Die deutschen Klassiker
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Eine „Bibliothek guter Bücher" wollen die „Deutschen Klassiker" gemäß den Aussagen ihres Geleittextes sein und machen damit ihre Ansprüche klar: Hier ging es nicht darum, eine Arbeitsgrundlage für germanistische Forschung zu schaffen, sondern allgemeingebildeten Interessierten die „handwerklichen Vorzüge" (ebd.) dieses spezifischen - interaktiven - Umgangs mit Literatur zu verdeutlichen, sie zu einem „lustbetonten Umgang" mit Literatur zu führen. Angesichts der Tatsache, daß es sich bei diesem Produkt um eine der ersten Präsentationen von Literatur auf CD-ROM handelte, ist es verständlich, daß sich die Autoren weniger die Textauswahl als deren Darbietung zum Problem machten: Es wurden 30 allgemein als Kanontexte anerkannte Werke vom Barock bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts ausgewählt (Begründung im Geleit: die Werke seien die jeweiligen „Vollender einer gewissen Stilrichtung", „wesentliche Bestandteile der deutschen Nationalliteratur" und „kulturelles Gemeingut"), die nun auf der CD in einer Zusammenfassung von vier bis sechs Seiten Länge und als Volltext zur Verfügung stehen (Zur Liste). | ||
Register, Bibliothek und (Epochen-)Überblick als weitere zentrale Rubriken neben den Texteinheiten ordnen das ausgewählte Material nach verschiedenen Gesichtspunkten, so daß es den NutzerInnen möglich ist, sich innerhalb des Literaturangebotes gezielt und effektiv zu orientieren: Das Register liefert eine alphabetisch geordnete Liste aller vorkommenden Namen mit entsprechenden Ortsverweisen und entspricht damit im Grunde den Personenregistern traditioneller Nachschlagewerke. Leider fehlt hier die Möglichkeit des direkten Zugriffs auf die Textstelle vom Register aus, die neuere Anwendungen bieten. Der Überblick ordnet Autoren, Werke und Epochen in einer übersichtlichen graphischen Darstellung an, die Bibliothek gibt eine Inhaltsübersicht mit passenden Titelblättern, von denen aus man zu den Autorentafeln gelangt. Von allen drei Rubriken ist der Übergang zu den verschiedenen anderen Ebenen möglich. Insgesamt sind die Verknüpfungen vieldimensional und ausreichend, leider jedoch häufig nicht auf den ersten Blick erkennbar. Hinzu kommen - durch die NutzerInnen problemlos zu korrigierende - unlogische Links: wählt man beispielsweise ausgehend von der Inhaltübersicht zu Goethes „Faust I" den Autor Mörike aus der Autorenliste aus, führt dies weder zum Autorentafeln noch ebenfalls zur Inhaltsübersicht, sondern überraschenderweise in die Autorenbibliographie. | ||
Elemente wie die Tonwiedergabe ausgewählter Passagen (insgesamt können NutzerInnen aus 20 Hörbeispielen auswählen) und die durch Anklicken der Autorenporträts aktivierten Äußerungen „prominenter Kollegen" über Werk und Dichter ergänzen die Bandbreite der informativ-unterhaltenden Annäherungmöglichkeiten an Text und Autor. | ||
Den zentralen Gegenstand der CD bilden jedoch unverkennbar die Texte. Auf deren Zitierfähigkeit wurde hier kein Wert gelegt, doch ist die jeweils verwendete Fassung (in fast allen Fällen „behutsam modernisiert") am Beginn der – jede Einführung in die einzelnen Texte ergänzenden – Auswahlbibliographie ausgewiesen. Letztere ebenso wie die Recherchemöglichkeiten im Text selbst (Volltextsuche, Suche in einer Textauswahl, Wortzählung) gehen vermutlich über die üblichen Leserbedürfnisse hinaus, ohne jedoch germanistischen Standards genügen zu können. Alle Textdokumente habe eine einheitliche Symbolleiste. Neben dem Zugriff auf die Suchoptionen ermöglicht diese auch den Übergang zum jeweiligen Autor, zur Liste aller ausgewählten Autoren, zur dazugehörigen Epochencharakteristik und zu einem einfachen Textverarbeitungsprogramm, über welches wiederum der Übergang zu anderen Windowsanwendungen, so u.a. für das Kopieren und Bearbeiten auch längerer Textpassagen, erfolgen kann. | ||
Durch das Fehlen aufspringender Erläuterungen (popups bleiben einzelne Optionen besonders für ungeübte NutzerInnen schwierig handhabbar, nicht zuletzt weil die Symbole zum Teil uneindeutig, einige Beschriftungen irreführend sind (Beispiel: Wenn man die Benennung des jeweiligen Textmenüs in der Symbolleiste anklickt, erscheint die Liste aller Autoren!). Schwächen in der Navigation treten auch in anderen Bereichen auf, was umso problematischer ist, da das Handbuch es bei originell gestalteten Denkanstößen beläßt. Lediglich die Textbe- und -verarbeitung selbst wird dort sachlich und detailliert erläutert. So bleiben den auf das Trial-and-Error-Prinzip zurückgreifenden NutzerInnen (die aus der Standardsymbolleiste anderer Windowsanwendungen besonders den undo-button schmerzlich vermissen werden, da sich viele Schritte hier nur über die Rückkehr auf den Zentralscreen wiederholen lassen) verschiedene Optionen verborgen, bis sie sich entschliessen, nach der Rubrik „Zum Geleit" auch noch die „Hilfe" aufzurufen. Diese macht alle links der Zentralscreens als solche kenntlich und erläutert ihre Funktionen. Erst hier ist der Weg zu den Volltexten eindeutig erkennbar, erst hier erfährt man, daß auch die Porträts Startseiten sind etc. Die Querverbindungen zwischen den Ebenen allerdings bleiben weiterhin unkommentiert. | ||
Insgesamt hält sich die graphische Umsetzung sehr nah an die Vorgaben des Buches, versucht offenbar an traditionelle Lesegewohnheiten anzuknüpfen. Gerade deshalb erweist sich allerdings die fehlende Positionierungshilfe als erhebliches Defizit : nur über das Hinzuschalten der Suchmaske erhält man Auskunft über die Gesamtlänge des Dokumentes. Zwar ist den Volltexten ein Inhaltsverzeichnis vorangestellt, von dem aus man zu einzelnen Kapiteln oder Erzählungen springen kann, doch gelangt man aus dem laufenden Text nur über erneutes Aufrufen des Autorenscreens oder seitenweises Zurückblättern wieder dorthin. In den Biographien, Bibliographien und Kurz-Inhalten fehlt eine solche Orientierungshilfe völlig. | ||
Da viele der kritisch angemerkten Aspekte aus den Erfahrungen mit neueren, weiterentwickelten Produkten resultieren, sollte noch einmal betont werden, daß die „Bibliothek deutscher Klassiker" zur ersten Generation von digitalisierten deutschsprachigen Texten auf CD-ROM gehört, deren Verdienst für die seitdem vollzogene Entwicklung niemand bestreiten wird. Gerade deshalb ist ein Vergleich lohnenswert: macht er doch deutlich, wie sehr sich die Qualität der Anwendungen aber auch die Ansprüche der NutzerInnen seitdem verändert haben.
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Kristina Koebe (Rostock) | ||
Veröffentlicht am 6.4.98 |