlängen zu erhalten, wird die vierte Spalte (im Beispiel Richard III) bei gleichzeitigem Drücken der STRG-Taste markiert und die Werte werden in ein Tabellenkalkulationsprogramm kopiert.

[11] 

--- --- ---

[12] 

Tabelle 3: Auszug aus Programmdaten

[13] 

Diese Prozedur wird für alle in Frage kommenden Texte wiederholt. Der nächste Schritt besteht darin, für die Replikenlängen von 1 bis 20 die Anzahl ihres Vorkommens auszählen zu lassen. Die aufaddierten Werte aller Häufigkeiten ergeben die Gesamthäufigkeit, woraus wiederum die prozentuale Häufigkeit berechnet werden kann. Damit sind Vergleiche von Texten unterschiedlicher Länge möglich.

[14] 

Versuchsweise wurden die Häufigkeitsverteilungen der Replikenlängen sämtlicher Dramen Shakespeares bis 1599 und des Gesamtwerks Marlowes auf Ähnlichkeiten hin untersucht. (siehe Abb. 4 und 5)

[15] 

Abb. 4: Verteilung bei Marlowe

Abb. 5: Shakespeare-
Marlowe im Vergleich

[16] 

Abb. 4 reproduziert die Marlowekurve allein, während Abb. 5 eine Kombination der beiden Kurven darstellt. Eine Ähnlichkeit der beiden Kurven ist unübersehbar. Die Replikenlänge von 4 Worten, die ab 1599 dominant wird, ist bei beiden bereits angedeutet und das Maximum bei 8 und 9 Worten Länge gilt für beide Kurven. Eine weitere unübersehbare Anhebung zeigt sich bei den Werten 15, 16 und 17. Die Grafik basiert auf den nachfolgenden Prozentzahlen für die Replikenlängen in Shakespeares Dramen bis 1599 und allen bekannten Marlowedramen:

[17] 

Replikenlänge

Marlowe-gesamt

Shak-bis 1599

0

0

0,0

1

0,7

1,5

2

2,3

2,8

3

3,8

4,5

4

5,9

6,7

5

5,5

5,6

6

6,8

6,7

7

10,1

7,5

8

10,9

11,3

9

10,1

12,3

10

6,1

7,0

11

2,6

3,1

12

2,2

2,8

13

3,6

3,1

14

4,6

3,3

15

7,5

4,4

16

4,9

4,6

17

5,4

4,4

18

3,7

3,9

19

2,4

2,5

20

1,1

1,9

[18] 

Tabelle 4: prozentuale Verteilungskurven

[19] 

Der Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstest lieferte für die beiden Kurven das Ergebnis 0,9982, wobei der Anpassungsgütewert 1.0 völlige Identität der Kurven beinhaltet.

[20] 

Da Marlowe in seiner angenommenen Lebensspanne keine Komödien schrieb, greift die nachfolgende Grafik nur auf Shakespeares Historien und Tragödien bis ca 1595 zurück. Zusammen mit Marlowes Texten ergeben sich Kurven, die besonders bei den Replikenlängen von 15, 16 und 17 Worten noch enger beeinander liegen. (Abb. 6)

[21] 

Abb. 6: Verteilungen Marlowe und früher Shakespeare

Die Grafik basiert auf den folgenden Prozentwerten:

[22] 

Repliken-längen

Shakespeare bis 1595

Marlowe

0

0

0

1

1,2

0,7

2

2,2

2,3

3

3,5

3,8

4

5,5

5,9

5

4,2

5,5

6

5,5

6,8

7

7,8

10,1

8

13,4

10,9

9

14,8

10,1

10

7,2

6,1

11

1,4

2,6

12

1,5

2,2

13

2,0

3,6

14

3,3

4,6

15

5,5

7,5

16

6,0

4,9

17

5,4

5,4

18

4,5

3,7

19

3,2

2,4

20

1,7

1,1

[23] 

Tabelle 5: prozentuale Verteilungskurven früher Shakespeare u. Marlowe

[24] 

Chi-Quadrat berechnete einen Anpassungsgrad von 0,9884

[25] 

[26] 

Abb. 7: ungleiche Verteilungen bei Marlowe und Heywood

[27] 

Der in Abb. 7 enthaltene Vergleich zwischen Marlowes Texten und den nachfolgenden Texten von Thomas Heywood (1570s–1641) The Fair Maid of the West or a Girle Worth Gold (gedruckt 1631), The Royall King and the Loyall Subject (aufgeführt um 1600), A Woman Killed with Kindness (aufgeführt 1603), und The English Traveller ergibt hingegen einen völligen Gegensatz, der im Chi-Quadrat-Test mit dem Wert 0,0303 ausgedrückt ist.

[28] 

Thomas Middleton (18 April 1580 – 1627) wies einen noch niedrigeren Chi-Quadrat-Testwert auf: 0,0266. Berücksichtigt wurden seine frühen Dramen:

[29] 

The Family of Love, (c. 1602/03)
The Honest Whore, (c. 1604)
A Yorkshire Tragedy, part 1 (1605)
A Trick to Catch the Old one, (1606)
A Chaste Maid in Cheapside, (1613)
The Puritan, (1606)
The Revenger’s Tragedy, (1606/07)

[30] 

Tabelle 6: ausgewertete Middleton-Dramen

[31] 

Die entsprechenden Kurven ergaben den eindeutigen Beleg für die Nicht-Identität der Autoren der beiden Textkorpora. (siehe Abb. 8)

[32] 

Abb. 8: ungleiche Verteilungen bei Marlowe und Middleton

[33] 

Hingegen gibt die Grafik Informationen über ästhetische Entwicklungen, da der Maximumwert von 4 Worten sich von Marlowes 8 oder 9 Worten klar unterscheidet, und auch die typischen Marlowe-Hebungen bei 15, 16 und 17 Worten fallen bei Middleton wesentlich flacher aus. Die Gesamtfläche unterhalb der Spitzenwerte von acht oder neun Worten bezeichnet die Menge an Repliken, die in Heywoods und Middletons Dramen einer Kürzung unterlagen. Die ästhetischen Wirkungen sind die gleichen, die zuvor bezüglich der Dramen Shakespeares ab 1599 beschrieben worden sind. (s. Abb. 1–3 und [3]).

Der nächste Schritt greift auf Texte von Zeitgenossen Marlowes zurück mit der spannenden Erwartung, dass wiederum Ungleichheiten zutage treten, was dem Vergleich zwischen dem frühen Shakespeare und Marlowe einen besonderen Stellenwert verschafft hätte, müsste man doch von der Identität der beiden Autoren ausgehen. Gleiche oder ähnliche Kurven zwischen den Marlowetexten und seinen Mitstreitern würden hingegen auf allgemein gültige stilistische Eigenheiten des elisabethanischen Theaters in den achtziger und neunziger Jahren hindeuten. Tatsächlich sind die Texte, die bisher über die Homepage Shakespeare Statistics verfügbar sind, nicht weit von der Marlowe-Kurve entfernt, wie Abb. 9 belegt.

[34] 

[35] 

Abb. 9: Verteilungen bei Marlowe u. Zeitgenossen

[36] 

Es handelt sich bei den Texten um: Dido (1583) und Ulysses Redux (1592) von William Gager, Gorboduc (1561) von Thomas Sackville und Arden of Faversham (1592) von einem unbekannten Autor, Ralph Royster Doyster (1553–54?) von Nicholas Udall, The Spanish Tragedy (1594) von Thomas Kyd, The Arraginment of Paris, (1581?, 1584) von George Peele und The Old Wives’ Tale (1595), ebenfalls von George Peele und Edward III. Edward II, gleichermaßen von unbekannter Herkunft wurde ausgelassen, weil es sich durchaus um einen Text Marlowes handeln könnte.

[37] 

Der Chi-Quadrat-Anpassungswert ergab 0,9990, womit wiederum die Repäsentation gleicher stilistischer Merkmale belegt ist, obwohl die Texte unterschiedlichen Populationen zugehören.

[38] 

Zugegebenermaßen ist die Textbasis nicht so groß, wie man es sich hätte wünschen können, aber die Annahme, dass Häufigkeitsverteilungen von Replikenlängen des Gesamtwerks zweier Autoren auch bei fast identischer Kurve nicht die Identität der Dramatiker belegen, wie der Vergleich des frühen Shakespeares und Marlowes zeigte, ist eindeutig bestätigt.

[39] 

Noch überzeugender wird dieser Befund, wenn alle drei Textkorpora (Zeitgenossen, Marlowe, Shakespeare) in die Grafik aufgenommen werden. (s. Abb. 10)

[40] 

[41] 

Abb. 10: Verteilungen bei Marlowe, Shakespeare u. Zeitgenossen

[42] 

Der methodischen Präzision wegen soll im Anschluß an die Frage nach dem Verhältnis von Gesamtkorpora die Frage aufgeworfen werden, wie sich Einzeltexte in ihrer prozentualen Häufigkeitsverteilung der Replikenlängen zur Gesamtkurve von Autoren verhalten. Abb. 11 vergleicht 2 Henry VI mit der Marlowe-Kurve, und es überrascht nicht, daß der Chi-Quadrat-Test einen Wert von 0,9826 ergibt.

[43] 

[44] 

Abb. 11: Verteilung bei Marlowe und 2 Henry VI

[45] 

[46] 

Abb. 12: Verteilung bei Marlowe und Arden of Faversham

[47] 

Abb. 12 nimmt das anonyme Drama Arden of Faversham zusammen mit der Marlowe-Kurve auf. Hier fällt der Chi-Quadrat-Wert auf 0,6146.

In dieser Art und Weise könnten unzählige Grafiken zur Herstellung eines visuellen Eindrucks der Distanz oder Nähe von Kurven produziert werden. Weniger Platz wird benötigt, wenn die Chi-Quadrat-Testwerte herangezogen werden, um jeden einzelnen Dramatext in seiner Relation zum Gesamtwerk Marlowes und des frühen Shakespeares zu bewerten. Die Reihenfolge der Texte entspricht ihrer mutmaßlichen Entstehungszeit, wobei als Quelle Wells and Taylors William Shakespeare. A Textual Companion [6] herangezogen wurde.

[48] 

Nr.

Titel

χ2 Marlowe

χ2 Shakespeare

1

The Two Gentlemen of Verona

0,2769

0,9840

2

The Taming of the Shrew

0,7460

0,9999

3

2 Henry VI

0,9769

0,9966

4

3 Henry VI

0,0195

0,0360

5

1 Henry VI

0,5414

0,0354

6

Titus Andronicus

0,9046

0,5871

7

Richard III

0,7398

0,9977

8

The Comedy of Errors

0,0335

0,6153

9

Love’s Labour’s Lost

0,1802

0,9180

10

Richard II

0,9135

0,9706

11

Romeo and Juliet

0,0985

0,9796

12

A Midsummer Night’s Dream

0,0089

0,9361

13

King John

0,8719

0,9830

14

The Merchant of Venice

0,8685

0,9710

15

1 Henry IV

0,0372

0,9475

16

The Merry Wives of Windsor

0,0829

0,8098

17

2 Henry IV

0,2381

0,6692

18

Much Ado About Nothing

0,5670

0,9845

19

Henry V

0,0780

0,8865

[49] 

Tabelle 7: Chiquadrattest-Vergleich der S.-Einzeltexte mit Textgruppen

[50] 

Entsprechend wurde auch jedes Drama Marlowes in seiner Chi-Quadrat-Relation zum Gesamtwerk Marlowes und Shakespeares errechnet:

[51] 

Nr

Titel

χ2 Marlowe

χ2 Shakespeare

1

Tamburlaine part 1

0,7707

0,0074

2

The Jew of Malta

0,9482

0,9992

3

Massacre at Paris

0,9293

0,9321

4

Dido Queen of Carthage

0,1307

0,0199

5

Tamburlaine part 2

0,6392

0,0272

6

Dr. Faustus

0,8968

0,9785

[52] 

Tabelle 8: Chiquadrattest-Vergleich der M.-Einzeltexte mit Textgruppen

[53] 

Die erste nennenswerte Beobachtung ist, dass ein Einzeltext sich nicht besonders gut in die Verteilungskurve des Gesamtkorpus eines Autors einfügen mag. Dies gilt für Dido Queen (Marlowe), aber in geringerem Maße auch für 3 Henry VI und 1 Henry VI (Shakespeare). Da die Gesamtkurven beider Autoren sehr ähnlich waren, sind die Werte in der jeweils anderen Gruppe oft im gleichen Bereich. Eine andere Wirkung besteht in sogenannten Cross-overs, so scheinen zum Beispiel Dr. Faustus, The Jew of Malta und Massacre at Paris besser in die Shakespeare-Gruppe zu passen, und Titus Andronicus ist den Marlowe-Texten näher. Daraus zu folgern, dass Marlowe der eigentliche Shakespeare ist, ist sehr wagemutig angesichts des zuvor herausgearbeiteten Befunds, dass die Gesamtkurven allgemeine stilistische Merkmale der Zeit reproduzieren. Bestätigt wird allerdings, dass ein großes Maß an stilistischer Variabilität innerhalb der Werke beider Autoren besteht.

[54] 

Zur Ausgangsfrage zurückkehrend, was Häufigkeitsverteilungen von Replikenlängen in quantitativ-statistischen Verfahren leisten können, ist durch die Aufteilung der Shakespeare-Dramen in zwei Gruppen und durch die Middleton und Heywood-Grafiken belegt, dass im Renaissancedrama eine wesentliche stilistische Verlagerung zu kürzeren Repliken stattfand und somit ein ästhetischer Wandel vollzogen wurde. Monologische Vermittlung als Teil der Handlung wurde durch reale Bewegung auf der Bühne abgelöst, wodurch die verbliebenen Monologe eine neue funktionale Qualität gewannen. In den Shakespeare-Textgruppen konnte das Jahr 1599 als Wendepunkt abgelesen werden. Im Folgenden sollen zuerst die Maximawerte der Häufigkeitsverteilungskurven dramatischer Texte, die zwischen 1580 und 1599 entstanden sind, aus IDAP ausgelesen und ausgewertet werden (Spalte 4), bevor die durchschnittlichen Längen von Repliken (Spalte 5), die Anzahl der Konfigurationen (Spalte 6), die durchschnittliche Konfigurationsdauer in der Anzahl der Repliken (Spalte 7) und die in Spalte 8 aufgeführte Konfigurationsdichte zur Sprache kommen.

[55] 

Autor

Dramentext

Jahr

Sp.4

Sp.5

Sp.6

Sp.7

Sp.8

Kyd

The Spanish Tragedy, or Hieronimo

1582

7

30,49

72

10,33

0,0870

Peele/Gager

Dido

1583

7

75,51

28

5,36

0,0800

Lyly

Campaspe

1584

10

22,04

24

23,75

0,1580

Lyly

Sapho and Phao

1584

6

25,47

21

26,19

0,1800

Peele/Gager

The Arraignment of Paris

1584

8

31,16

29

11,31

0,1360

Lyly

Gallathea

1585

8

27,41

35

13,80

0,1250

Marlowe

Tamburlaine the Great

1587

15

44,26

47

8,30

0,1190

Marlowe

Dido, Queen of Carthage

1587

8

39,36

35

9,86

0,3000

Marlowe

Tamburlaine the Great, part 2

1588

15

47,61

40

9,23

0,1460

Peele/Gager

The Love of King David and fair B.

1588

16

49,3

58

5,17

0,1200

Early Shake.

Titus Andronicus

1588

9

35,30

64

8,81

0,1710

anon

The Troublesome Reign of King John

1589

17

42,84

75

7,37

0,1010

Greene

History of Friar Bacon and Friar B.

1589

4

29,41

41

13,59

0,1540

Marlowe

The Jew of Malta

1589

9

21,24

70

12,14

0,1210

Greene

The Comicall Historie of Alphonsus

1590

8

59,22

36

6,94

0,1380

Lodge

A Looking Glass for London and E.

1590

8

36,56

53

9,98

0,1140

Greene

The Battle of Alcazar

1591

16

74,02

31

4,74

0,1130

Lyly

Midas

1591

5

31,13

29

17,38

0,1410

Early Shake.

Henry VI, Part 1

1591

8

31,20

94

7,02

0,0670

Early Shake.

Henry VI, Part 2

1591

9

31,00

99

8,02

0,0770

Early Shake.

Henry VI, Part 3

1591

9

29,00

84

9,61

0,0920

Early Shake.

The Taming of the Shrew

1591

9

23,02

89

10,02

0,1580

Early Shake.

Richard III

1591

9

26,17

111

9,81

0,0550

Early Shake.

The Two Gentlemen of Verona

1591

9

19,82

40

21,43

0,1570

anon

Arden of Faversham

1592

8

26,7

64

11,59

0,2150

Gager

Ulysses Redux

1592

9

62,79

33

9,06

0,2060

Greene

The Historie of Orlando Furioso

1592

4

30,69

35

10,09

0,2200

Marlowe

Life and Death of Doctor Faustus

1592

9

28,12

39

10,46

0,0840

Marlowe

Edward the Second, King of England

1592

9

22,01

81

11,58

0,1120

Munday

Sir Thomas More

1592

4

27,14

79

9,13

0,0820

Marlowe

The Massacre at Paris

1593

4

29,96

69

5,03

0,0850

Lyly

Mother Bombie

1594

7

19,06

52

16,81

0,1910

Early Shake.

Romeo and Juliet

1594

9

28,71

83

10,13

0,1020

Early Shake.

The Comedy of Errors

1594

9

23,92

40

15,10

0,2040

Peele

The Old Wives’ Tale

1595

6

26,76

56

5,09

0,2300

Early Shake.

Love’s Labour’s Lost

1595

9

20,24

42

24,95

0,2920

Early Shake.

King Richard the Second

1595

9

39,63

66

8,38

0,1220

Early Shake.

The Life and Death of King John

1595

9

37,44

59

9,29

0,1330

anon

The Reign of King Edward the Third

1596

17

45,27

69

6,22

0,0940

Early Shake.

Henry IV, Part 2

1596

6

28,74

72

12,69

0,0820

Early Shake.

The Merchant of Venice

1596

8

33,05

58

10,81

0,1470

Early Shake.

A Midsummer Night’s Dream

1596

9

32,53

63

7,90

0,1740

Heywood,Th.

The Fair Maid of the West

1597

4

16,85

65

13,38

0,1360

Early Shake.

Henry IV, Part 1

1597

9

31,24

68

11,38

0,1060

Early Shake.

The Merry Wives of Windsor

1597

4

20,94

92

11,05

0,1820

Greene

The Scottish History of James IV

1598

8

28,44

57

12,26

0,0810

Jonson

Every Man in His Humour

1598

5

23,2

73

15,04

0,2750

Munday

Downfall of Robert Earl of Huntington

1598

8

25,2

100

8,09

0,1170

Munday

Death of Robert Earl of Huntington

1598

8

27,8

88

9,10

0,1270

Early Shake.

Much Ado About Nothing

1598

6

21,53

53

18,34

0,1770

[56] 

Tabelle 9: Dramentexte vor 1600 mit ausgewählten statistischen Daten

[57] 

Nimmt man eine Häufigkeitsverteilung der Maximawerte vor, die ja wiederum den höchsten Wert von Häufigkeitsverteilungen einzelner Texte darstellen, so ergibt sich eine für den Zeitraum von 1580 bis 1599 typische Kurve aus folgenden Werten mit der Replikenlänge in Spalte 1 und der Anzahl in Spalte 2: (siehe Abb. 13)

[58] 

Sp. 1

Sp. 2

1

0

2

0

3

0

4

6

5

2

6

4

7

3

8

11

9

17

10

1

11

0

12

0

13

0

14

0

15

2

16

2

17

2

18

0

Tab. 12: Daten zu Abb. 14

Abb. 14: Auswertung (1599–1619)

[59] 

Den gleichen Vorgang wiederholen wir für die in IDAP vorhandenen Texte aus dem Zeitraum vom 1599 bis 1619.

[60] 

Author

Dramentitel

Jahr

Sp.4

Sp.5

Sp.6

Sp.7

Sp.8

Dekker

Shoemaker s Holiday

1599

4

23,73

75

10,43

0,1340

Jonson

Everyman Out Of Their Humour

1599

6

23,27

101

15,59

0,1400

Marston

Antonio And Mellida

1599

7

27,93

37

13,76

0,3100

Shakespeare

Julius Caesar

1599

4

24,14

66

12,06

0,0940

Shakespeare

As You Like It

1599

6

26,42

53

15,30

0,1480

Shakespeare

Henry V

1599

6

35,18

71

10,31

0,0870

anon

The Bloody Banquet

1600

9

19,37

63

11,54

0,1130

Jonson

Cynthia s Revels

1600

4

25,1

62

21,71

0,1520

Jonson

Poetaster

1601

4

25

62

18,24

0,1560

Shakespeare

Twelfth Night

1601

4

21,20

70

13,19

0,1970

anon

Blurt; Master Constable

1602

4

24,1

65

10,74

0,1360

Chettle

Hoffman Or A Revenge

1602

4

27,76

54

12,89

0,2050

Shakespeare

Hamlet

1602

4

26,21

85

13,36

0,1080

Shakespeare

Troilus And Cressida

1602

4

22,57

95

11,98

0,1130

Heywood, Thomas

A Woman Killed With Kindness

1603

4

29,51

60

9,27

0,1430

Jonson

Sejanus

1603

4

26,92

79

12,56

0,1110

Shakespeare

Macbeth

1603

4

25,33

72

9,07

0,0980

Shakespeare

Measure For Measure

1603

4

23,93

70

12,76

0,1350

Shakespeare

Anthony And Cleopatra

1603

4

20,31

124

9,47

0,0680

Shakespeare

Othello

1603

4

22,05

76

15,53

0,1530

Marston

The Dutch Courtezan

1604

6

22,97

63

12,35

0,1810

Middleton

The Honest Whore

1604

4

19,81

78

15,18

0,1350

Shakespeare

Alls Well That Ends Well

1604

4

24,22

65

14,51

0,1370

Chapman

The Gentleman Usher

1605

9

21,21

57

17,33

0,2090

Chapman

Bussy D’amboy

1605

4

34,74

60

10,42

0,1950

Heywood,Thomas

Wise Woman Of Hoxton

1605

5

20,09

75

11,73

0,1820

Shakespeare

Coriolanus

1605

4

24,36

95

11,55

0,0800

Jonson

Volpone

1606

4

18,72

75

18,73

0,1730

Middleton

Revenger s Tragedy

1606

4

17,76

61

18,15

0,1250

Shakespeare

King Lear

1606

4

23,9

86

12,41

0,1430

Middleton

A Trick To Catch The Old One

1607

4

17,82

78

13,03

0,1090

Middleton

The Puritan

1607

7

21,57

60

14,17

0,1670

Middleton

The Five Gallants

1607

4

14,72

87

15,55

0,1560

Middleton

The Roaring Girl; or

1607

5

18,68

59

21,61

0,1230

Shakespeare

Pericles

1607

4

28,18

64

9,89

0,0740

Beaumont / Fletcher

Faithful Shepherdess

1608

16

53,78

52

7,12

0,2600

Middleton

The Family Of Love

1608

7

28,3

58

12,40

0,2180

Middleton

The Yorkshire Tragedy

1608

4

25,39

29

7,69

0,1740

Shakespeare

Timon Of Athens

1608

4

22,57

67

11,79

0,0870

Beaumont / Fletcher

Philaster

1609

4

24,52

72

13,39

0,2130

Jonson

Epicoene

1609

4

19,89

68

20,84

0,3060

Middleton

The Witch

1609

4

24,22

75

8,83

0,1230

Shakespeare

Cymbeline

1609

4

31,34

67

12,82

0,0800

Fletcher

Monsieur Thomas

1610

4

17,93

87

13,34

,1330

Jonson

The Alchemist

1610

4

15,77

74

22,81

0,1910

Fletcher

The Woman s Prize

1611

4

17,83

66

19,77

0,1580

Jonson

Catiline

1611

4

29,65

42

23,02

0,1610

Middleton

The 2nd Maidens Tragedy

1611

4

28,72

62

10,42

0,1240

Middleton

No Wit No Help Like a

1611

4

20,43

68

18,37

0,1740

Shakespeare

The Tempest

1611

4

25,12

36

17,83

0,2020

Shakespeare

The Winters Tale

1611

4

33,33

56

13,23

0,1430

Tourneur

The Atheist‘s Tragedy

1611

3

25,66

98

8,00

0,1730

Webster

The Duchess Of Malfi

1612

4

21,23

78

14,28

0,1060

Chapman

The Revenge

1613

4

31,7

56

11,02

0,1470

Fletcher

Tragedy of Bonduca

1613

4

19,5

73

14,12

0,2100

Middleton

Chaste Maid Cheapside

1613

4

15,93

95

11,06

0,1050

Shakespeare

2 Noble Kinsmen

1613

4

27,9

52

15,98

0,1110

Shakespeare

Henry VIII

1613

4

32,71

63

11,22

0,0810

anon

The Thracian Wonder

1614

4

27,09

76

8,49

0,1540

Beaumont / Fletcher

Wit Without Money

1614

4

18,16

74

14,31

0,2000

Jonson

Bartholomew Fair

1614

6

24,55

44

33,48

0,1400

Middleton

The Old Law

1614

9

21,67

62

16,56

0,1810

Middleton

Hengist King Of Kent

1615

4

22,9

76

11,92

0,1090

Middleton

The Nice Valour

1615

5

19,63

66

11,14

0,1420

Middleton

A Fair Quarrel

1615

5

19,82

50

20,04

0,1540

Jonson

The Devil Is An Ass

1616

4

22,68

40

29,60

0,1740

Beaumont / Fletcher

The Maids Tragedy

1619

4

22,38

53

18,30

0,1770

Beaumont / Fletcher

A King No King

1619

4

21,92

55

21,05

0,1630

Beaumont / Fletcher

Laws Of Candy

1619

6

21,68

44

16,73

0,3450

Fletcher

Custom Country

1619

4

25,45

89

10,17

0,1310

Fletcher

Humorous Lieutenant

1619

4

17,56

84

16,42

0,1210

Fletcher

The False One

1619

4

30,78

55

11,49

0,2010

Fletcher

The Island Princesse

1619

5

26,37

63

13,63

0,1270

[61] 

Tabelle 11: Dramentexte ab 1599 mit ausgewählten statistischen Daten

[62] 

Hieraus resultiert eine für den Zeitraum von 1599 bis 1619 typische Kurve aus folgenden Werten mit der Replikenlänge in Spalte 1 und der Anzahl in Spalte 2 (siehe Abb. 14), die zum Vergleich die größenmäßig angepasste Häufigkeitsverteilung der Maxima des Zeitabschnitts von 1580 bis 1589 noch einmal abbildet.

[63] 

1

0

2

0

3

1

4

53

5

5

6

4

7

2

8

0

9

2

10

0

11

0

12

0

13

0

14

0

15

0

16

1

17

0

18

0

Tab. 12: Daten zu Abb. 14

Abb. 14: Auswertung (1599–1619)

[64] 

Die in Abb. 15 dargestellten Zeitpunkte der Entstehung bzw. Veröffentlichung der Dramen (x-Achse) und die in der Vertikalen (y-Achse) abgebildeten Maxima der Häufigkeitsverteilungen der Replikenlängen geben einen unverwechselbaren Eindruck des Stilwandels um 1600 wider.

[65] 

[66] 

Abb. 15: Dominanz der Replikenlänge 4 ab ca 1600

[67] 

Es ist logisch, dass der stilistische Wandel, der mit der Verkürzung der Replikenlängen, die in den Dramen am häufigsten benutzt werden, einhergeht, sich auch in den durchschnittlichen Replikenlängen zeigen muss. So geht der Mittelwert der mittleren Replikenlängen jener Texte, die sich in der linken Gruppe der Abb. 15 befinden, von einer Replikenlänge von 32,81 Worten auf 23,93 Worte in der rechten Gruppe zurück, immerhin ein Rückgang von 27 %.

Die in den Tabellen 9 und 11 enthaltenen Spalten 6 enthalten die von IDAP ausgewertete Anzahl der Konfigurationen in den jeweiligen Dramen, und man kann davon ausgehen, dass eine steigende Anzahl von Konfigurationen durch eine zunehmende künstlerische Komplexität der Dramen bedingt sein kann. Hier steigt der Mittelwert der genannten Texte von 59,2 in der linken Hälfte auf 67,5 in der rechten Hälfte von Abb. 15. Allerdings spielt auch das Kriterium der Länge eine Rolle, je länger ein Text, desto höher mag die Anzahl der Konfigurationen sein. Genrebedingte Konventionen sind gleichermaßen zu bedenken. Zum Beispiel bewirken mehrfache kurze Intrusionen von Dienern, Aufpassern und dergleichen in der Komödie innerhalb weniger Repliken ein starkes Ansteigen der Konfigurationsanzahl. Eliminiert man die Länge, indem der Quotient aus Konfigurationsanzahl und Anzahl der Gesamtrepliken eines Textes gebildet wird, erhält man die in Spalte 7 der Tabellen 9 und 11 angezeigte durchschnittliche Dauer einer Konfiguration in der Anzahl ihrer Repliken. Hier ist nun ein Anwachsen der mittleren Konfigurationsdauer von 11,3 im linken Abschnitt von Abb. 15 auf 14,4 im rechten Abschnitt festzustellen. Wenn aber jede Konfiguration im Durchschnitt um 3 Repliken länger ist, so wird auch der jeweilige semantische Tenor einer Intensivierung unterzogen. Dies gilt um so mehr, da auch die Konfigurationsdichte nur gering zunimmt, und zwar von 0,1417 auf 0,1535. Gemäß Definition [7] besteht die Konfigurationsdichte in einer Matrix, die horizontal das dramatische Personal abbildet und vertikal die Abfolge der Repliken, aus dem Verhältnis der besetzten Stellen zur Gesamtzahl an besetzbaren Stellen. Im anstehenden Beispiel sind also vor 1599 durchschnittlich 14,17 % des Personals auf der Bühne, ab 1599 hingegen 15,35 %. Da die Konfigurationsdichte sehr stark von typologischen Merkmalen abhängt mit sehr geringen Dichten bei Historien und hohen Dichten bei Komödien, kann der leichte Anstieg auf eine verminderte Zahl an Historien ab 1599 oder eine leicht höhere Zahl an Komödien zurückgeführt werden. Das mag an der Zufälligkeit der zur Verfügung stehenden und ausgewerteten Texte liegen, aber auch an der im Großen und Ganzen gleichen typologischen Durchmischung der Texte. Unter diesen Voraussetzungen ist aber dann die reduzierte Replikenlänge innerhalb der Gesamtverteilung der Längen zusammen mit der Verlängerung der Konfigurationsdauer umso gewichtiger, stellt sich doch bei erhöhtem dramatischen Tempo eine völlig neue Intensiät und Ökonomie der Informationsvergabe ein.

[68] 

• Was also summa summarum festzuhalten bleibt, ist, dass Häufigkeitsverteilungen von Replikenlängen nicht wesentlich zur Klärung von Autorenschaften beitragen können.

[69] 

• Sehr wohl aber werden übergreifende stilistische Entwicklungen, die mit der Verkürzung von Replikenlängen zu tun haben, abgebildet und beweisen damit eindeutig die ästhetischen und künstlerischen Neuorientierungen, die sich am Ende des elisabethanischen Zeitalters unter dem Aspekt einer Kommerzialisierung und kulturellen Etablierung des literarischen Genres Drama einstellen. Ausgehend von Mysterien und Moralitäten des ausgehenden Mittelalters über die Adaption römischer Autoren und antiker Inhalte im 16. Jahrhundert vollzieht sich der Prozess hin zu einem eigenständigen englischen Theater.

[70] 

• Die am häufigsten verwendete Replikenlänge von 4 Worten gilt nicht nur für das englische Drama ab 1599, sondern für die Mehrzahl der Dramen in den nachfolgenden Jahrhunderten. Auf quantitativ-statistischer Basis wäre somit die um 1600 erfolgte Grundsteinlegung für das englische Theater der Neuzeit nachgewiesen, indem letzteres aus der Diversität in der Bandbreite dramatischer Formen des frühen Renaissancedramas in England in den Mainstream publikumswirksamer und dem entstehenden Weltreich angemessener Theaterpraktiken übergeführt wird.


[1] 
Kermode (2000); Sobran (2002); Greenblatt (2004); Shapiro (2005); James/Rubinstein (2005); James (2008); Blumenfeld (2008); Pinksen (2008); Conrad (2011).
[2] 
Fucks (1971).
[3] 
Weitere Details in Ilsemann (2005).
[4] 
Schabert (2000).
[5] 
Diese grobe Orientierung wird genauer erläutert in Ilsemann (2008).
[6] 
Wells, Stanley & Gary Taylor (1997). William Shakespeare. A Textual Companion. London, New York et al.: Oxford Univ. Press.
[7] 
Vgl. Ilsemann (1998: 73 ff.)